Am 14. Juni ist schweizweiter Frauenstreik. Als zuletzt 1991 Frauen die Arbeit niederlegten, war dies der grösste Streik, den die Schweiz je hatte – grösser als der Generalstreik. Über die Auslöser und wie es heuer soweit kommt, über Globalisierung und welche Rolle die Männer* beim Streik spielen, sprechen wir mit Sina Deiss.

Farah Grütter: Du bist in der Gewerkschaft VPOD zuständig für den Frauenstreik und gleichzeitig Mitglied des Komitees. Warum?

Sina Deiss: Der Frauenstreik ist in erster Linie eine Bewegung von unten. Es ist aber immer sinnvoll, wenn solch ein Streik auch von den Gewerkschaften unterstützt wird und sie auch im Komitee vertreten sind. Die verschiedensten Frauen* bereiten sich auf den 14. Juni vor. Sie alle kommen von verschiedensten Positionen und mit verschiedensten Erfahrungswerten – «sie haben die verschiedensten Hüte auf». Sie sind vielleicht bereits politisch organisiert oder in der Freiwilligenarbeit engagiert oder bis anhin noch nicht politisiert gewesen.

Es hat sich also vor einiger Zeit eine Gruppe von unten unter dem Motto «Frauenstreik 2019» angefangen zu organisieren.

In der Schweiz machten die Westschweizerinnen den Anfang. Das waren auch diejenigen, die gesagt haben, dass wir am 14. Juni und nicht wie heuer Frankreich, Spanien und Deutschland am internationalen Frauenkampftag am 8. März streiken.

Wieso ist das so?

Der historische Frauen*streik war am 14. Juni 1991 – genau zehn Jahre nach der Verankerung des Gleichstellungsartikels in der Verfassung am 14. Juni 1981. Der Streik 1991 hat unter anderem dazu geführt, dass 1996 das Gleichstellungsgesetz eingeführt wurde.

Es ist nun 28 Jahre her, seit der historische Frauenstreik stattfand – wie kommt es, dass er gerade dieses Jahr neu aufgelegt wird?

In Gesamteuropa gibt es starke feministische Bewegungen, z.B. in Spanien und Deutschland. Das hat auch sicher damit zu tun, dass es ein Erstarken rechtspopulistischer Parteien gibt, die ganz aktiv mit alt hergeholten Geschlechterrollen mobilisieren. Aus der Trumpwahl resultierte der weltweit begangene Women’s March, aus dem viele feministische Strömungen entstanden sind, dann ist da auch noch die MeToo-Bewegung; es handelt sich also um eine gesellschaftliche Kumulation mehrerer Faktoren. Der Wahlkampf Trumps hat beispielsweise die verschiedenen Problematiken patriarchalischer Strukturen verdeutlicht. Das war eben nicht wie im Nachhinein behauptet …Locker Room Talk» –, ein solcher Umgang mit Frauen ist leider für viele Alltag. In Spanien zum Beispiel sind weitere Missstände gerade deutlich zu sehen. Das Land leidet noch immer unter den Auswirkungen der Finanzkrise 2008. Die Situation hat sich überhaupt nicht verbessert, die Arbeitslosigkeit ist hoch, besonders bei Frauen. Und wenn das soziale Sicherungssystem zusammenkracht, sind es die Mütter, die betroffen sind. Muttersein ist auch ohne Nachwirkungen der Finanzkrise ein Armutsrisiko. Es gibt die Auffassung, dass Frauen durchaus gleichgestellt sind – bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie Mutter werden.

Die Gleichstellungsdebatte wird über die Ökonomie, aber auch über den gesellschaftlichen Zusammenhang, den die Arbeit stiftet, geführt. Sogenannte klassische Frauenberufe sind eher in Teilzeit ausübbar, haben tendenziell weniger Prestige, werden schlechter entlohnt, sind näher an unbezahlten Tätigkeiten der Reproduktions- und Care-Bereiche.

