So ein Atelieraufenthalt unter Künstlerinnen in der Grossstadt ist schon eine feine Sache.
Tagsüber wird im goldenen Käfig des Schweizer Instituts tunnelblickig gearbeitet und Unmengen vorzeigbares Kulturmaterial produziert; abends tummeln sich die aufstrebenden Stipendiaten aus aller Welt in einer der prestigeträchtigen Akademien, fressen Häppchen unter kolonialen Wandteppichen und tun wichtig.

Und zehn Monate sind eine lange Zeit; Zeit genug, auch mal aus dem Institut hinauszutreten und den ungewohnten grossstädtischen Umständen entgegenzutreten, sich sogar an sie zu klimatisieren versuchen: Ein nie endendes Lärmen von Verkehrsrauschen und Hupen, Flugzeug- und Helikopterdonnern, Schreien von Möwen und Krähen und Menschen; Smog; wälzende Massen von Touristen; Gekreuzigte und Maschinengewehre und Panzer an jeder Ecke…

Selbst in einem Entwicklungsland wie Italien, wo Busse in Luxuseinkaufsstrassen explodieren – aus Altersschwäche! – und der grösste Stolz zerfressene Steine sind, die den Fortschritt behindern, indem sie sich noch jeder sinnvollen Metrolinie in den Weg legen; selbst in Rom, wo ein Papst jeden Morgen um fünf aufsteht und inbrünstig italienische Weinkringel verkrümelt, und so tatsächlich noch Wunder vollbringt: eine endlich totgeglaubte, grotesk geliftete Kasperlifigur auferstehen lässt, um den jungen Freunden in der zarten neuen Regierung wieder alles Spielzeug wegzunehmen – selbst an diese primitivsten zivilisatorischen Zustände kann man sich in zehn Monaten gewöhnen.

Die Rückkehr in die Schweizer Dörfer nach Ablauf der Stipendiumzeit wird dann umso seltsamer. Ganz sturm wird einem da vor lauter Ordnung und Stille. Schwindlig, weil die Augen haltlos frei wandern: auf den Boden zu schauen, ist hier unnötig. Es gibt keine metertiefen Schlaglöcher, geköpfte Ratten und Papageien, keine getrocknete Hunde-, Katzen-, Menschenscheisse – hier wird das Trottoir täglich feucht aufgenommen! Geradezu schlafwandlerisch kann man sich hier bewegen: Die Autos fahren lautlos elektrisch 25 und magisch vorausschauend – die halten, bevor ich selber weiss, dass ich überhaupt die Strasse überqueren will! Und beim Bezahlen muss ich hier weder Quittung noch Rückgeld überprüfen; schon nur so etwas anzudeuten, wäre eine grobe Beleidigung; das typisch italienische Bescheissen ist hier eine Todsünde.

Ich werde wohl eine Weile brauchen, mich wieder an all das zu gewöhnen. Und wenn ich in dieser Zeit nicht irre werde vor Langeweile, kann ich auch bald wieder die schönen Sachen hier geniessen. Den Rhein. Cappuccino am Nachmittag. Der Basler Wohnungskampf. Und wenn meine wunderbare Wohnung im Gundeli nächsten Frühling trotzdem endgültig abgerissen wird, um, zusammen mit hunderten anderen in der Stadt, Platz zu machen für dringend benötigte glänzende Bürolofts, dann kann ich ja immer noch zurück in die ewige Stadt. Und dort Billetkontrollörin werden. Oder Ministerpräsidentin.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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