Was gibt es für Formen und Möglichkeiten, in das eigene Sprachhandeln aktiv einzugreifen?

Es gibt nicht die eine allgemeingültige Möglichkeit des antidiskriminierenden Sprachhandelns. Ich kann über den eigenen Sprachgebrauch kritisch nachdenken, kann neue Begriffe finden und erfinden, neue Wörter ausprobieren und meinen eigenen Sprachgebrauch als Handlung kritisch reflektieren.

In der deutschen Sprache wurden von Aktivist*innen verschiedene Methoden für einen antidiskriminierenden Umgang mit Sprache entwickelt. Diese Methoden und Vorschläge bezwecken eine sprachliche Dekonstruktion des Zweigeschlechtersystems, ein Hacking der strukturierten Linguistik und der starren Orthographie. Ich verwende den Begriff Hacking als Störung oder Eingriff in bestehende gesellschaftliche Normen, in diesem Fall orthographische und typographische Normen.

Bei den gängigsten dieser gendersensiblen Hacks wird zwischen der maskulinen und der femininen Form ein neues Zeichen hinzugefügt. Je nach Bedeutung dieses Zeichens, werden entweder die binären Geschlechter Frau und Mann in der Sprache sichtbar gemacht, oder das gesamte Spektrum der Geschlechtsidentitäten. Während Skeptikerinnen und Skeptiker häufig lieber die altmodische Form gebrauchen und alles ausschreiben, gibt es einige Autor-Innen und Journalist/innen, die durch Binnen-I oder Schrägstrich auch Frauen sprachlich mitdenken. An vielen deutschen Universitäten verwenden Professor_innen, Studierende und Mitarbeiter*innen inzwischen vermehrt den non-binären Gender-Gap, die Neutralisierung oder den Gender-Stern. Manche Feminist:innen bevorzugen dagegen den Gender-Doppelpunkt und einige Aktivisti entscheiden sich sogar ganz gegen eine geschlechtsspezifische Endung.

Visuell wahrnehmbar werden diese gendersensiblen Hacks in der Schriftsprache. Bei vielen Freund✺innen des strukturierten Regelsystems der Mikrotypografie lösen die neuartigen Zeichen starke Ablehnung aus. Mikrotypografisch betrachtet reisst der Gender-Gap klaffende Löcher in den Text und zerstört die Harmonie des Weissraums, welcher eben noch gleichmässig um die Buchstaben herum floss. Das Binnen-I sieht aus wie ein sich wiederholender Tippfehler, das Gendersternchen attackiert das Schriftbild mit einschusslochartigen Stolpersteinen und bringt die Lesegewohnheiten des Auges in Aufruhr. Und orthographisch korrekt ist das alles sowieso nicht mehr.

Da neben der Orthographie die Typografie ein entscheidender Faktor für die Lesbarkeit von Texten ist, erscheint es als eine naheliegende Strategie, in gendersensible Sprachformen typografisch einzugreifen, um sie ausgehend von oben genannten Kritikpunkten zu verbessern. In der Praxis bedeutet das beispielsweise auszuprobieren, was es ändert, wenn der Genderstern von seiner hohen Position auf die Höhe eines Kleinbuchstabens runtergezogen wird, oder das Gender-Gap etwas von seiner Breite verliert und dadurch weniger weisse Löcher im Text entstehen. Solche Eingriffe von Typograf*innen können es ermöglichen, die gendersensiblen Hacks unauffällig und angepasst in den bestehenden Umgang mit Sprache und Schrift einzugliedern. Dies kann durchaus als befördernder Weg betrachtet werden, einen antidiskriminierenden und genderinklusiven Sprachumgang in die alltägliche Zeichenwelt einzuführen.

Gender-Trouble-Stern

Es stellt sich die Frage: Was bleibt von der aktivistischen Funktion gendersensibler Zeichen, wenn sie im Lesefluss verschwinden?

