Es wird heute davon ausgegangen, dass die Periode um 1780 bis 1820 in Europa eine Modernisierung von Strafrecht und Strafprozessrecht, von Sanktionsformen und Freiheitsentzug mit sich brachte. Gleichzeitig wurden in den meisten Ländern die Gefängnisse, vor allem aber die Vollzugsanstalten erneuert. Während die Frage nach dem epochalen Wandel des neuen Disziplinierungsregimes (Foucault) unter Historiker*innen immer noch diskutiert wird, besteht kein Zweifel, dass die Freiheitsstrafe als Sanktion und die Einzelzelle als Vollzugsort innert kürzester Zeit dominant wurde. Die Freiheitsstrafe blieb auch in der Schweiz vorherrschend bis zum Zeitpunkt der Revision des Sanktionensystems des Strafgesetzbuches im Jahre 2007. Diese hatte die Einführung der Geldstrafe zum Hauptziel, die bis anhin in der Strafpraxis der urteilenden Behörden hauptsächlich ausgesprochen wird.

1798: Modernisierung des Strafrechts und des Freiheitsentzugs in der Schweiz

In der Schweiz stellt die Errichtung der Helvetischen Republik ein entscheidendes Moment dar. Zum Strafrechtsbereich fallen in dieser Zeit viele Entscheide. So wird 1798 die Folter abgeschafft, 1799 das Helvetische Strafgesetzbuch angenommen, welches das Strafrechtshandeln für die folgenden Jahrzehnte stark beeinflussen wird; ab 1800 wird die Praxis der kantonalen Justiz- und Vollzugsbehörden zunehmend überwacht. Viele Fortschritte im Strafrecht (Legalitäts- und Proportionali­tätsprinzip), im Strafprozessrecht (Unschuldsvermutung, Beschleunigungsprinzip) und im Vollzugsrecht (Einzelzelle, Trennung nach Insassenkategorien, differenziertes Regime) stammen aus dieser Zeit. Viele Kantone kannten zu dieser Zeit nur Verliesse und Gefängnisse in den zahlreichen Schlössern und Burgen, in Stadttürmen und anderen befestigten Gebäuden in den Städten. Sie wurden meist nur für Untersuchungshaft genutzt. Vollzugsorte waren in den Spitälern eingerichtet worden, wo auch physisch und psychisch Kranke, Verwahrloste, Arme weggesperrt wurden.

Mit der Helvetischen Republik (1798-1803) werden die Einrichtungen des Freiheitsentzugs funktional getrennt, Regeln zu ihrer Funktionsweise verabschiedet, Neubauten geplant. Schon kurz nach dieser ersten zentralisierenden Periode führt die Föderalismusreform von 1803 dazu, dass die volle Souveränität in den Bereichen von Justiz und Freiheitsentzug erneut auf die Kantone übertragen wird. Diese haben sich bis heute erfolgreich gegen nahezu jegliche Zentralisierungsversuche in diesen Bereichen gewehrt. Insofern müssen heute kantonale Gefängnisgeschichten geschrieben werden; auch existieren in einem gewissen Sinne 26 verschiedene Systeme, die bis heute nur schwach untereinander koordiniert werden.

Gefängnisse des 19. Jahrhunderts: Neue Einrichtungen und zahlreiche Umbauten

Ab 1803 richtet die grosse Mehrheit der Kantone ihre Gefängnisse für Untersuchungshaft in bestehenden Gebäuden ein, ohne grosse Beachtung der Innenausstattung, rüstet diese aber unter dem Aspekt der Sicherheit auf. Im Gegensatz dazu wird für den Vollzug mehr oder weniger schweren Strafe eine Zweiteilung der Vollzugseinrichtungen vorgesehen, nämlich Zuchthäuser und Gefängnisse; eine Abgrenzung, die bis 1971 Bestand haben wird. Architektonisch gesehen sollen beide Arten von Einrichtungen auf dem Prinzip der Einzelzelle, strahlenförmig angelegt, mit zentraler Überwachungsstelle, gebaut werden. Der stern- oder strahlenförmige Grundriss und die meist mehrstöckigen Flügel als Zellengebäude werden, in Anlehnung an Jeremy Bentham, ein englischer Sozialreformer aus dem 18. Jahrhundert und Denker des «idealen Gefängnisses», vereinfachend als panoptische Anlage charakterisiert.

