Tom Martin ist eine der zentralen Figuren der US-amerikanischen Prepper und Survivalszene, auch weil er den Begriff des Preppens und Preppings erfunden hat. Er betreibt die Website americanpreppersnetwork.com, auf der es umfangreiche Anleitungen zu allen Aspekten des Preppens zu studieren gibt. «Preparing to Enjoy the Apocalypse» heißt der neuste Artikel auf der Seite, und das meint Tom Martin ernst: Sich auf mögliche Naturkatastrophen, Terroranschläge oder Unfälle vorzubereiten, gibt ihm einen tiefen Seelenfrieden. So ziehen sich die Worte «prepare» und «being prepared» wie ein Mantra durch seine Sätze.

Man geht nicht zurück, um seine Kinder zu holen!

Alexis Waltz: Ich muss plötzlich meine Wohnung in kürzester Zeit verlassen: Was nehme ich mit?

Tom Martin: Jeder, der darauf gefasst sein will, sollte einen Breakout Bag oder Emergency Bag vorbereitet haben. Darin sollten Lebensmittel für 72 Stunden sein, eine Notfalldecke, Streichhölzer und die wichtigen Papiere, zumindest in Kopien: Versicherungen, Führerschein, deine Geburtsurkunde. Bei Unglücken wie einem Hurrikan, einem Erdbeben oder auch nur, wenn dein Haus abbrennt, gehen solche wichtigen Unterlagen meist verloren. Dann ist es oft schwierig, Versicherungsansprüche geltend zu machen oder einen neuen Ausweis zu bekommen. Wichtige Telefonnummern solltest du natürlich auch dabei haben. Ausserdem einen Plan, wo du deine Freunde und deine Familie wieder triffst. Fukushima hat noch einmal deutlich gemacht, dass man im Fall der Fälle sofort das Haus verlassen sollte. Man geht nicht mal zurück, um seine Kinder zu holen! Die wissen nämlich schon, wo sie im Katastrophenfall hingehen sollen, und dort warten sie auf ihre Eltern. Oft werden Menschen getötet, die in Gebäude zurückkehren, um jemanden zu suchen. Und später stellt sich heraus, dass die Person schon evakuiert war. Deshalb ist dieser Plan ist vielleicht das Wichtigste überhaupt.

Wie bist du auf das Thema des Prepping gekommen?

Survival hat mich immer schon interessiert. Ich bin auf einer Farm in Oregon aufgewachsen. Da ist man so oder so vorbereitet: Wir stellten unsere eigenen Lebensmittel her und lagerten sie ein. Die harten Winter dort sind eine Herausforderung. Meine Großeltern sind in der Great Depression aufgewachsen, sie waren auch prepared. Das ist nichts Neues. Für frühere Generationen war das All­gemeinwissen. Neu ist die Nachlässigkeit der «Normalcy-Bias» der Menschen heute. Sie begreifen nicht, dass ein Desaster immer möglich ist. Heute ist man gewohnt, auf den Knopf an der Mikrowelle zu drücken. Bei einem Unglück ist man dann völlig überfordert. Leute in Entwicklungsländern können mit unvorhergesehenen Situationen besser umgehen. Sie müssen sich mit vielen Problemen, die wir überhaupt nicht mehr kennen, tagtäglich herumschlagen.

Menschen heute begreifen nicht, dass ein Desaster immer möglich ist

Macht unsere entwickelte Gesellschaft uns zu schwachen Menschen?

Wir leben gesündere und längere Leben, und wir haben einen stärkeren Verstand, weil wir mehr wissen. Ein Olympiasportler ist heute viel stärker als einer vor 20 oder 30 Jahren. Wir sind also nicht schwach, sondern nur unvorbereitet.

Was ist das Erstaunlichste, was du im Bezug auf das Thema gelernt hast?  

Am meisten erstaunt mich, wie viele Menschen nicht vorbereitet sind. Besonders nach dem Hurricane Katrina. Viele Leute haben nicht mal ihr Haus verlassen, als sie einen entsprechenden Hinweis bekommen haben. Sie konnten sich offenbar überhaupt nicht vorstellen, dass etwas Unvorhersehbares passiert.

Wie preppt man sich als Städtebewohner?

Auch wenn du eine kleine Wohnung hast, kannst du dort Lebensmittel und Wasser für ein paar Monate aufbe­wahren. Als ich Truckdriver war, bewahrte ich eine solche Menge an Lebensmittel im Schlafabteil meines Trucks auf. Das Wichtigste ist aber immer der Go Bag. Wenn eine Bombe explodiert oder es einen Terroranschlag gibt, geht es um Zeit: Du musst sofort deine Wohnung verlassen. Diejenigen, die zuerst aufbrechen, haben die größte Überlebenschance. Stell dir vor, dass es sich um einen chemischen oder einen biologischen Anschlag handelt. Wenn sich das herumspricht, sind sofort alle Straßen verstopft. Du solltest einen Plan haben, wohin du flüchten willst und verschiedene Routen, über die du dieses Ziel erreichen kannst. Für den Fall, dass der Verkehr blockiert ist, solltest du wissen, wie du zu Fuß oder auf dem Fahrrad aufbrichst. Das hängt natürlich von der Art des Unglücks ab. Wenn es ein Erdbeben gibt und dein Wohnhaus nicht eingestürzt ist, reicht es, über genug Lebensmittel
zu verfügen, bis die Obrigkeit zur Stelle ist und die Aufräumteams ihre Arbeit machen.

