Während die Digitalisierung in den letzten dreissig Jahren zahlreiche Lebens- und Arbeitsbereiche radikal verändert hat, passierte beim Verhältnis zwischen Staat und BürgerInnen diesbezüglich wenig. Die Ankündigung der E-Government-Strategie 2020–2023 sowie die Anstrengungen zur privaten Herausgabe einer E-ID stellen in diesem Jahr deshalb eine bedeutende Zäsur dar. Plötzlich scheint es nicht schnell genug zu gehen: Zentrale staatliche Aufgaben sollen unter Abhängigkeit von privaten Dienstleistern gestellt und ohne den nötigen sorgfältigen breiten politischen Diskurs möglichst rasch digitalisiert werden. Im Herbst 2019 stimmten sowohl der National- wie auch der Ständerat einer privaten Herausgabe einer E-ID zu. Statt sich daran zu orientieren, welche Anliegen im Sinne der Bevölkerung sind, überlassen Bundesrat und Parlament die digitale Transformation privaten Unternehmen.

Die permanente Litanei, dass die Privatwirtschaft in Sachen Digitalisierung über umfassendere Kompetenzen verfügt, hat gewirkt: Der Missstand wird jedoch nicht als Weckruf dafür verstanden, sich die Fähigkeiten selbst anzueignen. Vielmehr wird er als Legitimation verwendet, diese Komptenzen deshalb in die Privatwirtschaft auszulagern. Die Bürgerinnen und Bürger ihrerseits werden jäh aus dem digitalen Dornröschenschlaf wachgeschüttelt. Und anstelle eines Prinzen erwartet sie vielleicht bald eine dicke Kröte.

Die Sicherung der Identität gilt gemeinhin als zentrale Staatsaufgabe, die bisher der demokratischen Kontrolle unterstand. Gibt der Staat solche Ausgaben aus der Hand, geht damit auch allgemeine staatliche Legitimität verloren. Die Folgen einer solchen Delegitimierung sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung unserer digitalen politischen Strukturen betrifft letztlich auch die Bürger-Innenrechte und den Service Public. Die Digitalisierung war lange ein Phänomen, das zuerst an den Hochschulen und erst danach in der Wirtschaft und den Medien stattgefunden hat. Das glorifizierte Potential der Befreiung und Emanzipation blendete die Sicht auf die kommenden Schwierigkeiten für die bestehenden Grundrechte. Erst die Diskussionen um die Netzneutralität liessen Ende der Nullerjahre einen kleinen Teil der Bevölkerung aufhorchen und ahnen, was im Zusammenhang von Digitalisierung und Service Public noch auf dem Spiel stehen wird.

In dieser Ausgabe widmen wir uns folgenden Fragen: Wie können wir die Digitalisierung für demokratische Prozesse nutzen, bisherige gesellschaftliche Errungenschaften angemessen transformieren und einem Abbau von (digitalen) BürgerInnenrechten entgegen treten?

Ivan Sterzinger ist ein ehemaliges Redaktionsmitglied der Fabrikzeitung.

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