Während des 19. Jahrhunderts investieren einzelne, v.a. die neugebildeten Kantone in den Bau von Vollzuganstalten. So nimmt der Kanton Genf 1825 die «Prison pénitentiaire», eine europaweit als Mustereinrichtung angesehene Anlage in Betrieb. Sie wurde gebaut auf zweistrahligem Grundriss, die Flügel verbunden durch das Verwaltungsgebäude, im Innern mit einem Spazierhof, für total 46 Insassen (1864 abgerissen). In Lenzburg (AG) wird im Jahre 1864 der heute noch in Betrieb stehende «5-Stern» eröffnet. Die kreuzartig angelegte Anlage mit vier vierstöckigen Flügeln, die letzte dieser Art, entsteht schliesslich 1901 in Regensdorf (1995 abgebaut).

Weniger hochgesicherte, isolierte Arrestlokale, Bezirks-, Kantonal- oder Zentralgefängnisse wie auch kleinere Vollzugsgefängnisse gab es in vielen Bezirkshauptorten und kleineren Kantonen. So z.B. im «Käfigturm» in Bern (heute Ausstellungsort), im ehemaligen Kloster «Lohnhof» in Basel (heute Museum), im Bischofsitz «L’Évéché» in Lausanne (seit 1900 Museum). Nur in Zürich wurde neben jedem der damals elf Bezirksgerichte eigens ein kleines Bezirksgefängnis im Neubau erstellt; hundert Jahre später, vom Abbruch bedroht, wurden die letzten unter Denkmalschutz stellt.

Im 19. Jahrhundert setzte sich die Insassenpopulation vor allem aus jüngeren Männern aus den unteren sozialen Klassen schweizerischer Herkunft zusammen. Der Diebstahl stand ganz oben auf der Straftatenliste, dann auch Raub, Angriffe auf Leib und Leben. Personen wurden vielfach wegen Alkoholismus, Liederlichkeit, «Vagantität» und Bettelei als administrativ Verurteilte ins Gefängnis geworfen. Sowohl die Strafen als auch das Vollzugsre­gime waren der Wiedereingliederung kaum zuträglich, die Rückfallrate entsprechend hoch, und die Effizienz des Freiheitsentzugs in Frage gestellt.

Die Modernisierung des Freiheitsentzugs findet gegen Ende des Jahrhunderts über die Verlegung der Strafanstalten in die ländlichen Regionen, noch kaum urbargemachten Gebiete, der Schweiz statt. Nach dem Modell der Verbannung der Rückfälligen in die Kolonien in den Kolonialstaaten, werden in der Schweiz ab 1870 sogenannte «colonies pénitentaires agricoles» errichtet. Alle sind – mit Ausnahme von der ersten in Payerne im Kanton Waadt – heute noch in Betrieb. Im Gegensatz zu den streng durchdachten Vollzugsanstalten zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind die Wohngebäude für die Insassen in den Kolonien Kasernenbauten, mit Schlafsälen eher denn mit Einzelzellen. Die Arbeit findet nicht mehr in Ateliers statt, sondern in der Natur und speziell der Landwirtschaft, die als regenerierend angesehen wird. In den meisten dieser Einrichtungen mussten zuerst Marschgebiete entwässert und Land urbargemacht werden, um anschliessend Landwirtschaft betreiben zu können. Die «Justivollzugsanstalt Witzwil» ist heute noch der grösste Landwirtschaftsbetrieb der Schweiz, jener der «Etablissements de Bellechasse» der zweitgrösste.

Parallel zu diesen Entwicklungen wird ab 1880 das Sanktionenregime selbst hinterfragt, einerseits verschärft, andererseits aufgeweicht. So wurde in vielen Kantonen die Verwahrung für Gewohnheitsverbrecher eingeführt, neben anderen Strafverschärfungen für Rückfällige. Gleichzeitig führt die Einsicht, dass jede Vermeidung einer Einweisung die beste Rückfallprävention ist, dazu, dass der Aufschub des Vollzugs der Freiheitsstrafe nach und nach eingeführt wird. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts übertrifft in der Schweiz die bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe die unbedingte.

