Künstlerfrühstück in der Schweizer Botschaft in Berlin. Draussen graut der Morgen, im Kaminsaal reiben sich die Geladenen die Augen. Lustig: Bis auf einen Quotenmann sitzen nur Frauen an der goldgeränderten Tafel. Ebenso weiblich sind die Botschafterin und ihre Delegation. Mir fällt die Diskussion ein, wie sich Frauen in hohen Positionen anziehen sollen – die Aufmachungen gehen von weinroten asymmetrischen Lederkostümen bis hin zu Doc Martens.

Thema des Frühstücks ist aber weniger Mode als das Selbstverständnis von Schweizer Kulturschaffenden in Deutschland. Eine Jammerrunde bricht aus; dass man den Schweizer Akzent sofort loswerden muss, weil man sonst als herzig betrachtet wird; und dass sich die Deutschen überhaupt fast gar nicht für Schweizer Produktionen interessieren. Es werden Ideen gesucht, wie solche und die Schweizer Kultur an sich dem deutschen Publikum nähergebracht werden sollen. Aber: Was wird überhaupt von den Schweizern erwartet? Müssen wir uns erst eine Marke schaffen? Geissen und Fondue in alle Filme und Bücher?

Der einzige Künstler-Herr beginnt seinen Monolog – leider wird er 80 Prozent des Gesprächs weiter allein führen, da aufgrund seines Alters und seines Renommées auch niemand wagt, ihn zu unterbrechen. Er hält eine Geschichtsstunde, die bis ins 13. Jahrhundert zurückgeht und wünscht sich Stadtführungen mit Stationen Gottfried Keller- und Max Frisch-Haus; weiter hält er Reden, dass die Schweiz als Konföderation ein Vorbild sein soll für die EU, weil sich die St Galler und die Aargauer ja auch nicht sympathisch seien. Wir anderen trinken vor allem kannenweise Kaffee und löffeln Birchermüsli.

Spannend wird es danach, als Botschafterin und alter Herr weiterziehen und wir noch in kleiner Runde zusammensitzen. Eine Autorin meint, dass sie nicht bei Programmen deutscher Institutionen mitmachen würde, weil sie sonst nicht mehr als Schweizer Künstlerin wahrgenommen und im grossen deutschen Ganzen untergehen würde. Ich protestiere: Internationale Austausche sind doch gerade toll, weil sie eine Vielfalt bieten, die eine kleine Schweizer Szene so nicht hat. Und warum sollen wir nicht das Selbstbewusstsein haben, uns im internationalen Kontext zu präsentieren und zu vergleichen? Darauf wird vermutet, dies sei wohl ein Anliegen der «neuen Generation». Aber was ist denn hier los? All dies Gefasel von nationaler Identität! Was soll daran überhaupt erstrebenswert sein? Weder in der Kunst noch in der Gesellschaft noch im Privaten geht Identität verloren, wenn Menschen ihren Horizont erweitern um das, was über der nationalen Grenze hinaus geschieht. Im besten Fall wird etwas befruchtet. Ekelhaft, wenn Prädikat «Besonders reine Swissness» ein Qualitätsmerkmal sein soll, das man als Künstler, um im In- und Ausland möglichst erfolgreich zu sein, bedienen soll. Gerade in einer Zeit, wo Stacheldrahtzäune nicht nur rhetorisch überall ab- und ausgrenzen sollen, suchen wir nach einer automatisch in konservative Bilder ausartenden Marke für «Schweizer Kunst»?

Ich für mich beschliesse, mir ab sofort noch weniger Gedanken über Self-marketing zu machen und umso mehr zu schaffen. Ob das dann schweizerisch rüberkommt, ist mir herzlich egal.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert