Geht man dieser Tage beim Zürcher Paradeplatz am Hauptsitz der UBS vorbei, kann man wieder die mit blauem Marker geschriebenen Kommentare eines stadtbekannten Unbekannten sehen. „Ueli Maurer: Freue Dich Israel” steht auf der Plakatwerbung der UBS, mit einem
kleinen Herzchen auf Uelis „i”.  Daneben Verweise auf Psalme, Bibelstellen und viele weitere Bezüge zum heutigen politischen Zeitgeschehen. Der rätselhafte Plakatschreiber treibt sich seit mittlerweile gut zwanzig Jahren in Zürich herum. Und dennoch weiss niemand Genaueres über ihn. Ähnlich verhält es sich mit einem auf den ersten Blick kommerziell agierenden Phantom, der in Zürich Aussersihl A4-Plakate für seine Model- und Mannequin-Agentur aufhängt: „Wie werde ich Model? Nicht warten, starten”, empfiehlt Heribert von Bienert vom „internationalen Modeshow- u. Foto-Institut”. Das Irritierende dabei ist jedoch, dass die Plakat-Zettel ganz und gar nicht der Hochglanz-Ästhetik der Modezeitschriften entsprechen. Stattdessen sind es mit dem Fotokopierer collagierte Aufschneider-Sammelsurien und – man könnte es befürchten: vielleicht zwielichtige Angebote. Es bleibt dabei unklar, ob sich hier ein manischer Hochstapler oder ein alternder Lüstling – das Insitut existiert angeblich seit 1920 – umhertreibt.

Man kann solche Menschen leicht als „Spinner” abkanzeln. Oder aber versuchen ihre Welt zu verstehen. Die Grenze zwischen Sinn und Wahnsinn ist dabei oft schwer zu identifizieren. Vor allem ist es eine Frage der Definition: Was in dem einen gesellschaftlichen Umfeld als nicht tolerierte Abweichung abgestempelt wird, kann in einem anderen Umfeld die Voraussetzung für eine bestimmte Tätigkeit sein. Nicht von ungefähr finden sich z.B. im Musikgeschäft mehr Menschen mit Persönlichkeitseigenschaften, die man gemeinhin zumindest als auffällig bezeichnen würde. In gleichem Masse wie der Erfolg einer Künstlerin oder einem Musiker zu sehr in den Kopf steigen kann, kann er auch den erwähnten Akteuren eine Last werden. Zwar suchen sie die Öffentlichkeit für ihre Äusserungen; aber richtig sichtbar sind die eigentlichen Menschen dahinter selten. So wie z.B. der 2004 verstorbene Emil Manser, der mit seinen eindeutig uneindeutigen Plakat-Texten („Nicht verstan- den Ich auch nicht”) in Luzern so einige zum Nachdenken brachte. Und schliesslich entschied, sich das Leben zu nehmen.

Allen bisher Beschriebenen ist wohl gemein, dass sie gleichsam als Getriebene neben den bestehenden Strukturen für ihre Überzeugung missionieren. In Zürich liessen sich wohl auch der zu Ostern offiziell abgetretene König Kraska oder vielleicht neu die „Gangs of Zurich” dazu zählen. Ähnliche Figuren lassen sich selbstverständlich auch in anderen Städten und Zeiten finden, so z.B. der dichtende und musizierende Obdachlose Louis Thomas Hardin, der besser bekannt als Moondog auch heute noch als einflussreicher Jazz-Musiker gilt. Oder der ehemalige Seemann und Gärtner Gregor Gog, ein treibendes Mitglied der anarchistischen Bruderschaft der Vagabunden, die sich Ende der zwanziger Jahre ausserhalb der gesellschaftlichen Regeln bewegten.

In der vorliegenden Ausgabe der Fabrikzeitung versammeln wir Geschichten und Reflektionen über derartige rätselhafte, faszinierende und inspirierende Missionare, Getriebene oder unangepasste Chronisten unserer Zeit.

Ivan Sterzinger ist ein ehemaliges Redaktionsmitglied der Fabrikzeitung.

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