Endlich wieder Golfen mit Godi! Ein schöner Nachmittag, wenn auch zeitweise irritierend: Zum Beispiel, als ihn der Freund nicht umarmen will und auf der 2 Meter-Distanz-Regel besteht. Da habe er als Arzt keine Wahl, meint Godi, sonst stehe sein Ruf auf dem Spiel. Während dem Golfen aber zieht es ihn auf mysteriöse Weise immer wieder in Godis Nähe, so dass dieser jeweils in kleinen Schritten rückwärts trippelt. Da hat er plötzlich eine Vision, dass Godi die Sonne ist und er selbst ein Planet. Welcher Planet weiss er nicht, einfach ein Planet, der elliptisch um Godi herum rotiert und die Golfbälle sind Kometen. Die Golfball-Kometen schiessen wie in einem wunderschönen Feuerwerk der Freundschaft um sie herum.

Doch er erzählt Godi nichts von seiner Vision. Er erzählt ihm auch nichts vom Jungbrunnen, den er in seinem Garten baut. Früher hat er seinem besten Freund und Hausazt immer alles erzählt.

Godi war immer der Nüchternere der beiden gewesen. Der hätte sich nie getraut, sein eigenes Unternehmen zu gründen und an der Börse so wild zu spekulieren. Dafür bewundert Godi ihn, das hat er ihm gesagt. Jaja, der Godi. Seit über sechzig Jahren sind sie nun schon beste Freunde. Aber jetzt ist es Godi wichtiger, was sogenannte Experten sagen, als den guten Freund zu herzen!

Überhaupt, diese Naturwissenschaftsdiktatur, in der wir plötzlich leben, er kann das nicht ernst nehmen. Er hat schliesslich auch studiert. Wirtschaft, und das erfolgreich! Und das zu Zeiten, da hat dieser Schulbub Salathé noch in die Windeln gemacht! Oder dieser Drosten, mit seinen doofen braunen Locken: Als er der Wissenschaft noch vertraut hat, da waren Wissenschaftler Männer mit weissem Bart oder Schnauz und einem «von» vor dem Nachnamen, die niemals sagten, dass sie etwas «nicht wissen». Die wussten alles! Oder schaut diesen Koch an. Sein Gesicht ist ein einziges Fragezeichen! Wenigstens kommen sie einem nicht auch noch mit Frauen oder Ausländern, die plötzlich Experten sein sollen.

Aber auch davon erzählt er Godi nichts. Statdessen erzählt er ihm vom Dick Pic, das er kürzlich vor einer Zoom Sitzung verschickt hat. Er hebt seine Hand zum High Five, doch Godi schaut ihn nur irritiert an.

Auf dem Parkplatz lässt Godi surrend die Scheibe seiner Mercedes-Jeeps herunter und händigt ihm eine Packung Schutzmasken aus. «Wir sind ja beide schon länger keine fünfundsechzig mehr», sagt er. «Hier, das sind die guten. Die, die wir in der Praxis brauchen.» Sprachlos schaut er auf die Kartonbox in seinen Händen. Niemals im Leben wird er eine Maske tragen! Als der Jeep von Godi verschwunden ist, nimmt er die Box und legt sie auf den Boden, dann fährt er mit seinem eigenen Jeep drüber.

Zuhause erwartet ihn ein Spendenaufruf in der Mailbox, zugeschickt von der zweitältesten Tochter: Irgendwo im Amazonas würden die Leute unter Corona leiden, und er solle denen Geld schicken. Wie bitte? Wenn jemand unter Corona leidet, dann er! Sofort rennt er zu seinem Jungbrunnen im Garten. Nach einigen Stunden emsigen Bauens geht endlich die Sonne unter und der Mond, sein neuer Freund, erscheint. Er schämt sich nicht dafür, dass er ihn mittlerweile jede Nacht anheult. Sein Anwesen hat genug Umschwung, die Nachbarn hören ihn sicher nicht.

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.

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