Ende des 20. Jahrhunderts: Vom Einzel- zum Gemeinschaftsregime

Die Kritikbewegung der Psychiatrie und die antiautoritäre Ablehnung repressiver Autorität beeinflusste in den 1960-1970er Jahren auch die Modernisierung der Inhaftierung von Jugendlichen und Erwachsenen, zuerst im Innern der Einrichtungen des Freiheitsentzugs, dann auch zunehmend in der Bauweise von in der Planung stehender Gefängnisse. Der Kanton Waadt machte ab Mitte der 1980er Jahre den Anfang mit den «pa­noptisch»-gebauten, 3-flügeligen «Etablissements de la Plaine de l’Orbe». Sich an die Konzeptionen des Gemeinschaftsvollzugs nordischer Staaten anlehnend, sollte die Selbstverantwortung der Insassen gestärkt und das gemeinsame Lösen von interpersonellen Konflikten gelebt werden. Damit einher ging eine Umgestaltung der Flügel derart, dass in jedem Stock ein Boden eingezogen wurde und so jeweils zwei Dutzend Zellen zusammen eine Abteilung bilden würden. In diesen bestand das Regime darin, dass während der Nacht Einzeleinschluss stattfand, während sich in den Freistunden des Tages die Insassen in ihrer Abteilung frei bewegen konnten. Zur gleichen Zeit wurden als Ersatz der alten kasernenartigen Unterkünfte in der «Justizvollzugsanstalt Witzwil» Wohnneubauten errichtet, die nun als Pavillons nach dem Prinzip des Gemeinschaftsvollzugs gestaltet wurden (Mitte 1980er Jahre). 1995 ersetzte der Kanton Zürich die noch auf einem Kreuzgrundriss gebaute 4-flügelige Anlage Regensdorf. Die neue Anstalt Pöschwies wurde im Pavillonsystem erstellt, mit jeweils vertikal eingerich­teten, zweistöckigen Abteilungen. Heute ist die grosse Mehrheit der Vollzugsanstalten nach Modellen des Gemeinschaftsvollzugs gebaut worden, wobei darauf geachtet wird, dass die einzelnen Abteilungen, sprich Pavillons, weniger als 20 Personen aufnehmen und ein Eigenleben entwickeln können. Viele Einrichtungen gehen sogar einen Schritt weiter, indem sie den Insassen einen Schlüssel zur Zellentür überreichen, mit dem sie tagsüber ihre Zelle selbst verwalten müssen. Der frühere Direktor der «Etablissements de la plaine de l’Orbe», Denis Pieren, beschrieb dies vor einiger Zeit so: «Ein offensichtlich völlig unbedeutender Fortschritt muss hier erwähnt werden; er bestand darin, an den (Zellen-)Türen persönliche Schlösser anzubringen. Ein Häftling, der bereits viele Anstalten in der Schweiz und im Ausland gekannt hatte, hat mir anvertraut, dass für ihn dies eine wesentliche Veränderung darstellte, da sie es ihm erlaubte, über einen eigenen Raum zu verfügen und seine Autonomie zu vergrössern.» (Pieren, 2013). Seit einer Entscheidung des Bundesgerichtes von 1996 sind auch die Insassen in der Ausschaffungshaft tagsüber in Gemeinschaftshaft zu halten, mit weiter gefasster Freiheit für Aussenkontakte als in anderen Einrichtungsarten. Stellten lange Zeit die Pavillons in der JVA Witzwil das Musterbeispiel für die Umsetzung des Gemeinschaftsvollzugs dar, ist es heute wohl eher die Zürcher JVA Pöschwies.

