«Hätten wir auch eine Phantastik wie eine Logik, so wäre die Erfindungskunst erfunden», schrieb der Schriftsteller und Philosoph Novalis vor über zweihundert Jahren. Heute findet sich an den Hochschulen zwar noch immer kein Lehrstuhl für «Phantastik», doch wird das Fantastische in der Literatur und der Kunst, in der Psychologie und Pädagogik ständig erforscht – und von Unterhaltungsindustrie und Techkonzernen als Strategie zur Profitsteigerung eingesetzt. In Büchern, Filmen oder Spielen tauchen wir aus der «Realität» in andere Welten ab – dabei soll das Fantastische in letzteren dank 3D, Virtual Reality etc. je länger je mehr möglichst real wirken.

Ausserdem hilft uns die Fantasie, Lösungen für Probleme zu finden, indem mögliche – und unmögliche – Szenarien in einer gedanklichen Simulation durchgespielt und evaluiert werden können. Fantasie ist also in unserer Zeit längst nicht mehr für Kinder reserviert. Zwar besteht in der kindlich vorrationalen Welt das Wunderbare und Fantastische noch aus begriffsloser Selbstverständlichkeit – Realität, Mythen und Märchen gehen ineinander über. Erst mit zunehmender Sozialisierung wird Kindern antrainiert, die (angeblichen?) Grenzen zwischen realistischem und fantastischem Erleben zu erkennen. Wir scheinen jedoch erstmals in einer Epoche zu leben, in der wir nicht aufhören, uns wie Kinder zu verhalten. Nicht nur für sogenannt Kreativarbeitende ist ein ungebrochener Zugang zu Fantasie unerlässlich geworden; und das lebenslange Lernen auf dem Arbeitsmarkt wird mittlerweile in jedem Bereich als selbstverständlich vorausgesetzt. In dieser Ausgabe erforschen wir Prozesse der Imagination und untersuchen die Kunst, fantastische Geschichten zu erzählen: Wie geht erfinden? Wie schaltest du die Fantasie an? Zu welchem Zweck? Es schreiben und erzählen: Eine Science Fiction Autorin, ein Märchenforscher, ein Fantasie-Astronaut, zwei Kunstvermittlerinnen, Schriftsteller und ein als Archäologe getarnter Künstler.

Die vorliegende Ausgabe wurde in Zusammenarbeit mit der Shedhalle begleitend zur Ausstellung «Studio Eine Phantastik» entwickelt, die zwischen 25. Mai und 29. Juli 2018 in der Shedhalle zu sehen ist. Die Ausstellung «Studio Eine Phantastik» wurde von Paolo Do und Salvatore Lacagnina konzipiert und die erste Umsetzung wird in der Shedhalle Zürich von Annette Amberg, Paolo Do, Egija Inzule und Salvatore Lacagnina realisiert.

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