Der Besuch eines Warpaint-Konzerts fühlt sich an, als würde man die Zeitzone wechseln. Das Quartett aus Los Angeles sediert seine Hörer mit psychedelischen Grooves und verschwörerischem Kollektivismus.

Sie spielen psychedelischen Rocksound von der Konsistenz von Sirup

Wer ist hier eigentlich der Bandleader? Wer der Sänger? Wer der Frauenheld? Wer eher der schüchterne Kerl? Wer schreibt die Songs? Und wer ist einfach dabei, weil Rock’n’Roll eine ganz geile Job Description ist? Ganz schön viele Fragen und jede davon lässt sich im Falle der kalifornischen Frauenband Warpaint mit «Niemand!» oder «Alle!» beantworten. Das Quartett, das bereits 2004 gegründet wurde und seit 2009 in der gleichen Besetzung auftritt, ist mehr als alles andere ein Kollektiv. Ein gemeinsamer Klangköper, dem die Aussenwirkung erstmal ziemlich schnuppe zu sein scheint.

Zumindest tragen sie diese Attitüde vor sich her: Ende August 2014, bei ihrem letzten Auftritt in der Schweiz, gab sich die Band fast gänzlich nach innen gewandt. In Kreisformation, mit gesenkten Häuptern und Blicken ins Nichts, schrummelten, wiegten und klopften sich Emily Kokal, Theresa Wayman, Jenny Lee Lindberg und Stella Mozgawa in ihr eigenes Delirium.

Sie verströmen gemeinsam die Aura einer Superheldentruppe

Sie spielten langsamen, psychedelischen Rocksound von der Konsistenz von Sirup. Kompromisslos, radikal und minimalistisch. Ohne grosse Solos, ohne Zeitbeschränkung für die Songs, dafür mit viel Raum für Improvisation. Vielleicht auch etwas arrogant: Dem Publikum die Hand zu reichen, vergassen die vier Girls aus Los Angeles. Oder sie unterliessen es ganz bewusst. «Habt Ihr Bock zu tanzen?», fragte Gitarristin und Sängerin Emily Kokal gleich zu Beginn – und als sich vor der Bühne Begeisterung regte, ergänzte sie: «Ja? Dann geht woanders hin. Wir sind entspannt.» Es blieb, neben einer kurzen Bedankung, die einzige nennenswerte Direktadressierung an das Publikum. Wer ihren musikalischen Trip mitmachen wollte, musste sich selber darum bemühen. Wie der warme Applaus zum Ende zeigte, hatten es dennoch einige geschafft aufzuspringen.

Für ihren Drittling «Heads Up», erschienen Ende September letzten Jahres, wählten sie einen stärkeren Puls. Immer wieder wurde das Schlagzeug durch den Drumcomputer ersetzt. Neu gesellten sich die Stilrichtungen Art Rock und Indietronica zu Indierock, Dream Pop und Psychedelic Rock. In der Grundstimmung blieb alles gleich, alles wie im wunderbaren Videoclip zu «Disco//Very» oder im heilig-simplen Stück «Billie Holiday» von 2010: Sie verströmen gemeinsam die Aura einer Superheldentruppe. Musketierhaft, eingeschworen, betörend.

Hier ein Interview, das der Schreibende kurz nach besagtem Konzert am Zurich Openair geführt hat:

Ein Warpaint-Konzert fühlt sich an, als würden man eine neue Zeitzone betreten. Die Zeit scheint langsamer zu verstreichen.

Theresa Wayman (TW): Danke! Ein schönes Kompliment. Warpaint als eigener kleiner Kontinent…
Emily Kokal (EK): Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, weil unsere Songs alle ungefähr das gleiche Tempo haben. Fast alle liegen so um die 98 BPM.

Woran liegt das?

TW: Keine Ahnung. Da steckt null Absicht dahinter. Dieses Tempo scheint ganz einfach die Stimmung zu reflektieren, in der wir sind, wenn wir vier zusammen Musik machen. Aber wir verändern uns auch gerne, und ich freue mich jetzt schon darauf, das Tempo ein bisschen anzuziehen.

Sie kokettieren gerne mit diesem meditativen Groove. Während Ihres Auftrittes am Zurich Openair sagten Sie zur Begrüssung: «Hallo, wir sind Warpaint! Wenn Ihr tanzen wollt, dann verpisst Euch!»

EK: Die Art, wie wir Songs schreiben, hat etwas sehr Meditatives. Wir sind in einem Raum, jammen und versuchen uns so über die Musik gleichzuschalten. Wir kommunizieren dann über diese Schwingungen. Wenn wir auf der Bühne stehen, dann wird das Publikum im besten Fall in diese Welt reingezogen.

Man steht dann quasi mit Ihnen im Proberaum.

EK: Genau. Wir sind nicht die typische Liveband. Wir versuchen einfach sehr aufmerksam zu sein und als Musiker aufeinander einzugehen. Wir lassen die Leute eher «zu uns» kommen als dass wir «zu ihnen» gehen.

Betrachtet ihr euch als radikal?

EK: Keine Ahnung. Ich glaube, das haben schon sehr viele vor uns so gehandhabt.
TW: Ich halte uns für radikal. Und ich muss sagen, dass das manchmal ein sehr unangenehmes Gefühl ist. Man muss schon bereit sein, uns Aufmerksamkeit zu schenken. Wir machen nichts, was man einfach so nebenher konsumieren kann und einem schnell mal ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Gleichzeitig will ich aber auch nicht, dass sich die Leute dann wegen unserer Musik zu sehr den Kopf zerbrechen. Es geht uns ja einfach nur darum, uns mitzuteilen.
EK: Für mich ist es immer noch schwer damit umzugehen, dass man extrem persönliche Sachen teilt. Das ist ja zu hundert Prozent Selbstdarstellung.

