Seinem 1999er Buch ‹Brief Interviews with Hideous Men› stellte der Schriftsteller David Foster Wallace eine äußerst kurze Geschichte voran: «When they were introduced, he made a witticism, hoping to be liked. She laughed very hard, hoping to be liked. Then each drove home alone, staring straight ahead, with the very same twist to their faces. The man who’d introduced them didn’t much like either of them, though he acted as if he did, anxious as he was to preserve good relations at all times. One never knew, after all, now did one now did one now did one.» Diese Situation betitelt Wallace ironisch als «A radically condensed history of postindustrial life». Erst der Titel gibt ihr ihren Sinn. Das postindustrielle Leben oder genauer die postindustrielle Arbeit trennt nicht zwischen der Person als Arbeitnehmer und der als Privatmensch. Der Arbeitende verfügt kaum noch über Qualifikation, die persönliche Sympathien oder Antipathien zweitrangig macht. Es geht um ein unmittelbares gemocht oder nicht gemocht werden. Im industriellen Zeitalter formte die Arbeit die Menschen, jetzt ist die Arbeit kaum noch als solche erkennbar.

Der Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann definiert die moderne Arbeit genau entgegengesetzt. Für ihn emanzipiert sich im Betrieb oder in der Verwaltung der Mensch als Mitarbeiter von dem Menschen als Privatperson. Die Organisation fragt ihre Bedürfnisse von einem Mitarbeiter ab. Was er persönlich für ein Mensch ist, ist ihr egal. Luhmann nennt solche Strukturen formale Organisationen. In ‹Funktionen und Folgen formaler Organisation› schreibt er: «Formale Organisation erschließt Möglichkeiten der Integration und Stabilisierung sozialer Systeme, die nicht mehr in alter Selbstverständlichkeit zugleich Bedürfnisse der Persönlichkeit befriedigen. Soziale Integration und persönliche Integration fallen stärker denn je auseinander. Handlungen und Erwartungen, Symbole und Ausdrucksmittel [haben] für die Organisation eine andere Funktion als für den Menschen. Soweit das Handeln des Menschen in die Organisation hineingezogen wird, dient es nicht mehr ohne weiteres seiner Selbstdarstellung.» In Wallace‘ Geschichte besteht die Arbeit allein in privater Selbstdarstellung. Niemand weiß, wo das Private aufhört und die Arbeit anfängt.

Dieser Text versucht den von Wallace beschriebenen Zusammenfall von Privat- und Arbeitsleben anhand aktueller US-amerikanischer Fernsehserien zu beschreiben. Für Prognosen zur Zukunft der Arbeit lohnt es sich, den Blick in die USA zu richten. Dort hat sich die produzierende Wirtschaft bereits stärker als in Europa zurückgezogen. Arbeitsverhältnisse sind weniger streng reguliert, Arbeitgeber und Arbeitnehmer gestalten die Arbeit stärker selbst. Im handwerklichen Bereich gibt es kein staatlich zertifiziertes Ausbildungswesen. Der Dienstleistungssektor hat eine größere Bedeutung: In den USA ist der Anteil des Bruttoinlandsprodukts, das durch Dienstleistungen erwirtschaftet wird, viermal so groß wie der Anteil der Industrie, in der Schweiz und Deutschland ist er nur etwa zweieinhalbmal so groß.

In den USA verändert sich das Arbeitsleben schneller. Gleichzeitig charakterisiert die Populärkultur, insbesondere die Fernsehserien, diese Veränderungen schnell und umfassend. Der oft kritisierte ideologische Charakter der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie verhindert nicht, dass alle möglichen spannenden Realien in die Sendungen miteinfließen. So heißt es in der Hell´s Angels Serie «Sons of Anarchy» irgendwann: «The med[ical] bills alone… they’re gonna bury us.» Die unfassbar entschiedenen, unfassbar gewalttätigen Hell´s Angels werden nicht etwa durch ihre mexikanischen Konkurrenten, von die Drogenmafia, durch irische Waffenhändler, durch die kalifornische Polizei oder irgendeine andere Government Agency zur Strecke gebracht, sondern vom dysfunktionalen, US-amerikanischen Gesundheitssystem. Im Folgenden interessieren aber besonders die Komödien. Das Gespür für lustige Situationen ist ein Seismograph für die Neuausrichtung der Arbeitswelt. Serien wie «Girls», «Love», «2 Broke Girls», «Are you there, Chelsea?», «Younger» oder «Unbreakable Kimmy Schmidt» spiegeln überraschend präzis eine Polarisierung der Arbeit wieder: qualifizierte Arbeit wird von wenigen hoch (und immer höher) Qualifizierten ausgeübt, unqualifizierte Arbeit von einer austauschbaren Masse. All diese Serien stellen mehr oder weniger direkt die Frage, wo da die Halbambitionierten bleiben. Sie sind nicht Entrepeneure, Stars, Sternchen oder Ärzte und wollen sich doch nicht in das Heer von Burgerbratern und Raumpflegern einordnen. So fragen die Serien auch, wie heute Arbeitsentwürfe der Mittelschicht jenseits einiger festdefinierter Nischen funktionieren.

