In San Lorenzo, dem römischen Univiertel mit kommunistischem Fussballklubfanklub, findet ein alternatives Buchfestival statt. Live-Musik, Wein, und Jauchzer: der Verlag L’orma präsentiert neue Übersetzungen von Irmgard Keun. Ich dränge meine Begleitung, ein junger römischer Künstler und bekennender Feminist, eine zu kaufen. Er ziert sich. «Aber geht es um eine Frau? Du kannst dich natürlich identifizieren mit ihr, aber ich…» Ich werde rabiat: «Ich habe mich auch mein Leben lang mit männlichen Figuren identifizieren können. Also lies du Feminist jetzt mal eine Autorin!» Murrend kauft er das Buch. Aber in mir arbeitet es weiter.

Die Idee, Protagonist*innen nur interessant zu finden, die so sind wie man selber, (in seinem Fall solche, die dieselbe öffentliche Toilette benutzen würden wie er), erscheint mir ziemlich fantasielos. Abgesehen davon, dass Figurenzeichnung bei weitem nicht die einzige Qualität einer Erzählung sein muss, sagt es einiges über das Empathievermögen aus, wenn man nur dann etwas für ein Buch empfinden kann. Es ist doch gerade spannend, wenn man sich in den verschiedensten, einem selbst fernsten Figuren wiederfindet.

Aus der Aussage des jungen feministischen Künstlers spricht aber auch die Annahme, dass Frauen grundsätzlich anders schreiben als Männer – eben so, dass es für Männer gar nicht interessant oder zumindest schwer verständlich ist. Wie ein Gender-Equality-Feminine-Leadership-Saudiarabimoneyrich-Coach kürzlich schelmisch bemerkte: «Diejenigen, die Partner zuhause haben, wissen ja: Frauen und Männer sprechen eine andere Sprache.» Merkwürdig, ich kenne seine Frau: Sie reden beide französisch.

Ah ja, sehr gut, das Frauenthema!

Diese absurde Annahme ist aber tatsächlich sehr verbreitet – gerade in der Literatur. Das «weibliche Schreiben» wird auch so vermarktet: Im Orell Füssli steht ein ganzes Regal mit der Überschrift: «Freche Frauen». Es gibt die «Frauenliteratur» und das «Fräuleinwunder». Meine Mutter ruft mich an und sagt: «Ich mag die Bücher, die deine Schwester mir geschenkt hat, aber etwas ist seltsam: Auf einem klebt so ein Sticker, auf dem steht «Frauenkrimi». Braucht es das?» Ich führe ein Gespräch mit zwei Dichtern über Kate Tempest; der eine kennt sie nicht, der andere sagt: «Ich bin nicht so Fan von feministischer Literatur.» Und wenn mich Deutschlehrer fragen, was sie mit ihren SchülerInnen lesen sollen, sage ich arglos: «Wie wärs mal mit Autorinnen?» Darauf sie: «Ah ja, sehr gut, das Frauenthema!»

Die Geschlechterforscherin Andrea Maihofer erzählt gern von Mädchenbabys, denen, sobald sie drei Haare haben, ein Spängeli drangeklemmt wird. Weil Babys, die nicht offensichtlich als Mädchen gekleidet sind, werden meist für Buben gehalten. Das Männliche ist die Norm, Frauen sind das Andere. Auch in der Literatur. Als ich zum allerersten Mal an einer Schreibwerkstatt teilnahm, staunte einer: «Du bist ja eine Frau! Ich dachte immer, deine Geschichte hätte ein Mann geschrieben». Damals nahm ich es an als das grosse Kompliment, als das es wohl gemeint war.

Heute zitiere ich zum Abschluss Meret Oppenheim: «Aus einem großen Werk der Dichtung, der Kunst, der Musik, der Philosophie spricht immer der Mensch. Und dieser ist sowohl männlich als weiblich.»

Und nun geht und lest Frauen! Der feministische italienische Künstler mag das Buch übrigens sehr. Stolz erzählt er, er hätte einen Weg gefunden, es zu lesen: Er stellt sich einfach vor, die Erzählerin wäre ich.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert