Ich mochte Pornos lange Zeit gar nicht. Als Teenie führte mich meine Neugier als erstes, klar, zu YouPorn. Die Filme, die ich dort fand, enttäuschten mich aber über alle Massen: Ein bisschen Rumrubbeln, ein paar Stellungswechsel, ein bisschen Rein-Raus und schliesslich ein Sperma-beschmiertes Frauengesicht. Fand ich nicht cool, interessierte mich fortan nicht mehr. Als Feministin störte mich ausserdem massiv die dämliche Darstellung von Frauen in 08/15-Pornofilmen: Das dumme Fickhäschen, das nach drei Minuten Rumhampeln kommt. So langweilig! Ich gab das Porno-Schauen auf. Bis ich die Erotikfilme von Erika Lust entdeckte: Darin Menschen, die Spass daran haben, miteinander zu schlafen und dabei erst noch aussehen, wie normale Menschen eben aussehen, wenn sie Sex haben. Lusts Filme gelten als feministischer Porno: Sie sind ästhetisch und laufen nicht nur auf den obligaten Cumshot heraus. Stattdessen erzählen sie Geschichten; sie setzen sich mit einer tieferen Charakterzeichnung der Figuren (vor allem der Frauen, muss man fairerweise zugeben) auseinander und unterscheiden sich damit vom Mainstream-Porno. Trotzdem denkt ihr jetzt vielleicht: «Feminismus und Porno – wie passt das denn zusammen?» Das habe ich mich auch gefragt. Und deshalb mit Erika Lust über Stereotypen in Pornos und ‹50 Shades of Grey› gesprochen – und darüber, warum die Pornobranche Feministinnen dringend braucht.

Miriam Suter: Erika, wann hast du deinen
ersten Porno gesehen?

Erika Lust: Das war als Teenager, während einer Pijama-Party bei einer Freundin. Eine von uns hat in einem Versteck ihres Vaters – ein ziemlich schlechtes Versteck, haha – eine Porno-DVD gefunden.

Und wie wars?

Wir waren alle total aufgeregt! Endlich sollten die Geheimnisse, die sich ums grosse Thema Sex rankten, gelüftet werden! Aber was sahen wir? Eine Frau mit gigantischen Brüsten, die ihre vollen roten Lippen um einen riesigen Penis schlingt. Der Penis gehörte einem Typen, der gerade das Auto der Monsterbrüste-Frau repariert hatte. Es war unglaublich enttäuschend! Wer waren diese Leute? Ich fand sie weder attraktiv, noch konnte ich mich mit ihnen identifizieren oder fand die Art und Weise, wie sie zusammen Sex hatten, aufregend oder gar ansprechend. Wir fühlten uns irgendwie betrogen um eine wichtige Erfahrung. Also kam die DVD zurück ins Versteck und das war’s fürs Erste.

Ich kann dich gut verstehen. Mich stört diese übertriebene, unnatürliche Darstellung von Sex und Menschen in Mainstream-Pornos auch.

Abgesehen von Darstellern mit Wassermelonen-Brüsten und Riesenbeulen in der Hose: Die Mainstream-Pornobranche ist vor allem überflutet mit sich wiederholenden, fantasielosen, chauvinistischen Filmen, produziert von den immer gleichen Arten von Männern. Die Frauen werden objektiviert und benutzt für das Vergnügen der Männer – aber niemand kümmert sich um sie. Heute ist «Porno» ein dreckiges Wort und wird assoziiert mit etwas Unanständigem, etwas Billigem, etwas, was einem peinlich sein sollte. Guter Sex sollte aber niemandem peinlich sein!

Woher kommt eigentlich dieses stereotype Sexkätzchen-Image von Frauen in Pornos?

Ja, ich weiss, schrecklich, oder? Als ob alle Frauen ständig verzweifelt versuchen, jederzeit Sex zu haben, in allen möglichen Positionen, egal mit wem! Diese männliche Fantasie ist doch genau so schädlich und naiv wie die klischierte Vorstellung vom Prinz Charming, die vielen Frauen zugeschrieben wird. Aber woher das kommt? Ich denke, die Jahrhunderte voller Chauvinismus haben ihren Teil dazu beigetragen.

Und wird es besser?

Definitiv. Die Rolle der Frau im Porno verändert sich, wie sie sich aktuell in vielen Bereichen der Gesellschaft verändert. Naja, vielleicht ist es im Porno-Bereich etwas komplizierter, weil das nunmal traditionell eine speziell chauvinistische Branche ist.

