Für einen Buchpreis nominiert zu sein, ist grossartig. Eine tiefgreifende Veränderung für das ganze Leben. Jeden Morgen wacht man auf und denkt: Ah! Ein neuer Tag als Nominierte.

Aber es bedeutet vor allem, dass man seinen Nomations-Bonus wahrnehmen und abarbeiten muss: eine Lesung nämlich im dunkelsten Osten Deutschlands. (Nahe, ja sehr nahe von Bautzen.) In einer Buchhandlung, die schon im ersten Mail schreibt, man solle sich im Voraus «ein paar kleine running gags» überlegen «für die unangenehme Stille nach der Lesung».

So fiebert man dem Ereignis entgegen, und die Vorfreude ist fast nicht auszuhalten, als man am grossen Tag endlich in allen möglichen Regionalzügen des Landes ebenjenes durchquert, um in einer Stadt zu landen, die ein Dorf ist. Eigentlich ist es eine Strasse. Es gibt einen verstaubten Geschenkladen, in dem Vorhänge und Topflappen hängen und zwei Buchhandlungen – eine christliche, und eine andere, die im ersten Schaufenster den neuen Harry Potter hat und im zweiten farbenfrohe Ratgeber, wie man Gemüse und Früchte lecker einlegen kann: «in Essig, Öl oder Alkohol…» In letzterer wird man auftreten. Bald wird man erfahren, dass das unüblich sei, sich als Fremde hierher zu verirren. Dass sich alle schon von weitem am Auto erkennen und durch die heruntergelassene Scheibe nach der laufenden Scheidung erkundigen, und dass in der Buchhandlung sonst nur Locals lesen. Zum Beispiel eine Frau, deren Sohn Crystal Meth nahm und sich von der Brücke stürzte. Ich weiss sogar, von welcher Brücke die Rede ist, weil diese beliebte Selbstmörderbrücke im abschreckenden Werbevideo für die Region herzlich besungen wird.

Die Buchhändlerin also empfängt einen so, wie nach dem ausführlichen Mailstreit zu erwarten war. Sie schielt auf einem Auge und sie benutzt – wilde Vermutung – Deodorant ohne Aluminium. Sie scheucht einen hinter die Spanplattenkasse, fuchtelt bedrohlich mit einer Leselampe, keift: «Lichtsituation?!» und man sagt schnell, dass es hell genug ist. Sie sagt: besser so, und knallt die Lampe unter die Kasse, die «Bühne».

Dann führt sie einen ins – klar: einzige – Hotel. Man wird offensichtlich auch der alleinigste Gast sein und fühlt sich ein wenig Twin Peaks. Im dunklen Treppenhaus dreht sich die Buchhändlerin abrupt um. Vorwurfsvoll: «Wie haben Sie sich das eigentlich mit Abendbrot vorgestellt? Es gibt nichts. Ist alles zu. Sogar der Grieche!» Sie kichert und zieht schadenfroh ihre schwere Schweisswolke hinter sich her.

Bis dahin bin ich – wirklich – noch gefasst. Aber dann geht das W-Lan nicht. Die Seite der deutschen Bahn, die mir sofort meinen ersten Zug morgen früh anzeigen soll…

Ich stürme aus dem Hotel und die eine Strasse hoch. Atemlos räume ich grosse Flaschen Bier aus dem Kühlschrank eines Kebabladen, sie versichern mir, dass sie bis zehn Uhr offen haben werden und nachdem ich mit dem fettigen Gasanzünder der Kebabfrau eine Zigarette angezündet habe, bin ich schon fast beruhigt. Im Hotel trinke ich das Bier. Ich male mir das Gesicht an und stapfe todesmutig über die Strasse, zur Buchhandlung.

– Es war dann total nett. Aber froh, dass man den Preis dann doch nicht kriegt, ist man trotzdem. Sonst ginge die Tour nämlich noch weiter.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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