Okay, Frauen im Laufgitter. Props an Iris von Rotens analytischen, verdammt vielschichtigen, progressiv-aggressiven ja nun eigentlich in vielerlei Hinsicht visionären KLOPPER DER WUT, der der zentralen Frage nachgeht: WIE WIRD DAS KONSTRUKT FRAU VON POLITISCHER MACHT
WEGGEDRÜCKT? Folgefrage: IST POLITISCHE GLEICHBERECHTIGUNG ILLUSORISCH?

Ein Klopper der Wut. Für den sie abgestraft wurde von den Herren mit dem Heft in der Hand, für den sie in die Versenkung gehen musste, weil sie eine Grenzüberschreitung, eine noch nicht gesehene vorgenommen hatte. Menschen ihrer biologischen Kategorie «FRAU» müssen abgestraft werden, die Kultur der Sanktion kommt noch in jeden Winkel über die Bergketten
geschossen, wenn es denn sein muss, ihr Haus wurde mit Worten des Spotts beschmiert, sie wurde bundesweit pressetechnisch gedemütigt,

Da geht es plötzlich verdammt schnell und hart.

Und welchen Delikts wurde sie bezichtigt?
Sie hatte beschrieben, dezidiert seziert, was vom Frausein erwartet wurde, wie es ausgekleidet zu sein hatte, wie es sich unterzuordnen hatte, wie es unsichtbar gemacht wurde in Machtapparaten, wie viel unbezahlte Arbeit ihm auferlegt sein musste.
Was alles stillschweigend, devot und demütig von Menschen ihrer biologischen Kategorie geleistet werden sollte – einige Beispiele von Kapitelüberschriften

HAUSHALTFRON – der Liebe Lohn
Schmutz – ein unerschöpfliches Arbeitsfeld
Ein Volk von Brüdern ohne Schwestern
Mutterschaft – Bürde ohne Würde
Die Menstruation als Zeichen sozialer Degradierung
Brosamen der Ritterlichkeit
Wirtschaftlicher Zwang zur Heirat «bettle hungre stirb» die Heirat als aufgedrängter Pfrundvertrag, der die Frauen teuer zu stehen kommt
Beruflosigkeit höhlt aus, Berufslosigkeit isoliert, die weiblichen Individualitäten werden aufgesaugt, um die männlichen fett zu machen

Eine Frau, die so selbstbewusst, polemisch und hart und grell klar in die Niederungen von Männerdominanz aka Männerdemokratie aka Patriarchat leuchtet, die hat schweigend gemacht zu werden.
Und hey ja! Toll genug, dass wir heute an einem anderen Punkt sind.
Und hey ja, wiederum traurig genug, dass wir heute an keinem so anderen Punkt sind.
Gleichheit? Gleichstellung? Gleiche Freiheiten für alle, die in diesem Land leben? Warum diese heuchlerische Behauptung?
Geh bitte, es ist ein alter Scherz, man schaue sich nur mal den Prozentsatz – SCHLAPPE 24 PROZENT – von Menschen an, die hier leben, arbeiten und Steuern zahlen, oder nicht arbeiten dürfen, zu Untätigkeit verdammt, einer anderen Staatsangehörigkeit angehörend oder gar keiner und auf eine Einbürgerung wartend/plangend, also mitnichten rechtlich anteilnehmend an der Gestaltung dieser Gesellschaft.
24 Prozent! Das ist signifikant mehr als der Anteil in ihrer Lebenszeit eingebürgerter Menschen! Definitiv Kategorie NICHT OKAY.

Ja, ihr Frölleins dürft mitmachen, ein bisschen mitspielen in der Demokratie, 50 Jahre.

Es ist also eine Geschichte von Fortschritt und Rückschritten und ganz, ganz kleinen, ganz, ganz gemächlichen Fortschrittschrittchen.
Es ist eine Geschichte, schmerzhaft – und schamhaft, LEUTE, 50 JAHRE, DAS IST NICHTS! Das wissen wir alle, aber 50 Jahre, das ist nicht einmal der Hauch einer Dauer, es liegt noch 34 Jahre unter der durchschnittlichen Lebenserwartung, die einem weiblichen Körper statistisch betrachtet zugebilligt wird. (So er in den Nullerjahren zur Erde kam.)
50 Jahre, was ist das schon.