Diejenigen, die zuerst aufbrechen, haben die größte Überlebenschance

Jenseits von den materiellen Ressourcen, was ist die wichtigste Fähigkeit, die am meisten hilft?

Jeder sollte wissen, wie man Wasser reinigt. Es zumindest abkochen, um biologische Verunreinigungen abzutöten. Man sollte auch wissen, wo man Wasser findet. Die Leute denken an Essen, aber nicht an Wasser.

Wie rüstet man dagegen, in einer Extremsituation Opfer von Gewalt zu werden?

Wenn dich Terrorismus und andere Situationen beschäf­tigen, in denen die Polizei nicht einsatzbereit ist, solltest du ins Netz gehen und schauen, ob in deiner Gegend ein professionelles Selbstverteidigungstraining angeboten wird. Wenn du nichts findest, gibt es online eine ganze Reihe von Kursen. Ein besonderer Fall ist eine Active-Shooter-Situation: Wenn jemand mit einem Gewehr rumläuft und auf Leute schießt. Da gibt es besondere Fähigkeiten und professionelle Tips, die du lernen kannst.

Lohnt es sich, eine Waffe zu tragen?

Das hängt von den Gesetzen ab, die an deinem Wohnort herrschen, welchen Gefahren du ausgesetzt bist und wie du dich persönlich wohlfühlst. Ich rate jedem, der sich eine Waffe zur Selbstverteidigung zulegen will, auch eine professionelle Schulung zu besuchen. Es ist die schlechteste Situation auf der Welt, wenn du dich gegen einen Angreifer verteidigen musst und nicht weißt, wie deine Waffe funktioniert. Und es reicht nicht, einen Schießplatz zu besuchen.

Macht die Menge an Schusswaffen in der Bevölkerung den Katastrophenfall sicherer oder stellen diese Waffen eine zusätzliche Gefahr dar?

Jeder, der in den USA eine Waffe offen zum direkten Gebrauch tragen darf, muss ein Training vorweisen und sein Vorstrafenregister wird geprüft. Wenn es ein großes Unglück gibt, sind das die Menschen, auf die du dich verlassen kannst. Sie beschützen dich vor den Kriminellen. Denn in solchen Situationen gibt es immer Leute, die Situationen ausnutzen wollen. Es gibt viele Fälle, bei denen jemand mit einem entsprechenden Waffenschein und der entsprechenden Sicherheitsüberprüfung Menschen vor einem Schützen oder vor Kriminellen gerettet hat. Ich denke, dass die Bürger der Vereinigten Staaten ziemlich
sicher sind.

Die Leute mit Waffenschein beschützen dich vor den Kriminellen

Du vertraust also deinen Mitbürgern.

Jedem, der eine entsprechende Genehmigung hat. Kriminelle werden in jedem Fall eine Waffe haben. Auch in Ländern, wo Schusswaffen streng verboten sind, kommen Kriminelle an Waffen. Ich vertraue dem Genehmigungsverfahren. Wer eine solche Erlaubnis hat, schätzt sie sehr. Er riskiert nicht durch verantwortungsloses Verhalten, sie zu verlieren.

Wenn dich Prepping und Survival schon so lange interessieren, was war der Auslöser, 2009 deine Website aufzubauen?

Der 11. September, Hurricane Katrina und auch die Hypothekenkrise und der Kollaps des Immobilienmarktes.

Was hat die Hypothekenkrise mit dem Prepping zu tun?

Das war für viele Leute der schwerwiegendste Grund, in das Thema einzusteigen. Wir sind froh, dass das Schlimmste abgewendet wurde. Die Wirtschaft wächst jetzt wieder. Es hätte aber auch zu einer Katastrophe kommen können. Viele Leute haben ihr Haus verloren und in der Folge auch ihren Job. Heute sind sie obdachlos. Ich reise viel durch das gesamte Land und überall leben Menschen unter Brücken und in Zelten. Das hat es vor der Immobilienkrise nicht gegeben. Wer von diesen Leuten über Prepping Skills verfügt, kann sie bestimmt sehr gut gebrauchen. Diese Menschen kämpfen ums nackte Überleben.

Ist der Erhalt der bürgerlichen Existenz auch ein Thema des Preppens? Wie verhindere ich, dass ich mein Zuhause verliere?

