In unserer Gesellschaft ist es Sitte einem Mann, der Vater wird, zu gratulieren. Eine etwas seltsame Sitte, die auch tief homophobe Männer dazu bringt, ihren Arbeitskollegen fest in die Arme zu schliessen und ihm von ganzem Herzen für den gelungen Orgasmus zu gratulieren. Die Leute sagen damit: Lieber X, ich möchte dir sehr herzlich gratulieren, dass du deine Freundin/Frau/Nachbarin/Wasauchimmer so gut und nachhaltig gevögelt hast, dass sie jetzt schwanger ist. Ich will dir jetzt kollegial ganz innig deine Schulter drücken, in der Hoffnung, dass du durch diesen Druck spürst, wie sehr ich emotional teilhabe. Es ist etwas Magisches, gern wäre ich dabei gewesen. Hoffentlich waren die Grosseltern dabei, denn für die ist es genauso schön, wenn nicht sogar schöner, gell.

Der werdenden Mutter wird auch gratuliert. Es macht Sinn, der werdenden Mutter zu gratulieren, trägt sie doch während ca. vierzig Wochen einen anderen Menschen in ihrem Körper. Wenn man einer werdenden Mutter gratuliert, gratuliert man dafür, dass sie körperliche Strapazen aushält. Denn diesen Menschen, den sie in ihrem Körper trägt, nährt sie mit allen möglichen Vitaminen und Nährstoffen, die ihr dann fehlen. Sie trägt diesen Menschen in einer Blase aus Fruchtwasser, und die Blase und der Mensch werden immer grösser, und je nach Grösse der werdenden Mutter, trägt sie dann ein Kind in sich, dass zu einem Drittel so gross ist wie sie selbst. Die werdende Mutter kann fast nicht mehr gehen, sitzen oder liegen, weil sie entweder Schwangerschaftsdiabetes, Symphysenlockerung, Kreislaufprobleme, Schwangerschaftsvergiftung oder zu viel Wasser im Körper hat. Nachts kann sie nicht schlafen, weil ihr das Kind in die Rippen kickt. Sie erzählt es dem werdenden Vater, dessen Augen werden sofort herzförmig, er ist stolz auf so ein starkes, prächtiges Kind. Am nächsten Tag geht er arbeiten und die Mitarbeiter klopfen ihm anerkennend auf die Schulter und erkunden sich während neun Monaten, ob das Kind nun da sei.

Es gibt auch Schwangerschaften, deren Entstehung vom werdenden Vater mehr Einsatz verlangen. Zum Beispiel In-Vitro-Fertilisationen. In diesen Fällen investieren beide oft viel Geld und Nerven, aber die zusätzlichen körperlichen Strapazen, die damit einher gehen, die trägt die werdende Mutter. Egal ob In-Vitro-Fertilisation oder herkömmlich, irgendwann im Verlauf der Schwangerschaft, falls der werdende Vater auch Vater werden will, wird er sich über Vaterschaftsurlaub informieren. Der Chef wird ihm erklären, dass das Kind am Anfang nur die Mutter brauche, die Firma hingegen solche Mitarbeiter! Potent und mitdenkend, dass sei genau, was sie an ihm schätzten.

Wenn das Kind dann da ist und der gewordene Vater doch gerne etwas frei hätte oder halt einfach einige Zeit lang etwas weniger arbeiten möchte, weil, ja, da gibt es einen neuen Menschen in seinem Leben, der Mensch, für den er den Rest seines Lebens verantwortlich sein wird, dann gratuliert ihm der Chef zur Geburt. Und wenn der gewordene Vater Heulkrämpfe hat weil er seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen hat, er mit den neuen Gefühlen, der Liebe und der Verantwortung nicht mehr weiter weiss, wenn er nur noch Angst hat, dann drückt ihm niemand die Schulter.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

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