Der fachliche Diskurs über Design wird beherrscht von Lobpreisungen der ästhetischen, kommerziellen und zuweilen evolutionären Erfolge von Design. Die Bedeutung des frei beweglichen Daumens für die Entwicklung der menschlichen Intelligenz, der Einfluss grafischer Benutzeroberflächen auf den Siegeszug des Computers oder die allgemeine Wertsteigerung von Produkten durch herausragendes Design verweisen immer wieder auf die Rolle von Design als Faktor für die Verbesserung unserer Lebensumstände.

Dabei gehen bei einer solchen einseitig positiven Darstellung der Bedeutung von Design einige Aspekte vergessen. Wohl in allen Zeiten der Geschichte hat Design immer auch Gewalt ermöglicht und verstärkt; sei es, indem es dabei hilft, Werkzeuge und Mechanismen zu verbessern, die – in Form von einfachen Waffen oder digitaler Malware – zur Ausübung von Gewalt, Kontrolle und Zerstörung eingesetzt werden können oder indem es – in Form von juristischer oder systemischer Gewalt – Strukturen schafft, die unsere Lebensumstände gemäss klaren Vorgaben ermöglichen und abweichendes Verhalten verunmöglichen.

Während höhenverstellbare Tische inzwischen jedes mittelständische Büro erobert haben, werden in den Wohnungen weiterhin Küchen nach Schweizer Mass-System verbaut: 55-60-90 definieren dort die Breite, die Tiefe sowie die Höhe der einzelnen Elemente – basierend auf der Durchschnittsgrösse von Frauen in den 1960er Jahren. Die damals per Design auf die Arbeitsprozesse optimierte Umbebung schreibt bis heute die Rolle von Frauen im Haushalt fort. Und hält die Männer von der Küche fern! Vor diesem Hintergrund ist es verständlicher, wieso ein grossgewachsener Mann z.B. das in einem Rezept beschriebene lange Kneten des Teigs nicht als «extrem meditativ und Aggressionen abbauend» erfährt, sondern lediglich als 15-minütige höchst unangenehme Arbeitsposition.

Die im Design aufgrund der Zielsetzung und -gruppe ­gewählten Entscheidungen nehmen immer auch Konsequenzen vorweg, sodass die daraus resultierenden Handlungen zwar optimiert, aber gleichzeitig eingeschränkt sind. So werden Benutzende nicht selten zum Reproduzieren von gesellschaftlichen Verhältnissen gezwungen. Beobachten lässt sich das nicht nur an unseren normierten Küchen, sondern genauso an der Frage, wieso wir heiss über Gendersternchen diskutieren, viel weniger aber über ­Unisex-Toiletten, oder was es bedeutet, wenn der ­Algorithmus unserer Smartphones das Familienfoto so verbessert, dass – wie es eben sein sollte – alle gleich­zeitig lächeln.

Geblendet von all den zum Teil tatsächlichen, vor allem aber viel beworbenen Vorteilen von gutem Design geht oft vergessen, dass in der Regel weniger sichtbare Aspekte eine Statistenrolle einnehmen. Diese Ausgabe der Fabrikzeitung untersucht vor diesem Hintergrund, wie Gewalt in einer modernen Gesellschaft hinter der glänzenden Oberfläche aussieht und wie sie sich in der modernen Gesellschaft, in der Kunst wie im Alltag manifestiert. 

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