I Akt: Neue Wege und altes Leid

Bald ein Jahr ist es her, dass die IG Rote Fabrik (IGRF) die Redaktion der Fabrikzeitung mit einem neuen Team, bestehend aus Ana Sobral, Sara Arzu Hardegger und Kira Kynd, besetzt hat. Um das dreistufige Bewerbungsverfahren für uns zu gewinnen, klügelten wir drei Monate lang ein neues Zeitungskonzept aus. Von dem fünfköpfigen Gremium, einschliesslich zwei externer Jurorinnen, war nach Beginn unserer Anstellung nur eine Person weiterhin in der IGRF tätig.

Der Roten Fabrik schien es ernst mit ihrer Transformation. Seit kurzem mit einem neuen Vorstand ausgestattet, Diversity-Training für das gesamte Haus und nun mit frischem Wind aus der Zeitungsredaktion setzte das alternative Kulturzentrum neue Töne. Es galt, den alten achtziger Staub abzuschütteln, die Eigenbrötelei gegen gelebte Kollektivität zu tauschen und endlich Vielfalt zwischen die roten Steinmauern zu bringen. Dass sich zwischen diesen Mauern aber schon lange etwas zusammenbraute, konnten wir zu dieser Zeit noch nicht erahnen.

Die ersten Monate als neues Redaktionsteam waren wir damit beschäftigt, unser Konzept umzusetzen, uns in den neuen Job und die administrativen Aufgaben einzuarbeiten, die Altlasten der vorherigen Zeitung zu bewältigen und uns in die Kollektivstrukturen der IGRF einzufinden. Selbstorganisation in der Roten Fabrik hiess in unserem Fall, wirklich auf uns allein gestellt zu sein.

Im Sommer erarbeiteten wir zusammen mit Ann Mbuti, Ivona Brđanović, Nicolle Bussien und Vanja Ivana Jelić, die unsere erweiterte Redaktion für das erste Jahr bilden sollten, die erste Ausgaben der neuen Zeitung. Die Idee, jährlich eine Gruppe von Menschen aus verschiedenen Kontexten als erweiterte Redaktion einzuladen, um Themen zu setzen, Beiträge zu planen und inhaltlich zu kuratieren, war das Herzstück unseres neuen Zeitungskonzeptes. 

Der Gedanke dahinter war ganz im Sinne des angestrebten neuen Charakters der Roten Fabrik: Mehrstimmigkeit fördern, mit Synergien arbeiten und dabei sowohl inhaltlich als auch formell progressiv, experimentell und flexibel sein. Mehrere Wochen lang steckten wir unsere Köpfe zusammen, handelten unsere Arbeitsweise aus, erarbeiteten Schwerpunkte, verwarfen sie wieder, erdachten uns neue und einigten uns schliesslich auf die ersten Beiträge und das Fokusthema.

Doch bereits nach wenigen Wochen in unserer neuen Anstellung wurde unsere Tätigkeit in Frage gestellt. So vermittelte uns eine Person der Finanzkommission, dass unser Konzept nicht haltbar und zu teuer sei – obwohl wir das vorgesehene Budget einhielten. Auch gab es einzelne Unstimmigkeiten darüber, wie viel Kommunikationsarbeit die Fabrikzeitung für den Gesamtbetrieb leisten sollte. Wir wussten bereits, dass diese Verhandlungen Tradition hatten und liessen uns nicht weiter beirren.

Einige Woche später aber – wir hatten nach monatelanger Planung endlich alle Anfragen für die geplanten Beiträge der ersten Zeitung verschickt – erreichte uns die erste fatale Nachricht. 

II Akt: Lobbyarbeit für Lohnarbeit

Der Betrieb müsse in naher Zukunft über eine halbe Million Franken weniger ausgeben als eingeplant, hiess es von Seiten des Vorstandes im Oktober. Die Zeit nach der Pandemie habe höhere finanzielle Einbussen verursacht als bisher angenommen. Der Umbau der Aktionshalle, der grössten Veranstaltungshalle der Roten Fabrik, verstärke diesen Zustand weiter. Zusammen mit der notdürftigen Betriebsorganisation der letzten Jahre führte dies schliesslich zu der derzeitigen finanziellen Lage.