Wie können wir als junge Frauen zu dieser
Veränderung beitragen?

Ich glaube ehrlich gesagt nicht mehr daran, diesen Stereotyp der Frau im Porno zerstören zu können. Viel wichtiger finde ich, aufzuzeigen, wie langweilig eben diese Stereotypen sind. Wie idiotisch und total von gestern. Für mich ist der Weg aus dieser Misere wirklich, Filme zu produzieren, die Frauen sehen wollen. Ich will andere Frauen dazu inspirieren, leitende Rollen im Erotikbusiness zu ergreifen: Als Regisseurinnen, Produzent-
innen, Drehbuchautorinnen, und so weiter. Meine Crew zum Beispiel besteht fast vollständig aus Frauen! So bekommen Frauen eine stärkere Stimme in dieser Branche und so können wir die Filme machen, die wir wollen: Kreativ, intelligent, realistisch und vor allem sex-positiv, für Frauen und Männer als gleichgestellte Individuen.

Was ist mit den Männern – sie leiden auch unter den schlechten Neben-Effekten, die Pornos haben können.

Auf jeden Fall. Die Lösung liegt aber auch hier im Feminismus, in der Gleichstellung der Geschlechter. Männer sollten genau so realistisch dargestellt werden wie Frauen, gleichermassen leidenschaftlich sein dürfen, und vor allem sollten viel mehr unterschiedliche Männerbilder in Pornos dargestellt werden, gerade im Mainstream. Nicht alle mögen diese mehr als gut ausgestatteten Muskelprotze – und vor allem sehen nicht alle so aus! In der Realität gibt es viel mehr Diversität: Dünne Männer, haarige Männer, pummelige Männer, und so weiter. Männer sollen sich genau so mit den Charakteren in Pornofilmen identifizieren können wie Frauen!

Ich kenne einige deiner Filme und mag sie sehr. Allgemein werden deine Pornofilme als «feministischer Porno» beschrieben. Was ist dir wichtig bei deinen Projekten?

Feminismus impliziert für mich, dass der Hauptfokus auf der Sicht der Frau liegt. Das ist mir nicht nur bei meinen Filmen wichtig. Es beeinflusst meinen Charakter, meine Person, wie ich denke und wie ich meine Töchter erziehe. Es ist also unvermeidlich, dass Feminismus immer ein Teil meiner Arbeit ist. So ähnlich wie Gadgets, Explosionen und Mädchen in Bikinis immer selbstverständlich Teil eines James Bond Filmes sind.

Wie genau spiegelt sich das in deinen Filmen wider?

Meine erotischen Filme sind feministisch, weil sie chauvinistische, sexistische Klischees vermeiden. Stattdessen sind die Frauen im Zentrum: Der Fokus liegt auf unseren Bedürfnissen, unserer Leidenschaft und unserem Verlangen. Vor allem aber sind meine Filme lustig und sexy! Mir ist wichtig, dass die Filme smart und fantasievoll sind – immer aus der weiblichen Perspektive. Meine Absicht ist, sexuell zu inspirieren und natürlich die Zuschauer zu erregen. Darum ist es mir wichtig, kreativ, zeitgenössisch und realistisch zu sein. In meinen Filmen will ich mit professionellen und Laien-Darstellern in schönen, stilvollen Film-Sets die sexuellen Fantasien von Frauen, Männern und Paaren anregen und stimulieren.

Wie wählst du deine Darsteller aus?
Kann man sich bewerben, gibts eine Art Casting?

Vielfalt ist mir extrem wichtig, wenn ich den Cast auswähle. Wir versuchen, Leute zu finden, die die Geschichte und die Charakteren des jeweiligen Films am besten verkörpern. Menschen mit Ausstrahlung und Lebendigkeit, und natürlich ist auch wichtig, dass wir uns auf persönlicher Ebene verstehen. Ich drehe nicht mit Leuten, die nicht dieselben Moralvorstellungen und Ziele haben wie ich. Ausserdem suchen wir immer Leute, die nicht wie die typischen Porno-Darsteller aussehen – wie vorher schon beschrieben. Wir wollen natürliche Männer und Frauen in unseren Filmen, mit einer gewissen Ästhetik. Unsere Darsteller sollen auch ausserhalb vom Bett tolle Menschen sein. Das können Schauspieler aus der professionellen Porno-Branche sein, aber auch ganz «normale» Leute, die Lust darauf haben. Diese Kombination funktioniert immer sehr gut!