Erinnern wir uns an Niklas Luhmanns formale Organisation, die den Mitarbeitern ein Funktionieren im Sinn der Organisation abverlangt, die der Privatperson aber Emanzipation gewährt. Historisch wurde diese Trennung in den sechziger Jahren angegriffen, schon bald nachdem sie Luhmann beschrieben hat. Das Unternehmen entdeckt das private und gesellschaftliche Leben seiner MitarbeiterInnen als Ressource. Wenn die jungen Texter bei «Mad Men» ihre subkulturellen Styles in die neutralen Offices von Sterling Cooper Draper Pryce tragen, wird das Luhmannsche Organisations- und Arbeitsmodell aufgebrochen. Die Angestellten sollen durch ihre persönlichen Interessen Kontext für die zu entwickelnden Werbestrategien liefern. Das bedeutet nicht, dass sie ihre Funktion in der Organisation im Sinn von Luhmann nicht mehr zu erfüllen brauchen, vielmehr kommt eine implizite Ebene als Teil der Arbeit dazu.

«Mad Men» hat diese Kulturalisierung der Arbeit natürlich erst nachträglich reflektiert. Die Comedy Serien der Neunziger trennen noch ganz und gar Luhmannsch die private und die gesellschaftliche Person. Die Arbeit spielt als solche keine Rolle, sie dient hauptsächlich dazu, die Figuren charakterisieren. Rachel Green (Jennifer Aniston) kellnert in «Friends» zwei Staffeln und macht dann mühelos Karriere in der Modebranche. Ihr Love Interest Ross Geller (Dave Schwimmer) ist Paleontologe. Behutsam kümmert er sich um Fossilien, was ihn als liebevoll und ein wenig weltfremd charakterisiert. Bei der Nullerjahre-Antwort auf «Friends», bei «How I Met Your Mother», wird die Arbeit schon etwas weniger in den Dienst erzähltechnischer Notwendigkeiten gestellt. Alle Figuren verfolgen realistische bürgerliche Karrieren. Die Arbeit ist noch kein Problem, aber immerhin schon Thema.

Bei «Seinfeld» dienen George Costanzas zahllose Beschäftigungen dazu, ihn als ziellos und faul zu charakterisieren. Meistens verstrickt er sich in bizarre, überflüssige Lügen und wird entlassen. Trotzdem findet er immer wieder lukrative Jobs. Im Verlauf der Serie arbeitet er für ein Dienstleistungsunternehmen für Immobilientransaktionen (Rick Bahr Properties), für einen Rastplatz-Ausstatter (Sanalac), für den Verlag der Freundin Elaine (Pendant Publishing), den Football Verein New York Yankees, den Spielplatz Ausrüster «Play Now» und ein auf Glättung spezialisierten Industriebetrieb (Kruger Industrial Smoothing). Luhmanns Unterscheidung der Sphären untermauert die Serie, indem sie sich schlichtweg weigert, betriebliche Organisation zu verstehen. George ist komplett unfähig, den betrieblichen Anforderungen zu entsprechen, er bleibt durch und durch Privatperson. Genauso verständnislos und amüsiert blickt die Serie auf die Geschäftszwecke, die Spezialisierungen und die Namenskonventionen der Geschäftswelt.

In «Sex and the City» sind alle vier Frauen beruflich erfolgreich. So unerreichbar das «Happily ever after» im romantischen Bereich oft erscheint, so wenig Rückschläge oder nachhaltige Verunsicherungen gibt es im professionellen Bereich. Carrie Bradshaw (Sarah Jessica Parker) musste nicht mit Redakteuren diskutieren und wurde nicht dazu genötigt, ihr Social Media Potential auszuschöpfen. Die Serie muss nicht erklären, wie eine Kolumnistin eine Miete in Manhattan bezahlen kann. In der zweiten Staffel von «Girls» wird Hannah Horvarth (Lena Dunham) angeboten, für 200 Dollar pro Beitrag für einen Blog namens Jazz Hate zu schreiben. Carrie tippte noch in ihren Laptop und die Texte erscheinen auf magische Weise in der Zeitung. Ganz im Sinn Luhmanns ist ihre Funktion für den Verlag so eindeutig definiert, dass die Verarbeitung ihrer Texte zu Zeitungen gar nicht gezeigt werden muss. Bei «Girls» wird die Arbeit oft durch Bewerbungsgespräche charakterisiert, deren Demütigungen keinen Aspekt ihrer Person auslassen. Sie könnte sich mit mehreren Menschen von Craigslist verabreden und mit ihnen Sex haben, schlägt die Redakteurin von Jazz Hate Hannah vor. Oder sie könne einen Berg Kokain konsumieren und darüber schreiben.