Es folgten lange kollektive Budgetverhandlungen. Alle Bereiche strichen ihr Programm und ihre Stellenprozente, wo sie nur konnten. Es war ein schmerzhafter Prozess für den gesamten Kulturbetrieb. Immer wieder kam auch der äusserst unangenehme Vorschlag auf, die Fabrikzeitung oder das Konzeptbüro als ganzen Bereich zu streichen. Der Betrieb äusserte sich aber Einstimmig dazu, keine Bereiche einstellen zu wollen. 

Stimmen aus der Finanzkommission vermittelten uns, dass es besser gewesen wäre, hätte die IGRF den Neuanfang der Zeitung um ein Jahr verschoben. Da noch keine Zeitung gedruckt war und wir als neues Team stark unter Druck gerieten, entschieden wir kurzerhand, unsere Produktionsgelder im nächsten Jahr ans Kollektiv abzutreten. Das hiess, dass es ein Jahr keine gedruckte Zeitung und keine erweiterte Redaktion geben würde, dafür digitalen Journalismus aus der Kernredaktion. Immerhin galt es, zukünftig über eine halbe Million an kollektiven Ausgaben zu verhindern.

Nach dieser Entscheidung wurde uns von Kolleg*innen im Betrieb geraten, nun ordentlich in «Lobbyarbeit» für unseren Bereich zu investieren. Denn wer sich in der IGRF nicht wichtig macht, wer zu wenig Verbündete im Betrieb oder auf politischer Ebene hat, läuft Gefahr, gefressen zu werden. Zu diesem Zeitpunkt schien uns, als sei die Eigenbrötelei der einzelnen Bereiche leider noch nicht überwunden. Auch kollektive Opfer zu bringen, sollte sich als individuellen Nachteil für unseren Bereich statt als kollektiven Vorteil für den Betrieb entpuppen.

III Akt: Liquidität statt Solidarität

Viel Zeit, für unsere eigenen Anstellungen zu lobbyieren blieb uns allerdings nicht. Denn zwei Wochen später – wir hatten gerade ein neues Konzept für das kommende Jahr ohne Produktionsbudget aufgestellt – kam es zum Supergau. Erst per Mail und dann explizit über Zoom teilte uns der Vorstand mit, dass der Betrieb in einer doppelt so grossen finanziellen Misere stecke, als bisher angenommen. In dieser ausserordentlichen Lage müsse der Vorstand nun selbstständig Massnahmen beschliessen: An der kompletten Streichung der Fabrikzeitung und unseren Kündigungen führe nichts vorbei, teilten uns die angespannten Gesichter zweier Vorstandmitglieder per Videokonferenz mit.

Kurz darauf folgte eine ausserordentliche Versammlung des gesamten Betriebes, um die neuen Massnahmen offiziell zu verkünden. In dem kleinen Saal sassen die Vorstandsmitglieder nebeneinander, dem Rest des Betriebes frontal gegenüber. Wir setzten uns auf die freien Plätze in der ersten Reihe. Man erlaube sich, die Veranstaltung abzubrechen, käme es zu Ausschreitungen, eröffnete der Vorstand seine Rede. Am Rand des kleinen Saals stand eine Vertreterin der Schlichtungsstelle und eine Person für psychologische Betreuung bereit. Von Schuld wolle man nicht sprechen, hiess es weiter; aber auch von Verantwortung sprach niemand. Danach lasen die Vorstandsmitglieder ihr Vorhaben, in juristischer Wortwahl verfasst, von einem Zetteln ab: Um die Liquidität des Betriebes zu sichern, sollten neben der Fabrikzeitung auch das Konzeptbüro sowie die Kleinbereiche Dock18 und Fabrikvideo «sistiert» werden. Die Konditionen unserer Kündigungen plante der Vorstand in Einzelgesprächen zu verhandeln und unsere Schicksale noch vor Ende des Jahres zu besiegeln.

Die IGRF hatte uns also als neues Zeitungsteam angestellt, um uns ein dreiviertel Jahr später wieder zu entlassen. Unsere Kündigung sollte gleichzeitig das Ende der Fabrikzeitung bedeuten, die ausgerechnet dieses Jahr ihr vierzigjähriges Bestehen gefeiert hätte. In diesen vierzig Jahren gehörte es bereits zur Tradition der Fabrikzeitung, in ihrer Existenz in Frage gestellt zu werden. Mindestens zweimal, 2001 und 2005, versuchten Teile der IGRF, ihre eigene Zeitung abzuschaffen.

