Über viele lange Jahre war ich stimmenlos, staatenlos, nutzlos in den Augen der weissen privilegierten Schweizer Bevölkerung. Und auch heute noch fühle ich mich hier gelegentlich nicht willkommen und fast immer wie ein Mensch zweiter Klasse. Ich bin ausländisch und Schwarz, eine Unbeteiligte einer Farbe, die ich nicht einfach so ablegen kann.

Ich habe mir nicht ausgesucht, Schwarz zu sein; ich wurde einfach so geboren. Geboren mit dichtem schwarzen Chruselhaar, wie ihr es so gern nennt, bei dem ihr sogar so weit geht zu sagen, es sei nicht gerade elegant, geradezu buschig – und Busch ist für viele Weisse nun mal gleichbedeutend mit primitiv, dumm, ungebildet, arm, unsauber und unwürdig. Für manche ist es vielleicht spannend, mit jemandem wie mir Zeit zu verbringen, jemand, den man leicht ausnutzen kann – sie sieht wehrlos genug aus, dass ich mir mit meiner privilegierten Erziehung von ihr nehmen kann, was auch immer ich will. Eine, die in ihrer Einfachheit nicht versteht, was für eine Art Mensch ich bin und was ich suche. Sie versteht nicht, wie die Welt der Weissen so tickt.

Das mag für viele ein wenig zu simpel klingen, nicht wie eine verständige Perspektive auf das Leben und auf bestimmte Situationen, denn es braucht Fakten; aber Fakt ist, dass dies die Fakten sind, die reelle Wirklichkeit der Fakten. So sieht der Schwarze Alltag aus, den wir jeden einzelnen Tag leben: nicht dazuzugehören, auf Eierschalen zu laufen, keine falsche Bewegung zu machen in diesem weissen System. Denn was Weisse von uns erwarten ist, dass wir Versager sind. Aber tatsächlich hatten wir in eurem System nie eine faire Chance, ihr hattet nie ein offenes Ohr für unser Schicksal, habt euch nie um unsere Situation geschert, denn euer System, euer organisches System, ist nicht für Leute wie uns gebaut.

Ich frage mich oft, was mit mir eigentlich nicht stimmt – oder mit euch –, womit ich die schiefen Blicke verdient habe, womit ich verdient habe, so anders behandelt zu werden als andere Minderheiten. Ich kann mich nicht tagtäglich verstecken. Ich brauche ein schönes Leben, wie alle anderen auch. Aber mir steht es nicht zu, gegen diese untragbare Situation Einspruch einzulegen, ich muss gefällig und ruhig sein – eine «gute Schwarze» … was auch immer das heisst.

Ihr kritisiert meinen Körper, meine Haut, mein Verhalten euch gegenüber – so sehr ich mich auch bemüht habe, mich eurem Lebensstil anzupassen, nett zu sein, so zu sein, wie ihr mich sehen wollt, wie ich zu sein habe, in euren Augen, es reicht ja doch nie aus. Ich habe mich so bemüht und mich dabei fast selbst verloren in meinem Wunsch, einfach akzeptiert zu werden. Es hat mich Jahre gekostet, wieder zu meinen Wurzeln zurückzufinden, und als es endlich soweit war, war bereits viel Schaden angerichtet – so viel, dass ich euch nun in dieser Kolumne mit meiner Wahrheit konfrontieren muss, euch bitten muss aufzuhören, uns auf diese widerwärtige Art und Weise zu betrachten, zu behandeln. Das ist nicht nur verletzend, es ist ein gesellschaftliches Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gibt. Ihr stosst mich weg, grenzt mich aus eurer perfekten weissen Welt aus.

Wie viele schwarze Menschen können das offen zugeben? Zu wenige, nehme ich an, denn sie werden dafür an den Pranger gestellt, dass sie den Selbsthass, die Unsicherheit, die Zweifel wahrnehmen, die uns durch Sklaverei und Kolonialisierung eingeflösst wurden, die Brutalität, der wir uns selbst unterziehen, wenn wir uns wünschen, unser Schwarz-Sein ablegen zu können, ein wenig Frieden zu finden vom tagtäglichen Spiessrutenlauf draussen auf den Strassen, unsere eigene Identität zu leben, was für uns im Lauf unserer Geschichte immer schon schwierig war. Wir wurden Gewalt und Hirnwäsche unterzogen, mussten vergessen, wo wir hingehören. Wir wurden während der Sklaverei über die ganze Welt verstreut, und zu einem gewissen Grad geschieht das auch heute noch. Wir sind es so leid, herumgestossen zu werden und gesagt zu bekommen, dass wir uns einfach mit dem zufrieden geben sollen, was das Leben uns bietet – zu nehmen, was wir kriegen können, und den Mund zu halten.

Wenn Sklavenhändler niemals nach Afrika gekommen wären, um Schwarze Familien auseinanderzureissen und zu versklaven, um unsere natürlichen Ressourcen zu plündern, dann wären viele von uns nicht dort, wo wir heute sind, würden nicht immer noch den Schmerz unserer Vorfahren in uns tragen, die diese Zeit durchleben mussten, weil wir jeden Tag daran erinnert werden, egal in welchem Teil der Welt wir leben. Die Gewalt existiert auch heute noch. Es ist schwer, Schwarz zu sein in einem weissen System.

Ich will dieses schamlose und selbstsüchtige Verhalten nicht länger einfach so hinnehmen. Es wird Zeit, dass wir etwas ändern und laut werden. Was ich als Schwarze Fremde und Bürgerin zweiter Klasse tun kann ist, meine eigene Wahrheit auszusprechen, anderen meine eigene Perspektive auf diese privilegierte Schweizer Gesellschaft zu zeigen. Und glaubt mir, das fällt mir nicht leicht, aber es ist wichtig, dass ihr hört und versteht, was uns in eurem eigenen Vorgarten widerfährt.

Die Autorin Paula Charles ist 1956 in London geboren und auf der karibischen Insel St. Lucia sowie in London aufgewachsen. Als Aktivistin für Respekt, Toleranz und Kommunikation in der interkulturellen Diskussion engagiert sie sich seit gut zwei Jahren auch in der Roten Fabrik im Rahmen der Gruppe Auf.Brechen, die es sich zum Ziel gemacht hat, diskriminierende (Gesellschafts- und Veranstaltungs-)Strukturen, Praxen und Normen zu verändern. www.paula-charles.ch
In ihrer Kolumne «From Black to White» will sie Anliegen der Schwarzen in diesem Land eine Stimme geben. Die Kolumne erscheint ab der kommenden Ausgabe regelmässig in der Fabrikzeitung.

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