So bringt keine Serie den Bruch der späten 2000er Jahren gegenüber der Zeit davor drastischer zum Ausdruck als «Girls». Lena Dunham hat als Erfinderin der Serie und als Darstellerin der Hauptfigur ein extremes Gespür die Untrennbarkeit von Arbeit und Privatleben. Der bärige Anwalt Richard Glatter (Richard Masur), für den Hannah in der ersten Staffel der Serie als Sekretärin arbeitet, fängt irgendwann aus dem Nichts an, sie zu massieren, wildy inappropriate an der Grenze zur sexuellen Belästigung. Hannahs Kolleginnen in der Kanzlei relativieren aber die ständig stattfindenden Übergriffe. Das sei eigentlich unmöglich, stimmen sie Hannah zu. Natürlich. Trotzdem mögen ihren Chef. Er ist umgänglich, verständnisvoll und großzügig. Zu Hannahs Überraschung erkennen sie die ungewünschten Massagen als Übergriff, empfinden sie aber doch nicht als solchen. Diese eigentümliche Konstellation zwischen dem männlichen Chef und seinen weiblichen Zuarbeiterinnen ist ihr politisch zuwider. Für ihren Narzissmus ist es kränkend, nicht herauszustechen. So versucht Hannah ihren Boss zu verführen. Vielleicht, um ihn des Übergriffs zu überführen, vielleicht, weil sie sich beweisen will, dass sie begehrenswerter ist als die Kolleginnen. In ihrer unnachahmlichen Negativität sagt sie: «I am gross, and so are you.» Er weist sie ab, worauf hin sie ausrastet und mit einer Klage droht. Richard erwidert fies, lustig und zutreffend, dass es dazu keine App auf ihrem Iphone gebe. Hannah versucht, Geld zu erpressen, aber Richard findet sie immer noch bloß charmant. Auf ihrem Weg aus der Tür spielt sie ihre letzte Karte aus: sie wird einen Artikel über ihn schreiben, und zwar ohne seinen Namen zu ändern. So hat die angehende Autorin auch endlich ein Thema, über das sie schreiben kann. Die Genialität von Girls liegt darin, dass Dunhan nicht bloß die Unschärfen oder Überschneidungen von Privat- und Arbeitsleben erforscht, sondern als ein Anti-Luhmann zeigt, wie die Arbeit durch das Private dominiert wird. Dass das Handeln des Menschen in die Organisation hineingezogen wird, fordert Hannah zu umso extremerer Selbstdarstellung heraus.

Das von Lesley Arfin, Paul Rust und dem «Girls» Co-Producer Judd Apatow entwickelte «Love» folgt der Erzählform der romantischen Komödie. Mickey Dobbs (Gillian Jacobs) und Gus Cruikshank (Paul Rust) sollen als Mittdreißiger ohne Lebensziel zueinander finden. Dabei spielt die Arbeit eine wesentlich größere Rolle als das in romantischen Komödien normalerweise der Fall ist. Für die Untersuchung (und die potentielle Überwindung) der defekten Liebes- und Beziehungsfähigkeit der beiden ist es offenbar notwendig, das Lebensumfeld umfassender in Augenschein zu nehmen.

Mikey ist Personal Assistent des Psychotherapeuten Dr. Greg (Brett Gelman). Dr. Greg betreibt aber keine Praxis, sondern berät die Hörer einer Satellitenradiosendung. Eine von Mikeys Aufgaben besteht darin, nervige Anrufer herauszufiltern. Die Pointe dieser Konstellation liegt darin, dass Dr. Greg den AnruferInnen versierten Rat erteilt, während er Mikey und die anderen MitarbeiterInnen mit seinen Unsicherheiten und seiner Egozentrik plagt. Dass Dr. Greg gar nicht den Anspruch hat, sich den Zuarbeitern gegenüber so aufmerksam zu verhalten wie den Anrufern, ist mehr als eine Charakterschwäche. Es ist strukturelles Problem dieser so zeitgemäßen Unternehmensform. Unternehmerisch wird die Radiosendung von Gregs (Micro-)Fame getragen, Mikey und ihre Kollegen sind völlig austauschbar. Interessanterweise (und furchtbarerweise) wissen das alle. Produziert und reproduziert wird letztlich keine Radiosendung, sondern Dr. Gregs Celebrity Status. Die Aufgabe des Teams liegt darin, Gregs Wohlbefinden so zu steuern, sodass er die das Geschäft tragende Persona jeden Tag erneut verkörpern kann. Wie bei Wallace geht es um die Produktion des Gefühls gemocht zu werden. In einer Episode versucht Dr. Greg Mikey zu verführen. Mikey glaubt, dass sie gekündigt wird, sollte sie sich nicht auf ein Verhältnis mit ihm einlassen. Die Arbeit wird paradoxerweise erst handfeste Realität, wenn aus ihr eine private Beziehung wird. Das ist die düstere, groteske und scharfsinnige Analyse der Arbeit der Gegenwart von «Love».

Alexis Waltz ist Kulturwissenschaftler und Journalist. Besonders interessiert er sich für elektronische Musik, aber auch für die Geschichte der Gegenkulturen und Avantgarden, Kultur und Politik der USA, die Geschichte der Arbeit und die Geschichte der Geschlechter. Seine Texte sind in Groove, Spex, taz oder in der Süddeutschen Zeitung zu lesen und wurden ins Englische, Russische, Polnische und Französische übersetzt. 

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