Es wird wärmer, die Bäume schütteln ihre Pollen und am Sonntag brennt das grosse Himmelsscheit. Es weckt in jungen Kanaris das Verlangen, ihre eigene Mutter zu begatten, und im jungen städtischen Mann jenes, sich eine Wiese zu suchen, um darauf zu rennen. Am liebsten mit vielen anderen Männern zusammen hinter einem Ball her. Auch in der jungen städtischen Studentin wallt Sehnsucht nach einer weichen, hellgrün duftender Wiese auf, allerdings will sie diese vielmehr dafür nutzen, sich flach auf sie zu legen, um zu dösen.

So finden sich das Männlein und das Weiblein in ihrem Begehren und spazieren Hand in Hand aufs Land. Sie begutachten die Häuslein und ihre Vorgärten, in denen richtige Rosenkohlstöcke sich lustig in die Höhe recken und über deren flaumige Rasen stolzgeschwellte Erpel tölpeln.

«Es scheint mir so ineffizient», wundert sich die Studentin, «wenn in jedem Haus nur eine Familie wohnen kann». Ihr stetig ratternder Denkapparat wird jäh unterbrochen – sie muss sich flink bücken, weil ein Ball geflogen kommt. Hinterher stolpert ein bürogescheitelter Mann mit rosigen Wangen, der quietschend weite Sprünge macht. «Die Sonne», jauchzt er, «scheint, ich bin so übermütig!» Er kickt den Ball hoch in die Luft und jagt in seine Richtung fort.

Die Studentin lächelt mütterlich ob dem kindlichen Gebaren des Fremden und spürt, wie es auch in den haarigen Zehen ihres Gefährten erwartungsvoll zuckt.

«Wo ist wohl mein Spieltrieb abgeblieben?», fragt sie sich, der aufgeregten Männerherde den Rücken zuwendend, um abseits einen zur Kontemplation geeigneten Flecken Gras zu finden. «Ist das nun biologisch bedingt oder kulturell? Ich wurde ja nicht als rosanes Barbiegirl sozialisiert; als Kind hab ich Fussball-Turniere gespielt, mit den Buben, mit blutigen Knieschonern und Stollenschuhen. Ich liebte den Geruch des abendlichen Trainingsrasens im Frühsommer. Aber heute?»

Sie zuckt die Schultern, lässt sich gegen einen Baum sinken, fächert ihre Lektüre auf – Goffman, Interaktion und Geschlecht. Setzt den Finger beim Arrangement der Geschlechter an, bedacht, auf keinen Fall wie eine Spielerfrau zu wirken, die am Spielrand sitzt und sich langweilt. So blinzelt sie in die Sonne und freut sich: einerseits für ihn, der gerade mit vor Vorfreude rausguckender Zunge die violettpinken Kickers schnürt, und andrerseits auf das Kitzeln der frischen Grashalme in ihrer Ohrmuschel. Aus den Augenwinkeln beobachtet sie fremde Männerbeinchen, wie sie aus engen Jeansröhren zappeln und in knappe Höslein schlüpfen, die hinten wie vorne schön spannen und glänzen. Über die glattrasierten Männerbrüste rutschen Shirts mit Schriftzügen von Werbung und dem Namen eines Kindheitsidols.

So traben sie auf den Rasen und spielen. Spucken sprühend in den Rasen, dröhnen Flüche und Befehle, klopfen einander freundschaftlich auf den Rücken; die wartenden Goalies stemmen die Hände auf die Knie und kippen die Glanzhinterteile wie die Erpel. «Herzig», bemerkt die Studentin zu sich selber, «wie sie ihre männlichen Attribute zur Schau stellen. Und soziologisch hochinteressant, dieses Imitieren des Habitus der Fernseh-Fussballer.» Die Studentin faltet den Goffman zusammen und schiebt ihn sich unter den Kopf. So liegt sie da und lächelt mit geschlossenen Augen in den Himmel hinauf.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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