Hier geht es darum, deine Einnahmen und Ausgaben so zu budgetieren, dass du Geld sparen kannst. Man sollte so viel Erspartes haben, dass man seine Rechnungen ein ganzes Jahr lang weiterbezahlen könnte, falls man seinen Job verliert. Natürlich sollte man zusätzlich ein Investmentkonto für die Rente haben, auch als junger Mensch. Das ist eine Frage des Budgets: Wenn du nur ein paar tausend Dollar im Monat verdienst, macht es keinen Sinn, 1500 Dollar Miete im Monat zu zahlen. Dann musst du eben in eine günstigere Gegend ziehen, ein billigeres Auto kaufen oder ganz auf ein Auto verzichten. Oder Fahrrad fahren.

Gold oder Silber waren noch nie wertlos

Wie sollte man seine Ersparnisse aufbewahren? In Europa misstrauen viele Menschen dem Euro und den Banken und kaufen deshalb Gold oder Silber.

Gold oder Silber waren in der Menschheitsgeschichte noch nie wertlos. Auch im Fall einer Katastrophe werden sie
für irgendjemand irgendetwas wert sein. Ich habe Geld in meinem Spar- und in meinem Rentenkonto. Aber ich besitze auch Gold und Silber, das ich mitnehmen kann. Vielleicht habe ich auch einen Safe zuhause. Man könnte seinen Bugout-Bag neben dem Safe aufbewahren. Dann kann man im Katastrophenfall das Geld herausnehmen und das Haus verlassen. Mit der Zeit habe ich aber auch begriffen, dass man nicht jedem mitteilen sollte, was man hat und wo man es versteckt. (lacht)

Was ist deine größte Angst? Welches Katastrophenszenario treibt dich am meisten um?

Ich lebe in Northern Idaho. Da gibt es Winterstürme, die beschäftigen mich am meisten. Auch das Autofahren in dieser Zeit. Es ist schon oft vorgekommen, dass Leute mit ihrem Fahrzeug stecken geblieben und erfroren sind, weil sie nicht auf einen Wintersturm vorbereitet waren. Solche Situationen habe ich auch schon selbst erlebt, ich war schon mehrmals im Schnee gefangen. Manchmal für einige Tage, einmal für fast eine Woche. Ich habe keine Angst vor solchen Situationen. Menschen lesen vom Preppen und fragen uns: Wovor habt ihr solche Angst? Prepper haben aber keine Angst. Wir sind vorbereitet. Deshalb haben wir unseren Seelenfrieden.

Prepper stehen im Ruf, sich in Verschwörungstheorien hineinzusteigern.

Das ist eine Randgruppe. Es ist klar, dass du dich preppen willst, wenn du an Verschwörungstheorien glaubst. Ich denke aber nicht, dass man als Prepper zwangsläufig dahin getrieben wird, sich mit Verschwörungstheorien zu beschäftigen. Es funktioniert eher in die andere Richtung: Früher haben sich diese Leute in randständigen Newgroups und Foren darüber ausgetauscht, dass sie von der CIA abgehört werden. Heute haben wir eine Regierung, die solche Ideen verbreitet. Man fragt sich, wie die Verschwörungstheoretiker es geschafft haben, gewählt zu werden.

Prepper haben keine Angst

Wie hat dich das Preppen persönlich verändert?     

Das Preppen hat mich selbstbewusster gemacht. Die normalen Leute sind sorglos. Dann passiert etwas, und
sie werden panisch und später, in der Folge, paranoid.
Ich fühle mich wohl: Mir ist die Möglichkeit einer Kata­strophe zwar bewusst, aber ich habe keine Angst. In einem Schneesturm kann ich cool bleiben, ich weiß, was zu tun ist. Letzten Winter war ich für zwei Tage während eines sehr kalten Blizzards in meinem Auto gefangen. Ich konnte nicht mal die Tür meines Trucks öffnen, sie war mit Eis bedeckt. Ich hatte aber Wasser, Nahrung, eine Belüftung, um zu atmen. Ich konnte den Motor laufen lassen und heizen. Es beunruhigte mich zwar, dass es so kalt war. Ich machte mir Sorgen, dass das Benzin fest werden könnte und der Motor ausgehen. Aber auch für diesen Fall war ge­-
sorgt, ich hatte warme Kleidung und Decken dabei. Und Kerzen. Um in einem Auto gepreppt zu sein, können einige Kerzen genügen: Mit ein paar Kerzen kann man ein so Auto beheizen, dass man darin nicht mehr erfrieren kann.

Alexis Waltz ist Kulturwissenschaftler und Journalist. Besonders interessiert er sich für elektronische Musik, aber auch für die Geschichte der Gegenkulturen und Avantgarden, Kultur und Politik der USA, die Geschichte der Arbeit und die Geschichte der Geschlechter. Seine Texte sind in Groove, Spex, taz oder in der Süddeutschen Zeitung zu lesen und wurden ins Englische, Russische, Polnische und Französische übersetzt. 

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