Sonntagmorgen, weiterschlafen; wer aufsteht und Facebook hochfährt, sieht die Welt brennen und ihre Heldinnen fallen. Da hilft auch kein Yoga for After Desaster, wir sind ja noch mitten drin. Kurzfristig helfen könnte aber das Schliessen aller virtuellen Fenster und ein Blick aus einem richtigen – meins schaut derzeit auf den perfekten Rasen (betreten verboten!) einer schweizerisch-römischen Prunkvilla. Doch wer grinst da von den nackten Ästestümpfen der im Schnee erforenen Zitronenbäume? Ciao climate change.

Dem Affekt, einfach wieder ins Bett zu fallen widerstehen, stattdessen in die Küche tappen. Dort findet in vorbildlicher Manier die dreisprachige CH-WG-Konversation statt: Harmlos, könnte man meinen; meist geht es um den Papst, und dass er ein Guter oder zumindest nicht allzu Schlechter ist, und wer von uns mal in den Himmel kommt – nur die Katholiken? Alle Christen? Gottes Liebe ist unendlich?

Düstere Schreckenswelt, durch deren Schlaglöcher wir da stolpern.

Denkste: Beim Kaffee diskutieren die Mit-Stipendiaten sichtlich verstört ihren gestrigen Theaterbesuch. Kein Stück war das, vielmehr ein «spettacolo»; eine unterhaltsame Lehrveranstaltung sollte es sein, zum Meister Michelangelo. Ein arrivierter Kunstgeschichteprofessor erklärt darin volksnah die Renaissance, anhand der berühmten Pietà des Wundertäters. In einer multimedialen Slideshow zeigt er dessen schöne Werke: heilige Madonnen, leidende Jesen, und erklärt nebenbei das Christentum nicht nur zu unserer Religion, sondern vielmehr zu unser aller Kultur. «Und dann», der Tessiner Geschichtsdoktorand, der den Ausflug ins Theater vorgeschlagen hatte, windet sich vor Unbehagen, «machte er die Verbindung zu heute.»

Ein Bild der zusammenfallenden Twin Towers sei reingeslidet und brachte den Professor zum Geifern: «Die Moslems (!), die in Europa einfallen! Alles wollen sie uns zerstören! Wartet nur, in zwanzig Jahren sind wir alle zwangskonvertiert!» Seine Hate-Speech wird untermalt mit Fotos von köpfe-hackenden IS-Soldaten und Burkaträgerinnen – und, am schlimmsten: mit frenetischem Applaus aus dem Publikum. Hier sind sie also, die fast 40 Prozent, welche die Rechtspopulisten gewählt haben! Im Theater hocken sie und jubeln einem verwirrten, aufmerksamkeitsheischenden Pseudointellektuellen zu. Und noch gefährlicher: Acht Rezensionen finden sich tags darauf zum «spettacolo» – in keinem wird die Propaganda-Hetze auch nur am Rande erwähnt. Die Medien schweigen.

So wie sie nur noch murmeln, wenn schon wieder ein fader Fascho, der sich eigentlich selber umlegen wollte, dafür aber zu feige war, stattdessen den erstbesten Schwarzen erschiesst – nach Macerata nun z.B. in Florenz.

Düstere Schreckenswelt, durch deren Schlaglöcher wir da stolpern. Aufheiterung bietet unverhofft und wohl eher unfreiwillig ein Poliziotto an der Ampel. In der einen Minute, in der ich neben ihm warte, legt er sich erst leidenschaftlich mit einem aufsässigen Automobilisten an, der sich dem Fahrverbot widersetzen will – «fahr rechts ran, dann kannst du was erleben! Stronzo di merda + diverse weitere italienische Schimpfwörter.» Dann wendet er sich an uns wartende Fussgänger und sagt: «Ihr könnt jetzt rüber. Ist zwar noch rot, aber es wird bald grün. Ich weiss das.» Ich nehms als Metapher und glaubs ihm mal.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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