Die Diskussion um die trügerisch betitelte «No Billag»-Initiative wird heftig geführt – dabei ist es genau diese Art der Diskussion, die uns zeigt, was dabei auf dem Spiel steht.

Es ist ein bisschen mehr als ein Jahr her, als die Protestbewegung gegen die internationalen Freihandelsabkommen TISA und TTIP und CETA auf ihrem Höhepunkt war. Hauptgrund für den Widerstand waren damals insbesondere zwei Punkte: Erstens der Versuch internationaler Konzerne «zu  privatisieren, was nicht bei drei auf den Bäumen ist», wie es Greis anlässlich der Demo auf dem Bundesplatz im Oktober 16 auf den Punkt brachte. Und zweitens die Tatasche, dass der Bund an diesen Verträgen hinter verschlossenen Türen mitverhandelte, ohne mögliche Beteiligung der Parlamente oder der Öffentlichkeit.
Insbesondere TISA erschien damals als der feuchte Traum der Neoliberalen: Mit Bestimmungen, welche insbesondere vorschrieben, dass keine Dienstleistung mehr staatlich erbracht werden dürfte, sobald sie einmal privatisiert worden wäre – und dies bis in alle Ewigkeiten. Ein Satz, den man sonst nur in Verträgen mit der katholischen Kirche kennt.

Von TISA zu No Billag

Einen knappen Monat später war das Schreckgespenst TISA erledigt. Interessanterweise nicht, weil der kritische Widerstand gegen die internationalen Verträge in irgendeiner Form Erfolg hatte. Sondern weil der frisch gewählte US-Präsident Donald Trump als eine seiner ersten Ankündigungen jegliche Verhandlungen an multilateralen Wirtschaftsabkommen sistierte – seiner Meinung handelte es sich dabei um «bad deals». Kein Wunder: Die Zeiten sind längst vorbei, in denen die amerikanische Wirtschaftskraft so gross war, dass sie als einzige von internationalen Deregulierungen profitierte. Ebensowenig Wunder war eines der wenigen konkreten trumpschen Wahlversprechen, dass er (lange verpönte) Importzölle für Stahl einführen wollte, um sich damit gegen das verhasste China zu positionieren.

Waren die treibenden Interessen hinter TISA internationale Konzerne, die während Jahren knallhartes Lobbying auf höchster Ebene betrieben hatten, begann nur ein halbes Jahr später der Abstimmungskampf um eine Initiative, deren Ziele fast identisch sind – die aber als Bieridee von zwei Jungfreisinnigen und einem Jung-SVPler entstanden war. Von den dreien ist heute nur noch der Rechtsaussen im Kommittee zu hören: Olivier Kessler. Ein selbsterklärter Libertärer, heute Vize-Chefredaktor bei Ulrich Schlüers xenophobem Flugblatt «Schweizerzeit», der in der Vergangenheit ein ausländerfeindliches Webforum betrieb und zwischendurch beim wirren Sektenprediger Ivo Sasek zwischen Holocaustleugnern, Verschwörungstheoretikern, Rechtsradikalen, Scientologen und anderen Esoterikern auftrat.

Kesslers Bild der Schweiz, das er in der «Arena» darlegte, ist so einfach wie historisch falsch: «Ein freiwilliger Zusammenschluss von Bürgern, die gekämpft haben gegen die Steuervögte, die alle zwingen wollten, etwas zu bezahlen, was diese gar nicht wollten. Deswegen haben wir so viel Zuwanderung aus totalitären Staaten.» Sprich: Die Schweiz als Zusammenschluss von Menschen, die keine Steuern bezahlen wollen. Das mag ins Bild von Bankgeheimnis und Pauschalbesteuerung passen, ignoriert aber so ziemlich jeden Grundsatz der Schweizer Verfassung.

Dass eine Initiative aus dieser Ecke zwei Monate vor dem Urnengang immer noch auf der Kippe ist, (und dass sie insbesondere unter jüngeren Skeptikern, die gerade in der TISA-Gegnerschaft deutlich vertreten waren, grosse Zustimmung geniesst), hängt natürlich mit dem direkten Objekt der Initiative zusammen: Der Billag-Gebühr und in direkter Folge davon der SRG.

Asoziale Gebühr

Wie jede andere «ewige» Institution in unserem Land leidet die SRG darunter, dass es niemanden gibt, der nicht eine Meinung zu ihr hat. Wer noch fernsieht, hat sich bestimmt schon einmal über irgendeine Sendung aufgeregt, die zu (un-)ausgeglichen, zu seicht, zu abgehoben war. Wer Radio hört, läuft Gefahr sich über die falsche Musik oder den falschen Dialekt der Moderierenden enervieren zu müssen. Und wer all dies nicht tut, hat sich wohl mehr als einmal die Frage gestellt, wieso sie für etwas bezahlen müsse, dass sie selber gar nicht benötige.

Die Frage ist völlig berechtigt. Als die Empfangsgebühr 1920 erstmals eingeführt wurde, war Radio noch weit davon entfernt, ein Massenmedium zu sein – fern war die Idee der Bürgerpflicht, wie sie im zweiten Weltkrieg herrschte, sich über Radio zu informieren, ob denn nun der Deutsche oder der Russe schon an der Grenze stehe. Und selbst, als noch das Fernsehen als zweites Massenmedium dazu kam, wurde das Finanzierungsmodell nicht angepasst.

