Die drei schönsten Tage. Endlich sind sie vorbei.

Erst hab ich mir nicht viel dabei gedacht, als Zürcherin an die Basler Fasnacht. Dass eine Stadt mitten in der Nacht aufsteht, um drei Tage lang Radau zu machen, machte mich vor allem neugierig. Auch dass meine Jungfernschaft schon Wochen im Voraus gefeiert wurde – «Ihre erste Fasnacht als Baslerin!» Ich nahm mir also vor, meine aggressiven Vorurteile zu Guggenmusik und besoffenen Trotteln in Masken – sorry, Larven! – zu vergessen.

Aber als ich in der Nacht von Sonntag auf Montag gegen drei ins Trämmli stieg, um in der Innenstadt auf den Morgenstreich zu warten, beschlichen mich erste Zweifel. Im Wagen eine Gruppe Smirnoffkids, die den ausgelassen Vibe in der Stadt bereits tief spürten und Balkan-Lieder grölten, dazu einige ältere Paare im Kostüm. Letztere waren schon jetzt gereizt, stierten mit roten Augen aus dem Fenster und zischten sich müde kleine Bösartigkeiten zu. Es kam, was kommen musste, laut und mutig zu den Rüpeln: «So Rue jetzt, mir fiire do e Schwyzer Fescht!»

Gedämpfter Stimmung traf ich am Rhein auf meine Freunde. Sie wieherten schon und erzählten allerlei Blödsinn, was nun die nächsten drei Tage so passieren würde. Dass sich verkleidete Bebbis allen Alters auf junge Mädchen stürzen, sie festhalten und stopfen würden, zum Beispiel. Ich glaubte ihnen kein Wort. Kurz vor vier kletterten sie plötzlich auf einen Balkon. Sie streckten mir die Hände entgegen und riefen Warnungen wie «sichere Entfernung!» und: «das Volk!», aber ich liess mich von der Masse mitreissen. Das Volk füllte die Strassen und bestand aus hölzernen Grinsegesichtern mit riesigen roten Nasen und Tränensäcken, zum anderen aus aufgeregten Zivilisten. Kann sein, dass ich am aufgeregtesten war, als es plötzlich still wurde und nur noch ehrfürchtiges Raunen durch die Menge ging. Dann schlug die Kirchenuhr und alle Lichter gingen aus. Die Laternen auf den Larvenköpfen leuchteten hell in die Nacht. Der Marsch setzte ein, die Züge trabten los, und ich war froh, dass ich nicht die nächsten 72 Stunden halbblind hinter einer stinkenden Fratze durch die Stadt staksen und piccolölen musste. Ha!
Da merkte ich erst, dass ich mittendrin, eingekeilt und mein Weg nachhause versperrt war.

Stunden später sitze ich in einem Zunftrestaurant und löffle ergeben Mehlsuppe. Draussen marschiert trommelnd eine Clique verkleideter (?) Nazis. Triefäugige Elsässer stürmen den Saal und tröten mir in den Nacken. Und all die ganz normalen Bürger rutschen in Holzzoggeli lauernd um meinen Tisch…
Was dann geschah, weiss ich nicht mehr genau. Verschwommene Bilder: Wie ich den Kindern, die mir nachrennen und Konfetti in den Nacken stopfen, die Säcke aus den Händen schlage, sie ihnen über die Holzköpfe leere und an den geschnitzen Ohren reisse – wie ich einen Schnitzelbänkler angreife, um mich mit ihm zu prügeln – wie ich auf seiner Ukulele klimpernd nachhause stolperte, durch die endlich freien Strassen und 250 Tonnen Räppli, die den Boden bedecken wie Herbstlaub…

Nach einer Nacht steintiefen Schlafs ist die Stadt wieder grau. Die Menschen tragen Sneakers, als wäre nichts geschehen. Aber ich weiss jetzt um die Holzschuhe in ihrem Schrank.

 

 

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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