Und wie kommen die Leute zu euch?

Professionelle Darsteller, die wir gerne für einen Film wollen, kontaktieren wir direkt via Twitter – oder sie fragen mich selbst an, weil sie einen meiner Filme gesehen haben und mitmachen wollen. Interviews führen wir oft via Skype, um abzuschätzen, ob die Person für die Rolle geeignet ist. Wenn alles stimmt, kann’s los gehen. Und natürlich sehen wir uns wirklich viele Pornos an, um neue Darsteller zu finden. Als Recherche, sozusagen!

Ich kenne viele Feministinnen, die von sich behaupten,
überhaupt keine Pornos zu schauen. Kriegst du auch negative Reaktionen von Feministinnen zu deinen Filmen?

Klar! Oft sogar, denn Porno ist auch unter Feministinnen ein immer noch sehr kontroverses Thema. Viele sehen es immer noch als sextisch an, was es in vielen Fällen ja auch ist. Aber ich bin eine Sex-positive Feministin. Das bedeutet, dass Erwachsene miteinander Sex vor einer Kamera haben können, wenn sie wollen. Ich finde auch, dass Frauen fähig sein sollten, Pornos zu schauen, wie es Männer seit Jahren tun.

In deinem Buch ‹La Cancíon de Nora› geht es um die 24-jährige Nora, die sich nicht zwischen zwei Männern entscheiden kann. Ein erotischer Roman – deine Antwort auf ‹50 Shades of Grey›?

Mh, ich denke, mein Schreiben fällt in ein anderes Genre. Man könnte sagen, ‹50 Shades of Grey› ist ein Buch für Anfänger (lacht). Nein, ernsthaft, der Hauptunterschied ist, dass meine weiblichen Hauptcharaktere – in meinen Filmen wie auch in meinem Buch – stark sind und den Lead übernehmen. Sie sind neugierig und warten nicht auf den Mann, der sie rettet und ihnen zeigt, wie das geht im Bett.

…wie Christian Grey, der Ana Steel in E.L. James’ Roman endlich zeigt, wie man «richtig Sex hat»?

Genau. Das hat nämlich nichts zu tun mit Unterwerfung in eine BDSM-Beziehung – dieses Thema kommt übrigens meiner Meinung nach ganz schön lahm daher in ‹50 Shades of Grey›. BDSM wird da total unrealistisch dargestellt, von einem sehr männlichen Standpunkt aus. Andererseits realisieren Frauen nach dem Wahnsinnserfolg dieses Romans jetzt, dass es vollkommen okay ist, erotische Literatur zu lesen und gut zu finden. Vielleicht werden einige 50-Shades-Leserinnen jetzt neugierig und bekommen Lust, das Feld des BDSM für sich selbst zu entdecken!

Schaust du eigentlich deine eigenen Filme zum Vergnügen?

Oh Gott, nein! Ich verbringe so viel Zeit mit einem Film, vom Drehbuch zur Post-Production und übernehme sogar die Promo-Arbeit. Am Ende eines Films bin ich absolut ausgepowert. Ich denke, viele Filmemacher oder Kreative im Allgemeinen kennen das. Wenn ich einen meiner Filme anschaue, denke ich nur: «Ich hätte diese Einstellung länger machen sollen», oder: «Hier hätte man einen anderen Song nehmen können». Ich hätte also nicht wirklich viel davon, meine eigenen Pornos anzusehen.

Zum Schluss: Welche anderen Supergirls tummeln sich in der Sex-positiven Porno-Industrie?

Ich mag besonders Murielle Scherre, Ovidie, Sonya JF Barnett, Tristan Taormino, Jennifer Lyon-Bell, Madison Young, Maria Beatty – ach es gibt so viele, und es gibt ständig mehr von uns! Dieses Jahr ist sogar ein sehr spezielles für die Porno-Branche und für mich: Vor zehn Jahren habe ich meine Produktionsfirma gegründet und seit zehn Jahren gibt es feministische Porno-Awards. Viele meiner Kolleginnen haben ihre Karriere vor zehn Jahren begonnen, als hätten wir alle zur gleichen Zeit die gleiche Eingebung gehabt. Das kann nur ein gutes Zeichen sein!

Miriam Suter (*1988) ist freie Journalistin. Sie schreibt vor allem über Feminismus und soziale Anliegen, unter anderem für die WOZ, das Surprise Strassenmagazin und Das Lamm.

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