Heute reden wir hingegen ganz automatisch vom «Service Public», den die SRG und die von der Billag-Gebühr mitfinanzierten lokalen Radio- und Fernsehstationen leisten. Und auch wenn wir im Bereich des Service Public durchaus auch Nutzungsgebühren kennen (zB. den Ticketpreis für ein SBB-Ticket, die Autobahnvignette, die Briefmarke oder die Gebühr für den Kehrichtsack), so gehört zur Definition des Service Public fast automatisch dazu, dass diese Gebühren tief gehalten werden mit Steuergeldern – die sich wiederum nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und nicht dem konkreten Nutzen für den Einzelnen berechnen. Die Billag-Gebühr ist da die grosse Ausnahme. Sogar, wer Sozialhilfe bezieht, wird nicht davon befreit. Und das ist zugegebenermassen asozial.

Kein Wunder hat die No Billag-Initiative unter Menschen mit tieferen  Einkommen eine relativ hohe Sympathie. Gerade unter Linken hört man häufig, sie wären sofort dafür, die Gebühr durch eine echte Mediensteuer zu ersetzen. Nur: Darüber stimmen wir nicht ab. Die Initiative lügt nämlich schon im Titel. Es geht nicht darum, eine Gebühr abzuschaffen. Vielmehr geht es darum, das bisherige System der Mediensubventionierung, das in seinen Grundsätze seit 1930 besteht, komplett abzuschaffen und zu privatisieren. In Artikel 4 der Initiative steht explizit: «[Der Bund] subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen.»

Streit unter Medienunternehmen

Dass dies bei einem Ja zur Initiative nicht nur bedeutet, dass die SRG schliessen müsste, hat man insbesondere in den Aussenregionen bemerkt: So äussert sich André Moesch, Präsident des Regionalfernsehverbands Telesuisse, seinerseits ein grosser Kritiker der SRG, unablässig gegen die Initiative. Er spricht von einer generellen «Anti-Medien Stimmung» im Land und warnt davor, dass ohne die Billag-Gelder die meisten Regionalsender eingehen würden: «Kein Telebasel mehr, kein Teleticino, kein TVO und und und. Stattdessen ein paar Kommerzsender, die sich nicht im Geringsten um die Regionen scheren.»

Auf der anderen Seite dieser Debatte stehen ebenfalls Medienunternehmen. Im Fall von Moesch sogar der Besitzer seines eigenen Unternehmens, die NZZ. Die Zeitungsverlage fahren seit Wochen eine heftige Kampagne zugunsten der Initiative oder zumindest gegen die SRG. NZZ-Chefredaktor Eric Gujer bezeichnete die SRG als «Kind einer Zeit, in der Hitler und Stalin die neue Radiotechnik nutzten, um ihre Propaganda zu verbreiten.» Und die Tamedia AG fährt insbesondere in ihrer Berichterstattung im Gratisblatt 20 Minuten seit Wochen eine Kampagne gegen die SRG, welche sich hart an der Grenze zu Fake News bewegt: So konstruierte auch die Sonntagszeitung aus einer Studie des Medienprofessors Vincent Wyss kurzerhand die Schlagzeile, dass die Mehrheit der SRG-Journalisten politisch links einzuordnen sei. In Wirklichkeit hatt Wyss’ Studie ergeben, dass Schweizer JournalistInnen grundsätzlich eher links einzuordnen sind, und dass die SRG dabei nicht von anderen Medien abweiche.

Dies prangert wiederum der letzte grosse Player im Schweizer Medienbusiness an – Ringier. Wie man in Blick und Sonntagsblick nachlesen konnte, geht es Tamedia-Verleger Pietro Supino darum, die SRG zu zerschlagen oder zumindest einzuschränken, damit der Werbemarkt für den fusionierten Tamedia-Goldbach Konzern frei wird, das bei einem Wegfall der SRG über ein de fakto Monopol auf dem Schweizer Fernsehwerbemarkt verfügte. Doch auch das Engagement des Blicks ist dabei nicht eigennützig: So betreibt Ringier zusammen mit der SRG die Vermarktungsfirma Admeira, welche der Tamedia und der NZZ seit ihre Gründung 2016 ein Dorn im Auge ist.

Unabhängigkeit und/oder Qualität

Diese Balgerei unter den grossen Playern macht es für die Stimmbevölkerung nicht gerade einfach, sich eine unabhängige Meinung zu bilden. Auf beiden Seiten der Debatte finden sich vor allem Menschen, die keine Ahnung haben vom Schweizer Medienmarkt: Das gilt für Gewerbeverbandspräsident Hans-Ulrich Bigler, Initiant Olivier Kessler und SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher gleichermassen. Diejenigen, die es besser wissen, sind alle so befangen, dass es schwierig geworden ist, ihre Berichterstattung von den eigenen Interessen zu differenzieren.

Dies zeigt, wie wichtig es wäre, ein nationales Medium zu haben, das nicht von wirtschaftlichen Interessen getrieben ist. Doch die SRG selber ist schon seit der RTVG-Abstimmung so sehr in Schockstarre, dass sie sich nur noch selten traut, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Ein Paradebeispiel dafür zeigte sich in der «Arena» zur Initiative: So meinte Moderator Jonas Projer zur Frage des Medienkonsums unter der jüngeren Generation, er würde sehr gerne ein paar Vertreter dieser Generation im Publikum befragen. Aber da er nicht wisse, wie diese zur Initiative stünden, sei dies nicht möglich – schliesslich verpflichtete sich die Arena dazu, Befürwortern und Gegnern genau gleich viel Redezeit zu geben. Womit er eindrücklich bewies, dass Unabhängigkeit und journalistische Qualität eben doch nicht automatisch das Gleiche sind.

Etrit Hasler ist Slampoet, Journalist und SP-Kantonsrat. Für die Fabrikzeitung kommentiert er regelmässig das aktuelle politische Geschehen.

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