Nehmen wir das Beispiel von sozialer Arbeit. Es hat eine Zeit gedauert, bis diese Tätigkeiten überhaupt entlohnt wurden – lange war es Freiwilligenarbeit. Noch länger ging es, bis sich die Soziale Arbeit als Beruf etablieren konnte. Er entstand während bzw. nach dem Ersten Weltkrieg. Es ging zunächst darum, diejenigen Menschen, die sich nicht mehr um sich selbst kümmern konnten, zu unterstützen und in die Gesellschaft zu integrieren. Das war eine Tätigkeit, bei der man dachte, das können Frauen gut, da ihnen Empathie, Zugänglichkeit und ein Helfersyndrom zugeschrieben werden.

Durch diese Naturalisierung wird der Arbeitscharakter von Reproduktions- und Care-Arbeit unsichtbar gemacht. Diese Tätigkeiten sind dann vermeintlich keine solchen, die z.B. Anstrengung, Denk- und Urteilsvermögen, Planung, Erfahrung und Organisation bedürfen.

Die künstliche Trennung von produktiver und reproduktiver Arbeit und vor allem die damit verbundenen geschlechtlichen Zuschreibungen ist gar noch nicht so alt. Ganz lange waren Frauen durchaus in Lohnverhältnissen tätig, in den Fabriken zum Beispiel…

Arbeiterinnen.

Arbeiterinnen, ganz genau. Erst mit dem Aufkommen eines stabilen Lohnverhältnisses sind Arbeiterinnen aus diesem Berufsfeld herausgedrückt worden.

Du meinst, mit dem Aufkommen der Kleinfamilie und dem Einverdiener-Modell?

Im Einverdiener-Familienmodell hat man nochmal verstärkt die reproduktive Arbeit abgetrennt. Es ist schon so, dass man diese Dinge in den Schatten gestellt, unsichtbar gemacht hat, aber die jetzige Gesellschaft kann diese Arbeit auch nicht entlöhnen.

Wieso nicht?

Weil sie zu teuer ist. Sie ist notwendig und jeder muss sie machen. Man könnte dem beispielsweise mit einem bedingungslosen Grundeinkommen etwas entgegenwirken, dies würde aber nicht alle Probleme lösen. Mir scheint, es wäre angebracht, dass diese unsichtbare Arbeit, die doch zu 80 Prozent von Frauen gemacht wird, wenigstens monetär eine gewisse Wertschätzung entgegenbringen könnte. Oder, wie eine der Forderungen des Basler Frauenstreiks lautet, die Teilzeitarbeit für alle, also auch für Männer, umzusetzen. Es gibt Chefs oder Betriebe, die Teilzeitarbeit in gewissen Positionen nicht durchgehen lassen. Es ist gesellschaftlich immer noch nicht anerkannt. Obwohl dies auch eine Chance für Männer* wäre, sich bei der Erziehungs- und Carearbeit stärker einbinden zu können.

Apropos Männer: Wie sieht eigentlich deren Beteiligung am Frauenstreik aus?

In Basel haben wir eine solidarische Männergruppe, die gibt’s auch in anderen Städten. Sie kochen an unseren Retraiten und übernehmen die Kinderbetreuung. Am Streiktag selbst werden sie den Auf- und Abbau auf dem Theaterplatz machen. In den Betrieben übernehmen sie Arbeitsschichten von Frauen. Viele Männer* unterstützen unsere Forderungen nach einem selbstbestimmten Leben für alle. Unsere Forderungen kommen am Ende auch ihnen zu Gute.

Sind Männer* denn an der Demo erwünscht?

Das war eine spannende Diskussion im Komitee, bei der wir einen Konsens gefunden haben: Im ersten Drittel des Blocks laufen nur Frauen. Dahinter dürfen sich die Männer gerne einreihen.

Mich würde interessieren, wie du den Aspekt siehst, dass diese Kämpfe als Streike innerhalb nationaler Grenzen stattfinden.