Mit Wut im Bauch und Gewerkschaft im Rücken schlossen wir uns mit den anderen betroffenen Bereichen zusammen, um uns gegen unsere Sistierungen als Finanzmassnahme zu wehren. Die Frage, ob wir dieses spontane, hierarchische und unkollektive Vorgehen über uns ergehen lassen würden, stellte sich für uns nicht. Für den Erhalt unserer Bereiche zu kämpfen, ergab aber nur dann wirklich Sinn, wenn wir auch den Rest des Betriebes solidarisch hinter uns wussten. Da alle Personen der IGRF bereits von den Strapazen der letzten Monate belastet und die kollektiven Ressourcen bis aufs Zahnfleisch aufgebraucht waren, wehrte sich zu diesem Zeitpunkt niemand ausser uns sichtbar gegen die Massnahmen des Vorstandes. 

Mitte Dezember luden wir deshalb zu einer Versammlung des gesamten Betriebes ein und holten die Stimmen aus den übrigen Bereichen der Roten Fabrik ab. Die Ratlosigkeit, Erschöpfung und Angst war allen deutlich ins Gesicht geschrieben. Siebzehn Personen stimmten unserem Vorhaben zu, die Entscheidung des Vorstands abzulehnen und einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, der keine Sistierungen enthielt. Eine Person stimmte dagegen und zwei enthielten sich. Wenige äusserten sich explizit, die meisten waren einfach müde.

Statt an den vorgesehen Einzelgesprächen, verhandelten wir einige Tage vor Weihnachten gemeinsam und mit Rückendeckung des Betriebes unsere Zukunft mit dem Vorstand. Zu unserem Erstaunen behaupteten die Vorstandsvertreter*innen in dem konfusen Gespräch plötzlich, dass die angekündigten Massnahmen schon je auf Verhandlungsbasis zu verstehen gewesen seien. Da es zu keiner Einigung gekommen sei – was meint, dass wir uns gegen unsere Eliminierung wehrten – gewährten sie uns einen Monat Zeit, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten, der unsere Kündigungen verhindern sollte. Unsere letzte Errungenschaft des Jahres 2023 war die Zusicherung des Vorstands, bis Ende des Jahres keine Kündigungen für Personen in den betroffenen Bereichen zu veranlassen.

IV Akt: Gemeinschaftlichkeit als Finanzfaktor

Wieder arbeiteten wir einen Monat lang ein neues Konzept aus, wälzten Zahlen und strichen Programm- sowie Personalkosten radikal runter. Mehr noch als um unsere eigenen Anstellungen ging es um das Überleben der Bereiche, die mit ihren kritischen und diskursiven Inhalten die IGRF jahrzehntelang massgeblich geprägt haben und einmalig in der Zürcher Kulturlandschaft sind. Diese Tatsache und die neu gewonnene Verbindung zwischen den sistierten Bereichen bildete die Grundlage für unseren Gegenvorschlag: die Fusion zu einem neuen Bereich, dem Diskursbüro. Die Idee war, über mehrere Wochen hinweg gemeinsam gesellschaftspolitische Fokusthemen in verschiedenen Formaten wie Podien, Publikationen oder Diskussionsrunden zu bearbeiten. Das Fabrikvideo sollte als Kleinbereich mit minimalem Produktionsbudget und ohne Lohnkosten weiter bestehen bleiben, wie bisher.

Natürlich würde es immer teurer sein, uns weiterhin anzustellen, als uns zu entlassen. Trotzdem kamen wir mit unserem Vorschlag der Rechnung des Vorstands und der Finanzkommission erstaunlich nahe. Nicht zuletzt, weil wir bereits ein Teammitglied aufgrund eines Burnouts verloren hatten und eine weitere Person sich einen neuen Job gesucht hat. Als Übriggebliebene waren wir nicht nur von der inhaltlichen Relevanz unseres Vorschlags überzeugt, sondern auch davon, dass Zwischenmenschlichkeit ein essentieller Finanzfaktor ist. Denn was soll aus einem Kollektivbetrieb werden, der in einer Notlage derart unsolidarisch agiert?

