Streiks sind in der Schweiz eigentlich ein seltenes Ereignis. Nahezu nirgends sonst in Europa wird die Arbeit so selten niedergelegt wie hierzulande. Nach dem Landesstreik von 1918 kam es lediglich während des zweiten Weltkriegs zu weiteren grossen Streikbewegungen. Für lange Zeit danach konnten Konflikte durch Verhandlungen, Gesamtarbeitsverträge oder direktdemokratische Einbindung erfolgreich entschärft werden. Während der wirtschaftlich erfolgreichen Jahrzehnte zwischen den 1950er und den 1970er Jahren waren Streiks in der Schweiz nahezu inexistent. Der Aufschwung ermöglichte Vollbeschäftigung und Erfolge bei den Verhandlungen über Lohnerhöhungen, Arbeitszeit und anderen Arbeitsbedingungen. Seit der Jahrtausendwende müssen wir jedoch immer häufiger dabei zusehen, wie die Bedingungen der Arbeit zunehmend einseitig festgelegt werden. Die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Umstände, die immer noch unerfüllten Forderungen nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, die fortdauernden Angriffe auf bisher erkämpfte Errungenschaften des Sozialstaates und die libertären Modelle der digitalen Elite stellen Arbeitnehmer wie Arbeitgeber vor entscheidende Herausforderungen.

In Bezug auf die Arbeit stehen wir heute mit einem Fuss bereits in der vierten industriellen Revolution, aus gesellschaftlicher Perspektive öffnet sich die Vermögensschere seit Jahren, trotz einer Finanzkrise, ungebremst. Es ist darum wenig erstaunlich, dass Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen wieder zu neuer Bedeutung kommen. Wenn es nicht gelingt, gemeinsam tragbare Lösungen zu finden, dann ist es heute scheinbar auch in bisher streikarmen Branchen möglich, dass die Arbeit bald einmal niedergelegt wird.

So wie bei der Schweizerischen Depeschenagentur sda. Die viertägige Arbeitsniederlegung der Redaktion Ende Januar führte zu einer breiten Publizität und zu einer Solidarisierung mit ihren Anliegen. Der Streik ist ein Aufschrei einer Belegschaft, der keine Möglichkeit zur Verhandlung offen stand. Die Gründe, die zum Streik und zu der breiten Solidarisierung führten, zeigen aber auch auf, wie ausgedünnt die journalistische Versorgung inzwischen ist. Sogar bürgerlich dominierte Kantone äussern sich gegenüber dem Verwaltungsrat der sda besorgt über die Zukunft der Grundversorgung mit Berichterstattung aus den Regionen.
Dass es so weit kommen konnte, hat mit den seit der Jahrtausendwende sinkenden Ressourcen der Medienhäuser und dem damit einhergehenden steigenden Leistungsdruck der Journalisten und Redaktoren zu tun. Die Rationalisierung der Nachrichtenbeschaffung über Nachrichtenagenturen gewinnt insbesondere dann an Bedeutung, wenn den journalistischen Redaktionen die personellen oder zeitlichen Ressourcen fehlen, um selbst Recherchen zu betreiben. Gerade vor diesem Hintergrund wird die Berichterstattung durch die sda als nüchterner, sensationsfreier Dienst an der Gesellschaft verstanden und geschätzt. Ihre Agenturmeldungen gelten als unabhängige, unideologische Informationsquellen. Damit übernehmen sie neben der Nachrichtenbeschaffung auch eine Validierungs- und Relevanzfunktion in der öffentlichen Kommunikation. Da die sda den Verlagen gehört, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch sie mit Forderungen nach Effizienzsteigerung konfrontiert wurde. Die Sparwut der Verlage hat inzwischen das Knochenmark des Journalismus erreicht.

