Das Ding am Freischaffen ist ja, dass man sich selber dazu zwingen muss. Besonders im Sommer, wenn ich stattdessen den ganzen Tag am Rhein braten könnte, ist es ab und zu nötig, mir sogenannte Anreize zu schaffen. Ich locke mich z.B. ins Kafe an der Ecke, stelle die Beine in die Sonne und das Macbook neben den Freddo. Im Gegenzug bin ich nun verpflichtet, hier die lang herausgeschobene Kolumne zu schreiben, die mir seit Tagen die Tiefenentspanntheit vermiest.

Als da nach viel Murks endlich ein erster schiefer Satz steht, setzt sich ein Typ zu mir. Und natürlich geht es genau 20 Sekunden: WAS SCHREIBST DU. Dass ich ganz offensichtlich am Arbeiten bin – sturer Blick in den Bildschirm, Klickerklacker auf der Tastatur – scheint den Bürohengst nicht zu kümmern. In seiner Mittagspause haben Frauen an seinem Tisch ihre «Arbeit» niederzulegen und mit ihm zu plaudern.

Du darfst dich schon setzen, aber nur wenn du komplett die Fresse hältst!

Meine mühsam zusammengeklaubte Konzentration zerfetzt in einer heulenden Explosion von Wut. Warum hab ich nicht von Anfang an gesagt, was ich gedacht habe? «Du darfst dich schon setzen, aber nur wenn du komplett die Fresse hältst!» Leider weiss meine Erfahrung, dass ich nun zusammenpacken und gehen kann – sofort 10 Let-it-go-Yoga-flows, sonst wird das heute gar nichts mehr. Der wird nämlich keine Ruhe geben. Ein mir unverständliches, aber ständig passierendes Phänomen: Sobald ich in der Öffentlichkeit lese oder schreibe, werde ich angelabert. Es scheint, als wäre das für viele Männer ein untrügliches Zeichen für «Die sieht aus, als hätte sie nichts Besseres zu tun, als von mir belästigt zu werden».

Lustigerweise schrieb kürzlich ein Kolumnist der «Zeit» genau über dasselbe Problem; es scheint also weit verbreitet und nicht einmal genderspezifisch. Er setzte sich schliesslich zur Wehr: Einer besonders dreisten Kellnerin (sie beugte sich über ihn  und las laut aus seinem aufgeschlagenen Buch vor) gab er die Übergriffigkeit zurück , indem er sie fragte, was ihre BH-Grösse sei. Natürlich ist das daneben. Aber sie auch!

Während sich der Bürogummi also gerade lautstark über mein Pied-de-coq-Kleid den Kopf zerbricht, denke ich an Revanche: Was könnte ich sagen, das ihn so zur Flucht treiben würde wie jene unsensible Kellnerin? In meinem Hirn aber boxen sich nur noch Schimpfwörter in den Bauch. IST DAS EIN BERÜHMTES MUSTER. MIT MODE KENN ICH MICH NICHT AUS. MUSST DICH KONZENTRIEREN GELL. Ihn nach seiner Kondomgrösse zu fragen, würde ihn wohl eher angespornen als abgeschrecken. SCHREIBST DU ÜBER DEN TINGUELY. SCHREIBST DU, WEIL GESTERN JEMAND UMGEBRACHT WURDE. IST ES EIN GEHEIMNIS. Bisher habe ich eisern geschwiegen, nun mauzt es – reichlich unsouverän – aus mir heraus: ICH SCHREIBE DARÜBER, DASS MICH EIN IDIOT VOLLLABERT. Ein bisschen liebe ich schon in dem Moment, dass ich nicht freundlich geblieben bin. Früher wäre ich glaubs nur höflich gewesen. Er hätte es auch null verdient gehabt: Er schaut zwar kurz beleidigt, macht dann aber einfach weiter: «Es wäre eben gut, wenn man wüsste, von welcher Zeitung jemand ist, und was sein Spezialgebiet, dann könnte man darüber reden (…)».

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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