Im Bereich der Untersuchungshaft ging die äussere und innere Modernisierung der Gefängnisse lang­samer vor sich. Bereits anfang der 1990er Jahre wurde die Schweiz für den baulichen Zustand dieser Gefängnisse durch das «Comité européen de prévention de la torture» (CPT) gerügt. In weniger als 20 Jahren wurden dann mehr als 100 Bezirks-, Kantonal- und Zentralgefängnisse geschlossen. Einige wenige wurden umgebaut und modernisiert, so zum Beispiel das «Untersuchungsgefängnis Klosterhof» im Karlstor (16. Jahrhundert) in St. Gallen. Die neuen multifunktionalen Einrichtungen des Freiheitsentzugs, meistens mit Standort im Stadtzentrum, wurden mit voll ausgerüsteten Einzelzellen gebaut, zuerst noch ohne Gemeinschaftsräumlichkeiten. Dabei wurde nach drei Modellen vorgegangen: 1) alleinstehende Gefängnisse, 2) mit den Staatsanwaltschaftsgebäuden verbundene, jedoch baulich eigenständige Einrichtungen, und schliesslich 3) baulich völlig in die Gebäude der Staatsanwaltschaften integrierte Gefängnisse. Obwohl zahlreiche neue Bauten erstellt wurden, wurden sie meist noch nach einem alten U-Haft-Regime konzipiert: Zelleneinschluss von 22 oder 23 Stunden pro Tag; keine gemeinsame Auszeit, ausser dem Hofgang; kaum Besuchszeiten, kaum Beschäftigung. Wenige Einrichtungen wurden für einen Gemeinschaftsvollzug, mit Gemeinschaftsräumen und Sälen für sinnvolle Aktivität, kon­zipiert, dies obwohl für Personen in der Untersuchungshaft seit eh und je die Unschuldsvermutung gilt und über die Hälfte nach der Haft nicht mit einer Freiheitsstrafe sanktioniert werden. Neben Anwälten und Forscherinnen hat sich auch das Nationale Komitee für die Verhütung von Folter seit 2014 stark mit den harschen Lebensbedingungen in der U-Haft auseinandergesetzt und diese eingehend bemängelt. Während einzelne Kantone das Regime geöffnet haben, andere Erleichterungen angekün­digt haben, macht es sich eine letzte Gruppe, v.a. in der welschen Schweiz, noch schwer mit dem Entscheid.

Auch heute setzt sich die Insassenpopulation vor allem aus jungen Männern sozial benachteiligter Herkunft zusammen. Bei den Schweizern und den in der Schweiz wohnhaften Ausländern, die weniger als die Hälfte der Insassen ausmachen, handelt es sich meist um schwerere Straftaten. Dagegen werden Ausländer ohne Wohnsitz oft wegen kleiner und kleinster Delikte in U-Haft gesetzt, wie sie auch viele kurze Strafen absitzen müssen. Heute ist die Institution des Gefängnisses nicht mehr so sehr mit Strafpraxis in Zusammenhang zu bringen, sondern mit der Regulierung von Migrationsströmen mittels des Strafrechts.

Die umfangreiche Modernisierung der Einrichtungen des Freiheitsentzugs in der Schweiz hat in den letzten 20 Jahren zu einer bedeutsamen Öffnung im Innern der Gefängnisse und zu einer massiven Verstärkung der Sicherheit gegen Aussen geführt. Auf der einen Seite sind positiv zu wertende Konzepte von Schadensvermeidung, gesteuerter Selbstverantwortung und Vollzugsplanung aufgekommen, die auf die Entlassung ausgerichtet sind; auf der Negativseite stehen problematische Evaluationskonzepte der Risikobeurteilung, die eher zu negativen Entlassungsentscheiden und damit unrechtmässigen Haftverlängerungen führen. Problematisch ist, dass Personen im Freiheitsentzug zu wenig auf die Entlassung vorbereitet und auch zum Zeitpunkt der Entlassung ungenügend betreut werden, insofern seit langem bekannt ist, dass Entlassene am häufigsten gleich in den Wochen nach einer Entlassung rückfällig werden. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass das 2007 eingeführte Geldstrafensystem äusserst erfolgreich dazu beigetragen hat, dass die Wiedereinweisungsrate gesenkt werden konnte, eine Errungenschaft, die noch gar nicht genug gewürdigt wurde. Insofern konnte in der Schweiz ein Übergang des Disziplinierungsregimes zu einem der Selbstdisziplinierung bewerkstelligt werden, der längerfristig auch für andere Länder wegweisend sein dürfte.

Daniel Fink, nach Studium der Sozialwissenschaften sieben Jahre Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Von 1996 bis 2010 Chef der Sektion Kriminalität und Strafrecht im Bundesamt für Statistik. Ab 2011 Lehrbeauftragter an den Universitäten Lausanne und Luzern. Seit 2018 Mitglied des UN-Unterausschusses für die Verhütung von Folter. Autor mehrerer Bücher und zahlreicher Beiträge zur Geschichte des Gefängnisses in der Schweiz.
D. Fink, P. Schulthess, Strafrecht, Freiheitsentzug, Gefängnis, Bern, Stämpfli, 2015
D. Fink, Freiheitsentzug in der Schweiz, Zürich, NZZ libro, 2018.

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