Jeder Findling lacht über uns.

50 Jahre, feierlich? Nein, 50 Jahre seit der grosszügigen Geste derer, die ihr reproduktives System nach aussen geklappt tragen: Ja, ihr Frölleins dürft mitmachen, ein bisschen mitspielen in der Demokratie, 50 Jahre.
Scham darauf, 50 Jahre, was ist das schon, 50 Jahre Scham darauf.
Das ist ein Viertel der Lebensdauer eines Grönlandwals. Es liegt eine Zeit dahinter, in der es Farbfernsehen gab und Bungeejumping, es gab einen Vorhang, der etwas eisern war, aber hey, easy, es gab auch diverse Vorhänge in hiesigen Wohnzimmern, die etwas eisern waren. Und ich bin mir sicher, manchmal hängen da oder dort noch die gleichen Vorhangstoffe an den gleichen Vorhangstangen wie am 7.Februar 1971. Aber hey, ich bin ja auch eine Frau, ich sollte wirklich gerne und von meinem Uterus ausgehend automatisch über Inneneinrichtung nachdenken! Das ist mir halt gegeben!
Item, der siebte Februar 1971, da gab es die Beatles schon und die Stones, der Nummereinshit der Schweizer Charts in der Woche vom 7.2. war MY SWEET LORD von George Harrison, die Pille gab es schon und damit eine lebbare Freiheit namens reproduktive Selbstbestimmung – ein Schritt nach vorne, zwei nach hinten – es gab David Bowie schon, obschon er sich noch
anders nannte, aber er würde es ja für immer tun, dieses anders nennen, es gab Aretha Franklin’s
«Spirit in the dark» und die technologische Basis für die Ingredienzen unserer Handies schon – danke Hedy Lamarr fürs Entwickeln an dieser Stelle! Es gab Harold and Maude; Wirtschaftswachstum war schon eine schläfrige Legende, Fliegen schon erschwinglich, LSD in bestimmten
Kreisen Code gesellschaftlicher Gewandtheit.

Hm, scheinbar musste man bedächtig vorgehen, zaghaft, wenn der Untermensch der Kategorie Frau Forderungen erhebt.

Es gab meine Eltern schon längst, sie waren vor 50 Jahren bereits in das hineingewachsen, was man als MÜNDIG bezeichnet, es gab meine Tanten, die bis Mitte zwanzig von der aktiven Teilhabe an der Staatsgestaltung weit entfernt waren, UND DAS AUFGRUND VON VIER BUCHSTABEN,
DIE IHRE BRÜDER, VÄTER UND EHEMÄNNER, IHRE KOLLEGEN UND BEKANNTEN IN EIN KÄSTCHEN SCHRIEBEN! Es gab einen noch niedrigeren Satz an Frauen in akademischen Berufen und es gab – sofern der Vormund der Frau eine Lohnarbeit erlaubte – einen himmelschreienden Gender-Pay-Gap, welcher – mit schöner Kontinuität in unser achsoliberales Heute – sich sofort weitete, wurde ein vormaliger Männerberuf zu einem Frauenberuf. Und wie zur Genüge bekannt sein dürfte, haben wir ja leider so zu leben, dass Bezahlung-money-cash-cash den individuellen Wert einer Arbeitskraft anzeigt – und somit die Wertschätzung gleich gratis und franko drauf. Es
war die Zeit von Betty Friedan, von WAGES FOR HOUSEWORK, von écriture féminine, von Hélène Cixous an der Sorbonne, von Unruhen im Iran, von Kate Millett, und so weiter und so fort.

Es war einmal ein Jahrzehnt des Aufbruchs gewesen – sexuelle Revolution und so – und wie so häufig, wenn es irgendwo kein Geld zu machen gibt, kamen diese Aufbruchsgelüste etwas später in dieser kleinen Nation an, ich nenne sie fortan kurz

kleinenationstolzaufihrenstoischenkonservatismus.