Nach einer ähnlichen Methodik wie sie Jean Baudrillard in «Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen» für die Entwicklung der Graffiti beschreibt, die sich als urbane Attackierung gegen die soziale Ungleichheit ausbreiteten, um in Form von «symbolischen Matrikeln […….] das gewöhnliche Benennungssystem aus der Fassung bringen», funktionieren auch die gendersensiblen Hacks. Sie greifen in das zweigeschlechtliche System der Sprache ein. Auch sie basieren auf gewohnten und bereits vorhandenen Zeichen, hacken sie aber, indem sie gewohnte Sprachstrukturen verändern. Baudrillard beschreibt, wie die scheinbar bedeutungslosen Inhalte der Graffitis («SUPERBEE SPIX COLA 139 KOOL GUY CRAZY CROSS 136»), welche noch nicht einmal Eigennamen sind und angeblich über «keinerlei Originalität» verfügen, die Unbestimmtheit gegen das System selbst wenden und «wie ein Schrei» ohne organisierten Diskurs zu Irritation in einem unterdrückenden System führen.

Aber ist es möglich, einen solchen Schrei, ein derartiges Aufstampfen und Stolpersteinlegen aufrecht zu erhalten, wenn sämtliche Störungsfaktoren durch typografische Mittel glatt gebügelt werden?

Im Sinne von Judith Butlers Aufruf nach «Gender Trouble» kann dieser geglättete, angepasste Umgang mit gendersensiblen Sprachformen nicht das Ziel sein. Ich begreife Hackingformen wie den Gender-Gap oder den Genderstern als politische Unruhestifter✺innen, als einen Eingriff, um für Aufruhr im Schriftbild und in der Linguistik zu sorgen. Die Idee ist also, durch die Mittel der Typografie das Gegenteil der geforderten Kriterien zu erzeugen und mittels der Hacks für möglichst viele Störfaktoren in der Typografie zu sorgen.

Im Gegensatz zum Genderstern, der typografisch geglättet wird, wird der Gender-Trouble-Stern so eingesetzt, dass er sich immer als höchstmöglicher Kontrast zur gewählten Leseschrift gestaltet. Das heisst Strichstärke, Grauwert, Art, Grösse und Form unterscheiden sich ganz prägnant vom restlichen Text. Der✺die Leser✺in soll beim Lesen konstant über Sterne oder andere in alle Richtungen strahlende Symbole stolpern. Der Gendertrouble-Hack schreibt quasi keine Anwendungen vor. Er ist individuell form- und anwendbar und mit genügend Motivation zur Feinarbeit auch in regulären Textverarbeitungsprogrammen umsetzbar (= alle Sterne einzeln markieren und eine jeweils andere Schrift zuweisen).

Welche Methode nun auf längere Sicht quantitativ effektiver ist, um ein gesellschaftliches Bewusstsein für ein antidiskriminierendes Sprachhandeln zu schaffen, ist schwer vorherzusagen. Ich finde, es darf und soll beides nebeneinander bestehen. Es ist grossartig, wenn Genderstern und Co. durch typografische Anpassungen gesellschaftsfähig werden. Denn wenn sich der lesende Blick mit der Zeit gewöhnt und gendersensible Sprachformen das generische Maskulinum abgelöst haben, wird damit im besten Fall auch ein Wandel im Denken entstehen und ein Verständnis über die Aussage der Symbole einhergehen. Parallel soll in allen Kontexten, die es erlauben und ermöglichen mit der Methode des Gendertrouble-Sterns zu hacken, für möglichst viel Unruhe, Störung und Hacking des patriarchalen Systems gesorgt werden.

✺✺✺ Hacking patriarchy! ✺✺✺

Hannah Witte (sie/ihr) ist Grafikdesignerin und lebt derzeit in Leipzig. Ihre gestalterische Praxis dreht sich hauptsächlich um feministische Fragestellungen, Gender-Stereotype, non-binäre Typografie, Sprache und das Sichtbarmachen von Leerstellen durch Grafikdesign.
Vorliegender Text ist ein Auszug aus «Typohacks – Handbuch für gendersensible Sprache und Typografie» von Hannah Witte. Das Buch erscheint im Oktober 2021 im form Verlag. ISBN: 978-3-943962-62-8.

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