Nachdem die Festtage unverhofft friedlich vergangen sind, umarme ich meine Schwester am Zürcher Hauptbahnhof, bevor sie zurück in ihre Stadt fährt und ich zurück in meine. Wir stehen vor dem leuchtenden Kiosk, wickeln Glanzfolie von frischen Zigarettenpäckchen, wir haben noch ein paar Minuten vor dem letzten Zug. Sie sagt: Ich habe einen Essay gelesen, der handelte von Hoffnung. Darin stand, Optimismus und Pessimismus funktionieren ganz gleich: Wenn man von der Vergangenheit auf die Zukunft schliesst. Mit der Hoffnung aber verhält es sich anders. Hoffen tut man, wenn man zugibt, nicht zu wissen, was künftig passieren wird; Gutes wie Schlechtes. Die Hoffnung aber hält dich an, etwas dafür zu tun, dass es doch besser als schlecht herauskommt. Während Optimist wie Pessimist also passiv funktionieren, ist in der Hoffnung ein aktives Element.

Versuche ich also etwas, was mir schwerfällt. Denn seit ich mich für ein vernünftiges Wesen halte, kokettiere ich, ja brüste ich mich geradezu damit, von Grund auf pessimistisch zu sein – es ist ja auch leicht. Sich im Vornherein alles schlechtmöglichst auszumalen, hat nur Vorteile: Meist liegt man richtig, und hat dabei sich – und beim Herumprelagen andere – gut unterhalten mit makaberen Apokalypsephantasien. In seltenen Fällen erweist sich die ausschweifende Prophezeiung als übertrieben, ganz selten als gegenteilig, und man kann nur positiv überrascht werden.

Das geplante Hoffnungsplädoyer – vielleicht liegt es in seiner Natur? – bahnt sich jedenfalls um einiges leiser und gegen viel Skepsis an. Das muss ich erst noch üben. Also wo beginnen? Bei diesen glimpflich-zauberhaften Weihnachten, die durch ein Youtube-Video gerettet wurden? Den kritischen Kipp-Moment kennen wir alle: Die eine Tante kriegt von der anderen Tante eine Ziege im Kongo geschenkt. Und plötzlich wird es politisch, die beschenkte Tante sagt etwas, was dir nicht gefällt. Noch letztes Jahr hättest du hilflos zu schreien und ob der dich umgebenden Ignoranz auf Tagi-Online-Kommentarschreiber-Niveau zu heulen begonnen. Dieses Jahr aber springst du auf und rufst: Leute! Für diese Situation hab ich gestern ein Tutorial gesehen: «Was tun, wenn beim Weihnachtsessen jemand etwas sehr Dummes sagt? Step 1: Lache laut!» Es funktionierte: Sie lachten. Und besagte Tante schwieg beschämt, im Gefühl etwas gesagt zu haben, das die anderen als lachhaft abtun. Vielleicht würde sie in der Folge sogar darüber nachdenken, warum dem so sei.

Wer hätte gedacht, dass dieses Witz-Video wirklich etwas bewirken würde? – Was heisst schon «bewirken»?, nölt Pessimismus in mir. Was bringt es bombardierten Kindern in Syrien? – Naja, erwidert zaghaft die frisch gekeimte Hoffnung, es hatte schon einige Views. Wenn das bei all denen deren Familienzusammenkünfte deeskalierte, dann ist das doch ein ansehlicher Haufen eher zufriedener als zerschlagener Menschen, die dann zart hoffnungsvoll ins neue Jahr gehen?

Schön und gut, aber wofür wird hier eigentlich plädiert? Dass alle lustige Youtube-Videos drehen? Scho nöd. Man kann z.B. auch warme Kleider zur nächsten Obdachlosen-Stelle bringen. Oder über die Nötigkeit eines Schinkenbrots im Verhältnis zum armen Schwein nachdenken. Oder. Dir fällt schon was ein. Wie du die Zukunft eher besser als schlechter machen kannst.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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