Die Sensibilisierung dafür, wie wichtig eine nüchterne, den Fakten verpflichtete Berichterstattung ist, hat bei vielen bereits mit der Diskussion um Filterblasen, manipulierten Wahlkampf und die Aufgaben eines Service Public begonnen. Die Diskussion über die Bedeutung und die Aufgaben eines öffentlich finanzierten Rundfunks, sowie die Konsequenzen deren Abschaffung im Falle einer Annahme von der No-Billag-Initiative, haben den Anliegen der Redaktion der sda bereits eine Schneise geschlagen. Die breite Solidarisierung mit der sda ist aber auch deshalb interessant, weil hier eine private Monopolstellung gegen den freien Markt verteidigt wird. Sogar das Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft fög bezeichnet die von der sda 2010 erreichte Monopolstellung als problematisch. Vor allem die nationale und regionale Berichterstattung ist in grossem Masse von Agenturmeldungen abhängig. Ohne die Arbeit der sda würden vor allem die tagesaktuellen Medien – wie auch in dieser Ausgabe sichtbar – bedeutend leerer aussehen. So beträgt der Anteil an als solche gekennzeichneten Agenturmeldungen bei den untersuchten grossen deutschschweizer Tageszeitungen 33%. Der Anteil dürfte laut der Untersuchung jedoch deutlich höher liegen, wenn berücksichtigt wird, dass z.B. die Zeitungen 20 Minuten und der Blick die Agenturmeldungen weitgehend nicht ausweisen.

Die seit 2010 eingetretene faktische Monopolstellung der sda hat dabei auch zu einem höheren Anspruch an die Qualität ihrer Arbeit geführt. Es scheint, dass der damit erreichte ursprüngliche Vorteil gerade deshalb zu einem Bumerang für den Verwaltungsrat werden könnte. Zwar fühlt sich CEO Markus Schwab zu keinem kostenlosen Service Public verpflichtet, doch gäbe es nebst der sda noch eine alternative Nachrichtenagentur in der Schweiz, wäre der Aufschrei wohl kaum so gross gewesen. Als Monopolist muss sie deshalb mit denselben Ansprüchen an seine Leistungen leben wie ein staatlicher Betrieb. Es ist bekannt, dass der Bundesrat in diesen Tagen entscheiden will, ob die sda ab 2019 mit jährlich 2 Millionen Franken aus der Medienabgabe unterstützt werden soll. Die Idee wird jedoch kompliziert, wenn man die aktuellen Entwicklungen berücksichtigt. Die planlosen Sparübungen bei der sda dienen vor allem dazu, sie für die Fusion mit der Bildagentur Keystone fit zu machen. Die dabei neu entstehende Agentur wäre zu gut einem Drittel in der Hand der auf Gewinn orientierten österreichischen APA. Die geplante Subvention würde damit zumindest teilweise auf direktem Weg als Gewinn an die beteiligten Unternehmen abfliessen. Das Fehlen eines über Entlassungen hinausgehenden Planes, die nicht vorhandene Verhandlungsbereitschaft des Verwaltungsrates, die Aussicht auf staatliche Unterstützung bei gleichzeitig bevorstehender Eingliederung in einen gewinnorientierten Betrieb macht eine Lösung des Konflikts nicht einfacher.

Das damit zunehmende Mistrauen gegenüber dem Markt trägt letztlich auch dazu bei, dass die Solidarisierung einer breiten Öffentlichkeit wieder vermehrt möglich scheint. Das zeigen nicht nur die Beispiele der sda und der SRG: Auch im Pflegebereich sind Streiks inzwischen kein Tabu mehr. Es scheint, dass Optimierung und Synergiennutzung sich auch in den Dienstleistungsbranchen einem Punkt nähern, bei dem die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine anderen Mittel mehr sehen, als die Arbeit niederzulegen, damit ihre Anliegen gehört werden. Hundert Jahre nach dem Landesstreik scheint es, dass sich der Kurs dreht. Und Käse wieder teurer wird könnte.

Ivan Sterzinger ist ein ehemaliges Redaktionsmitglied der Fabrikzeitung.

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