Alles kommt gut: Wenn sich 2030 die Welt gegen die Apokalypse verschanzt wie auf Helms Klamm, kommen am Horizont die UN angaloppiert. Sie preschen heran auf 17 schnaubenden Schimmeln, von denen jeder eine eigene globale Schlacht zu bezwingen hat: Kampf der Armut, dem Hunger, den Fischstäbchen, dem Patriarchat, dem Kopfrechnen, überhaupt allen schlimmen Dingen, Kampf dem Kampf!

So las ich im Vorlesungsverzeichnis der Uni, dachte: Gute Sache, Weltretten, da geh ich hin.
Das ist also ein typisches Seminar. Der renommierte Professor sitzt in der Ecke und döst, während zwei nervöse Stundentinnen am Lehrerpult mit Beamerkabeln hantieren, um als Leistungsnachweis Youtubevideos zu zeigen von Kindern aus aller Welt: Kinder am Stöbern auf ländergrossen Elektromüllhalden in Afrika, Kinder am Sticken in Sweatshops in Asien, weibliche Kinder am Ersticken in Menstruationshütten in Nepal.

Und weil das alles so «shocking» und aufregend ist, benehmen sich die Studentinnen und Studenten in diesem Seminar vergleichsweise zivilisiert. Während in allen anderen Kursen und Vorlesungen die meisten bloss trüb in den Laptop stieren und sich durch 9gag klicken, Wirtschaft lernen, ihre Creditpoints zusammenrechnen, schlafen oder einfach leidend dreinschauen, so wird im Seminar zur «Agenda 2030» rege diskutiert.

Dabei kommt vor allem zur Sprache, was wir eigentlich brauchen. Brauchen wir jedes Jahr das neue IPhone, wenn dafür durchschnittlich ca. zwei Menschen sterben? (Ein Sklave in der Mine im Kongo und ein Arbeiter in der Schreckensfabrik in China, der es schafft, sich trotz der installierten Auffangnetze vor den Fenstern selber umzubringen.) Brauchen wir Feminismusdebatten, wenn der Banknachbar so nett aussieht? Brauchen wir Fairtrade, wenn das doch ein fieses Label geworden ist, das Bauern teuer zahlen müssen?

In einem Punkt sind wir uns immer einig: Es wird richtig mühsam für die 17 glänzenden UN-Schimmel in der Welt, wenn nicht mal wir privilegierten, gebildeten Schweizerkiddies uns auf das Gute einigen können. Da sitzen wir in fröhlichfarbigen Zara-Jäcklein («Fair ist so teuer, ich kann mir das nicht leisten») mit unseren glänzenden Smartphones («Wenn das Fairphone nicht so viele Bugs hätte…») und schwören hoch und heilig, dass wir uns ein wenig zurückhalten wollen mit dem Konsum. «Wir sollten wieder lernen, Sorge zu tragen», meint einer, und eine andere: «Ja, warum nicht anfangen, Sachen zu flicken?» Darauf aus mehreren Kehlen gleichzeitig: «Aber ich kann gar nicht nähen!»

Es herrscht betroffene Stille, bis sich eine kritische Stimme meldet: «Was passiert denn mit den Kindern in Bangladesch, wenn wir die Sweatshops boykottieren? Die Wirtschaft bricht zusammen und sie verlieren ihre Jobs!»

Der Blick des Professors zur Uhr bestätigt es: Die Zeit ist um. So klappen wir in kuschligem Konsens unsere Macbooks zu. Vielleicht machen wir auf dem Heimweg einen kleinen Umweg statt in den Coop in den Unverpackt-Laden. Jeden Tag eine gute Tat. Ach nein, ich habe gar keine Behälter dabei. Next time. Das hält die Urukhais schliesslich auch nicht ab, oder.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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