Ende Januar 2024 präsentierten wir unseren Fusionsvorschlag erst dem Betrieb, den wir zwar inhaltlich überzeugen konnten, dessen Angst vor dem heraufbeschworenen Zusammenbruch der Roten Fabrik jedoch mehrheitlich überwiegte. Die Sistierung unserer Bereiche versprach die vermeintliche finanzielle Sicherheit, nach der sich alle schmerzlich sehnten. Trotzdem stimmte der Betrieb mit grosser Mehrheit für unseren Vorschlag.

Später legten wir unsere Massnahmen auch dem Vorstand vor, der unsere Idee nicht sonderlich innovativ fand, uns gemeinsam mit Personen aus der Finanzabteilung Legitimationsfragen stellte und unsere angestrebten Leistungen mit anderen Bereichen verglich. Finanziell zu unsicher, lautete auch hier der Tenor. Ausserdem gefährde unsere weitere Existenz die internen Transformationsprozesse, die mit Hilfe des Diversity-Trainings und der Neuorganisation der Kollektivstrukturen die zukünftige Basis der IGRF bilden sollten. 

Doch noch bevor der Vorstand seine definitive Entscheidung fällen konnte, meldete sich der Betrieb – bis heute ist unklar, wer genau – spontan mit einem neuen Vorschlag. Dieser lautete, dass wir als Fabrikzeitungsteam innerhalb unserer dreimonatigen Kündigungsfrist ein Crowdfunding zur Finanzierung unserer eigenen Löhne für die nächsten eineinhalb Jahre auf die Beine stellen könnten. Dann, so hoffte der Betrieb, sei eine Fusionierung vielleicht umsetzbar. Die finanzielle Unsicherheit bis dahin sollten wir allerdings auf unseren eigenen Schultern tragen.

Kurzdarauf kam die endgültige Mail des Vorstandes: «Aufgrund der notwendigen finanziellen betrieblichen Stabilisierung» könne die Fabrikzeitung nicht weitergeführt werden. In einigen Tagen erreiche uns die schriftliche Kündigung. Man bedaure diesen grossen Einschnitt sehr. Für allfällige Zukunftsszenarien seien die neuen sogenannten Governancekreise zuständig. 

Die beiden Mitarbeiterinnen des Konzeptbüros – eine davon steht nach ihrer zwanzigjährigen Anstellung in der IGRF nur eineinhalb Jahre vor ihrer Pension – wurden vorerst begnadigt und das Fabrikvideo wird ab Sommer 2024 eingestellt. 

Bislang hat sich die Rote Fabrik noch nicht offiziell an die Stadt Zürich gewendet, um einmalige Mittel zur Verhinderung unserer Kündigungen zu beantragen, obwohl sie von der Stadt subventioniert wird. Zu gross ist die Angst, ihr Gesicht zu verlieren oder sich zukünftige Subventionserhöhungen zu vermasseln. Das Ganze auf eine politische Ebene zu ziehen, hat uns der Vorstand unlängst gewarnt, würde uns allen schaden.

Anfang Februar trafen unsere Kündigungen per Post ein. Unsere Anstellungen laufen per Ende April aus. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem wir unser einjähriges Bestehen als neue Redaktion und den vierzigsten Geburtstag der Fabrikzeitung gefeiert hätten. 

Die derzeit vielleicht einzige Möglichkeit, die Existenz der diskursiven Bereiche Konzeptbüro und Fabrikzeitung, deren Arbeitsplätze sowie das Fabrikvideo zu erhalten, besteht in der Verhandlung mit der Stadt Zürich. Wenn ihr mitbestimmen wollt, was in der Roten Fabrik passiert, könnt ihr  unter rotefabrik.ch/mitmachen Mitglied werden.

Dank

Wir möchten uns bei allen Personen der IG Rote Fabrik bedanken, die sich trotz der schwierigen und unsicheren Lage der letzten Monate solidarisch mit den betroffenen Personen und den sistierten Bereichen gezeigt haben. Zudem möchten wir uns herzlich bei den ebenfalls massgeblich betroffenen Kolleg*innen des Fabrikvideos und Konzeptbüros für ihre Unterstützung bedanken, deren Gemeinschaft uns hoffnungsvoll stimmt und fortlaufend gestärkt hat. Ein weiterer Dank geht an die Druckerei Ropress in Zürich, die 40 Jahre lang die Fabrikzeitung gedruckt hat und uns in dieser Notlage mit einem reduzierten Produktionspreis unterstützt hat. Ohne diesen Beitrag hätten wir dieses Blatt nicht verwirklichen können.

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