«wer würde sowas denken, auch stahl und beton welken» – so heisst es auf dem Flugblatt «heisser herbst». Zu sehen ist die Fotografie einer demolierten Strassenlaterne, die buchstäblich den «Kopf hängen lässt». Ikonographisch steht das Bild für jene Verschränkung von Witz und Militanz, welche die Bewegung insgesamt auszeichnet.

Im Herbst 1980 wird es zusehends ungemütlicher: Am 4. September wird das AJZ nach einer Razzia durch die Polizei nach nur zwei Monaten wieder geschlossen. Am Tag der Schliessung wird Max, ein Bewegter, von der Polizei dermassen hart angegangen, dass er später an den Folgen der Kopfverletzungen stirbt. Im Oktober führt ein Strassentheater mit gemimten Polizisten zur Verhaftung von Hunderten von Bewegten. Zwei Brandanschläge auf Baufirmen werden verübt. Bei einem dieser Anschläge wird eine Strassenlaterne durch die Hitze der Flammen verbogen – und wird zum Sinnbild für den «heissen Hebst». An einer Vollversammlung in der Roten Fabrik wird die Frage der Gewalt diskutiert. Die einen verurteilen militante Aktionen, andere verteidigen diese als unverzichtbar, um überhaupt etwas zu bewirken.

Während innerhalb der Bewegung Uneinigkeit herrscht bezüglich der Frage der Militanz, ist sich die Polizei sicher, die treibende militante Kraft der Bewegung zu kennen. «Die Bewegungselite» titelt ein Dossier in einem vertraulichen Bericht des KK III, dem damaligen Geheimdienst der Stadtpolizei Zürich. Die Bewegungselite umfasst 69 Personen, welche mit Namen, Adressen, Herkunft, Familienverhältnissen, Arbeitsort und der Beschreibung der Personen und ihrer Tätigkeiten aufgeführt werden – etwa in folgenden Kategorien:

  • Hauptaktivist
  • äusserst militant
  • sehr militant
  • teilw. militant
  • Hauptagitator
  • Megaphonsprecher
  • Aufwiegler
  • Schmierer
  • Hausbesetzer
  • Wortführer
  • aggressiv
  • Nacktgänger an Demos
  • lebt nach Autonomiegedanken
  • militanter Redner
  • unzufriedener Jugendlicher
  • Autonomist
  • Alter 68er/Berufsdemonstrant

In pseudowissenschaftlicher Manier wird versucht, Rückschlüsse aus familiärer Situation, sozialer Herkunft und Bildung des «interessierenden Personenkreis» auf die Militanz der Vertreter der «Bewegungselite zu ziehen». So wird anhand fragwürdiger Statistiken etwa festgestellt, dass der verzeichnete Personenkreis eine hohe Rate von ausserehelich geborenen Kindern, geschiedener Eltern oder Heimerziehung aufweise.

Nur schon die Unterteilung in «äusserst militant»/«sehr militant»/«teilw. militant» ist unfreiwillig komischer Ausdruck der Selbstüberschätzung bei gleichzeitiger Überforderung der Polizei. Ihr drastisches Agieren hat zumindest den Boden gut gedüngt für jene Militanz, die sie zu bekämpfen versuchte. Wer sucht, der findet, und wer nicht findet, der schafft sich das, was er sucht, eben selbst. Insofern stellt sich die Frage, wer damals die eigentlichen «Aufwiegler» waren: Bewegte oder Polizei? Eine Frage, die sich in der Geschichte leider immer wieder stellt.

Anja Nora Schulthess schreibt kulturwissenschaftliche Beiträge, Essays und Lyrik. 2017 erschien ihr lyrisches Debüt «worthülsen luftlettern dreck». Im Sommer 2020 erscheint ihr Sachbuch zu den Untergrundzeitungen der Zürcher Achtziger Bewegung im Limmat Verlag.

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