Es ist eine komplizierte Sache. Wir haben Care-Migration, die Ungleichheiten schafft. Frausein heisst nicht, in gleicher Weise unterdrückt zu sein oder vor den gleichen Hindernissen zu stehen. Es ist leider oft so, dass Karrieremöglichkeiten für Frauen darin bestehen, dass sie andere Frauen* anstellen, um die Wohnung sauber zu halten oder die Kinderbetreuung sicher zu stellen. Unser Wohlstand und bisher erreichter emanzipatorischer Fortschritt geht zu Lasten anderer Frauen. Das ist eine Problematik, die z.B. für uns auch darin besteht, dass die Inklusion migrantischer Frauen in der Schweiz nicht einfach ist. . Sich politisch zu exponieren, ist für sie sehr schwierig und mit vielen berechtigten Ängsten verbunden.
Wie sieht es mit euren Vernetzungen zu Frauenstreik-bewegungen in anderen Ländern aus? Kurdische und türkische Frauen sind aktiv im Komitee. International besteht ein reger Austausch. Gute Kontakte bestehen beispielsweise nach Deutschland. Vor kurzem war eine spanische Frau da, die über ihre Erfahrungen zum Frauen*streik in Spanien am 8. März berichtet hat. Es ist eine internationale Bewegung und in den Manifesten decken sich auch die Forderungen.

Gerne würde ich über die Form des Streiks und seine Bedingungen sprechen.

Der Streik ist ja eigentlich das äusserste Kampfmittel, um arbeitsrechtliche Forderungen durchzusetzen. Beim Frauenstreik handelt sich nicht um einen arbeitsrechtlichen, sondern um einen politischen Streik. Das macht es nicht einfacher; ein arbeitsrechtlicher Streik hat zumindest einen klaren Gegner, den Arbeitgeber oder die Branche. Beim politischen Streik werden patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft bestreikt. Diese sind ganz oft subtil und nicht fassbar. Beim Frauenstreik ist es wichtig, dass wir nicht als Einzelperson auftreten, sondern uns im Kollektiv organisieren und solidarisch miteinander sind. Dann kann einem nicht viel passieren. Der Frauen*streik hat bereits ein solches Ausmass erhalten, dass viele Kantone und die Arbeitgeber Stellung beziehen. Natürlich erlauben Sie uns nicht zu streiken, sie können den Streik nicht bewilligen, denn dann wäre der Streik ja in seinem Sinne entleert.

Wieso machen sie das eigentlich nicht? Für die Arbeitgebenden wäre es ja eine Möglichkeit, den Kampfaspekt herauszunehmen und sich den Frauen*streik anzueignen. Wie schätzt du das ein?

Ich kann hier nur mutmassen. Ein grosser Teil meint wahrscheinlich wirklich, dass sie keine Bewilligung erteilen können, also geben sie Optionen, wie ein Streiken keine Konsequenzen haben wird. Es gibt Unternehmen, die machen dicht. Betriebliche Streiks wird es also auch geben. Arbeitsrechtliche Informationen sind besonders für diejenigen, die sich in einer prekären Situation befinden, wichtig. Das mag als Dämpfung des Kämpferischen erscheinen, aber so ist es nicht.
Lausanne als Kanton unterstützt den Streik. Das ist gut. Viele sind enttäuscht, dass Basel-Stadt als Kanton mit einer rot-grünen Mehrheit eher lahm reagiert hat. Ich vertrete aber auch die Position, dass ich weder Kanton oder Arbeitgeber fragen will, ob ich streiken darf oder nicht.

Wie viele Streikende erwartest du? Schaffen wir die gleichen Zahlen wir ’91?

Viele! Sehr viele! Das wird eine grosse Sache.

Interview von Farah Grüter

Farah Grütter ist Studentin der Philosophie und der Soziologie an der Universität Basel.

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