Ist es dann nicht seltsam, wenn Sie – wie im Sommer in Zürich – vor einem durchmischten Festivalpublikum spielen, das nicht darauf eingestellt ist?

EK: Doch, das kann schon sehr komisch sein. Manchmal spielen wir vor einer Band wie den Imagine Dragons und die Leute in der ersten Reihe haben einfach nur Fragezeichen in den Augen. Aber eigentlich mögen wir das. Wir überraschen die Leute gerne. Wer wird schon nicht gerne überrascht? So gewinnt man neue Fans dazu.

Spielen Sie gerne mit Erwartungen?

TW: Nein. Eigentlich lasse ich lieber die Finger von solchen Spielereien. Das kann sehr schmerzhaft sein. Und doch habe ich selber auch immer Erwartungen.

Ich frage dies, weil man nie genau weiss, wohin die Reise geht, wenn man sich auf Warpaint einlässt. Ist eigentlich vieles davon improvisiert?

EK: Ja, wir improvisieren oft. Aber wir haben schon unsere Struktur. Wir setzen uns Grenzen. Sonst würde im Nu ein Chaos ausbrechen. Das kommt aber schon auch vor. Manchmal covern wir zum Beispiel «Pump Up The Jam» von Technotronic.
TW: So, jetzt habe ich aber mal eine Frage an Sie: Wie würden Sie das Schweizer Publikum charakterisieren?

Reserviert, abwartend, wieso?

TW: Weil ich mir hier nie sicher bin, ob den Leute unsere Konzerte gefallen oder nicht. Ich habe dann irgendwann geschlussfolgert, dass sie einfach sehr introvertiert sind und eher still geniessen. Scheint, als hätte ich Recht gehabt.

Das könnte sehr gut sein! Irgendwo habe ich gelesen, dass Hip-Hop einen grossen Einfluss auf Ihre Musik hat. Stimmt das?

TW: Nein, da hat der «NME» aus England einfach Bullshit geschrieben.

Sie haben mit Hip-Hop gar nichts am Hut?

TW: Doch, aber wir haben viele verschiedene Einflüsse und unsere Schnittmenge liegt eher im Bereich der elektronischen Musik. Ich höre aber schon auch HipHop. Mir gefallen vor allem die Sachen aus den Neunzigern. Wu-tang Clan, Outkast – alles grossartig. Oder kennen Sie Clams Casino? Seine Beats sind der Wahnsinn.

Da sehe ich aber wiederum eine Parallele zu ihrem Sound!

TW: Ja, auch das klingt irgendwie wie Sirup.

Genau. Welches war bislang der glamouröseste Moment in der Karriere von Warpaint?

EK: Vor einer Weile war Björk an einem unserer Konzert in LA. Danach kam sie hinter die Bühne und hat uns hallo gesagt. Das war zwar nicht in dem Sinne glamourös, aber schon sehr speziell.
TW: Oder in der Schweiz: Beim letzten Mal sind wir mit einem Motorboot auf dem Genfersee rumgeschippert. Es gab Champagner, Sandwiches und Gras. Das war schon super.

Welches war der unglamouröseste Moment?

EK: Die gibt’s zuhauf. Konzerte in Liverpool. Oder im Bus schlafen und nicht duschen können.

TW: Oder wenn man scheissen muss, aber nicht kann. Das ist auch bitter.

Der Lieblingsteil Ihrer Live Show?

EK: Das ändert ständig. Für mich hat jeder Abend ein anderes Highlight. Im Moment spiele ich gerne einen unserer ganz neuen Songs.

TW: Ich mag den Jam am Ende von «Elephants». Das ist immer so ein Erweckungsmoment für uns als Band.

Viele Bands sagen, dass sie das Konzertende am meisten schätzen.

EK: Pah. Wenn ich sowas sagen würde, dann würde ich mich wie eine undankbare Göre fühlen. Aber es stimmt schon: Die Nervosität ist dann weg.

Ein kurzer sorgenfreier Moment im Leben von Warpaint?

EK: Ja, aber natürlich nur, wenn man eine gute Show abgeliefert hat. Dann denkt man sich: «Jetzt könnte ich ewig weiterspielen.» Wenn’s hingegen schlecht gelaufen ist, freut man sich, dass man endlich von der scheiss Bühne runter ist (lacht).

Ihre letzte Entdeckung in Sachen Musik?

EK: Da müssen Sie Theresa fragen. Alles, was ich mir anhöre, ist steinalt.

Na ja gut, aber man kann ja auch steinalte Sachen neu für sich entdecken.

EK: Um ehrlich zu sein, höre ich seit einem Jahr immer und immer wieder das gleiche Lied. Es heisst «Right Down The Line» und ist von Gerry Rafferty. Das ist der vom Song «Bakerstreet». Die Saxofon-Melodie kennt jeder.

Was gefällt Ihnen so daran?

EK: Es ist irgendwie so romantisch. Einfach ein ganz toller Song.

Und was hören Sie so zurzeit, Theresa?
TW: Meine letzte Entdeckung ist Mac DeMarco. Am besten gefällt mir zurzeit das Stück «Passing Out Pieces».

Warpaint treten am Donnerstag, dem 16. März 2017 in der Aktionshalle der Roten Fabrik auf.

 

 

Adrian Schräder ist freier Journalist und arbeitet regelmässig für die NZZ, Das Magazin oder das Bieler Tagblatt.

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