Hm, scheinbar musste man bedächtig vorgehen, zaghaft, wenn der Untermensch der Kategorie Frau Forderungen erhob, da musste er scheinbar still jene erheben, still, aber kontinuierlich; bescheiden, nicht stolz, nein, sittsam, grossäugig einmal darauf aufmerksam machen, dass es
sein könnte, dass vielleicht, sie vielleicht auch eine Stimme haben dürften, wenn denn der gnädige Herr, also, ohne ihn in die Bredouille bringen zu wollen, oder gar in Verlegenheit zu bringen, nei, Gott verhüte, haha, den gnädigen Herren, nein, nein, vielleicht könnte er sich so sein Tag –

Eine freie Minute
Erlaube diese
nehmen
So das vielleicht vermutlich möglich sein könnte
Eine freie Minute
Darüber nachzudenken
Ob es vielleicht einmal denkbar wäre,
dass pppopopolitische Gleichberechtigung
uswusf. gnädiger Herr, darf ich den Tisch abdecken
Ja ich komme sofort
Oh, das ist aber eine schöne Hand
Wo ist die denn
Oh, auf meinem Po

Nein, diese Geschichte hier ist nicht zu Ende erzählt.

Es ist eine Geschichte von Fortschritt und Rückschritten und ganz, ganz kleinen, ganz, ganz gemächlichen Fortschrittchen, es ist eine Geschichte von Schmerz und Wut und eine Geschichte, die noch kein Ende gefunden hat – feierlich nicht und faktisch nicht.
Und weil sie uns alle bis in unser Innerstes, unser Begehren, unsere Hoffnung von Sicherheit, Nähe, Geborgenheit, unsere vielschichtige Bedürfnislage als Menschen betrifft, ist es eine, die nicht zu Ende erzählt ist.
Nein, sie ist mitnichten zu Ende erzählt, nach 50 Jahren vermeintlicher Gleichberechtigung nicht, nicht, solange ich hier mit dieser Wut sitzen muss, die letztendlich Schmerz ist, nicht, solange das Konstrukt namens DIE GESCHICHTE nicht stärker unter Durchsicht der Teilhabe von Frauen erzählt wird, von ihrem strukturellen Ausschluss an Macht und Verfügungsgewalt, jahrtausendewährend, nicht solange Gender-Pay-Gap ein Ding ist, nicht solange in Filmen Frauen viermal häufiger nackt sind als Männer und halb so viel Redezeit zugeschrieben bekommen, nicht solange Vereinbarkeit von Beruf & Familie keine Selbstverständlichkeit ist, nicht solange Strassenzüge nicht genauso oft Namen von Frauen tragen oder von nichtbinären Personen, nicht, solange die Kinder, die meine Freundinnen und Freunde gebären, nicht in der absoluten Selbstverständlichkeit aufwachsen, dass ihnen offen steht, was sie als Wirkungsbereich suchen,
einwirkend auf ein Zusammenleben EGAL welchen Geschlechts, Geschlechtsempfindens und Auslegung ihrer Geschlechtsteile bedeutungsträchtig für ihre soziale Rolle. Nein, diese Geschichte hier ist nicht zu Ende erzählt, nicht, solange alleinstehende Mütter benachteiligt sind, solange zwei Wochen Vaterschaftsurlaub halbwegs revolutionär erscheinen, nicht, solange nicht breitflächig willkommen geheissen wird, dass wir es hier mit einer Bewegung zu tun haben, die zutiefst sozial ist, die soziale Gerechtigkeit will, die allen dienen kann, ob Männlein, ob Weiblein, ob in dem SCHÖNEN, grossen, weiten Spektrum dazwischen. Nicht zu Ende erzählt, solange Frauen in Gemeindeversammlungen automatisch für Sekretärinnen* gehalten werden, nicht zu Ende erzählt, solange subtil Botschaften diffundiert werden, die die Körperlichkeit von vermeintlich weiblichen Körpern im öffentlichen Raum fokussiert, sie ihnen abträgt, sie von aussen objektifiziert, die Inhaberinnen des Körpers entmenschlicht und monothematisch auf eine sexuelle Funktion reduziert, nicht, solange unbezahlte Care-Arbeit auf die ewig gleichen Schultern zu liegen kommt. Nicht, solange sexuelle und sexualisierte Gewalt z.B. auf Werbeflächen gefeiert wird, nicht solange die Inhaberinnen von weiblichen Körpern
die hohen Kosten der reproduktiven Selbstbestimmung mehrheitlich selbst tragen!
Nicht, solange unbezahlte, ungesehene, unsichtbar gehaltene Hausarbeit irgendwie magisch grösstenteils in die Hände von Frauen kommt – oder von jenen, die es sich leisten können, an häufig migrantische Frauen wegdelegiert wird. Nicht zu Ende erzählt, solange offen queere Menschen
nicht genauso selbstverständlich in öffentlichen Feldern Platz nehmen und haben und behalten, nicht so lange People of Color nicht dieselben Posten und Sichtbarkeiten innehaben. Nein, diese Geschichte ist nicht zu Ende erzählt, solange migrantische Menschen nicht selbstverständlichst das Heft in der Hand haben, nicht solange der regierende Körper – DIE STAATSGEWALT – jene Körper anteilig repräsentiert, aus denen der Gesellschafts, alternativ-Volkskörper gemacht ist!
Nein, diese Geschichte hier ist nicht zu Ende erzählt, nicht, solange an die jahrhundertealte Geschichte des Frauenkampfes nicht erinnert wird in Plaketten an Häusern und in gottgöttinnenverdammten Schulmaterialien, nicht, solange Sexarbeit zu wenig rechtlichen Schutz erfährt, nicht, solange Femizide zur «Familientragödie» euphemisiert werden, zu «Kommen 3 Kinder und 1 Ehefrau bei Familientragödie um» schicksaltiert werden, als wäre ein derart zerstörerischer Aggressor schicksalshaft über sie gekommen.

Okay, und auch nicht, solange flächendeckende Femizide wie z.B. Hexenverfolgung im kollektiven Handeln nicht offenbarer beackert werden.
Und nicht gefragt wird, welche Rufe in die Zukunft das damalige Morden eigentlich gesandt hat.

Diese Geschichte ist nicht zu Ende erzählt, solange wir ständig wissen müssen, was Angela Merkel trägt, nicht zu Ende erzählt, solange eine Frau um vier Uhr morgens in einer Samstagnacht darüber nachdenken muss, ob sie die Strassenseite wechseln muss. Oder telefonierend tun. Ahh ja, es ist 4 Uhr morgens und ich hab jemanden anzurufen, notfalls die Polizeiiii, oder hastig nach einem spitzen Gegenstand im Rucksack suchen.
Nicht, solange Altersarmut bei Frauen statistisch viermal häufiger vorkommt als bei Männern, nicht, solange ein Mädchen automatisch konsolidierendes Verhalten, Stille, Zurücknahme ankonditioniert bekommt, nur aufgrund des Faktes, dass es ein Mädchen ist. Nicht, solange internalisierte Misogynie es durchziehen kann, dass Schönheitsprodukte für Frauen rund ein Drittel teurer sind als jene für Männer. Nicht, solange Regenbogenfamilien nach Dänemark oder wo reisen müssen, um eine Familie zu werden und über deftiges Kapital dahingehend verfügen müssen. Nicht solange nicht solange nicht solange –

Diese Geschichte ist nicht zuende erzählt
Nicht solange
Nicht so viel
Nicht so ganz
Nicht so alles
Haben wollen sollen
Du lieber nicht
Ihr sicher nicht

ABER ICH WAGE ZU WISSEN, DASS EINE DEMOKRATIE, IN DER FRAUEN SYSTEMATISCH UNTERVERTRETEN SIND, KEINE GUTE DEMOKRATIE IST.

Katja Brunner ist Autorin und Dramatikerin und Mitglied des Autorinnenkollektivs Rauf.
Dieser Text entstand als Eröffnungsrede zur Ausstellung zu Iris von Rotens «Frauen im Laufgitter» am Strauhof Zürich. Die vollständige Rede kann nachgehört werden auf strauhof.ch.

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