Ich schreibe diese Kolumne aus dem Exil. Meine Vertreibung geschah leise und gewaltlos, fast unbemerkt. Auch andere sind gegangen, achselzuckend die Agglo aufsuchen. Man weiss ja, dass man den Verbliebenen mit seiner ewigen Wohnungssucherei auf den Geist gegangen ist. Hätte halt mehr arbeiten müssen, dann wäre so eine nette Loft in der Europaallee auch zu haben gewesen.

Ich hatte aber wenig Lust noch mehr Sonnenzeit in stickigen Büros und noch mehr Schlafzeit hinter stinkenden Bars zu verschwenden, wollte ja auch noch Schriftstellerin werden. Also habe ich genommen, was kam. Nichts gegen Untermiete – Plattensammlungen anderer interessieren mich sehr. Nichts gegen kalte Heizungen und Schimmelornamente – in jenem Winter wurde ich tatsächlich nie krank. Und nichts gegen im Wohnzimmer onanierende Mitbewohner – ok, doch, der hat jeweils nicht mal Hallo gesagt. Irgendwann kam aber gar nichts mehr. Die Wohnungsbesichtigungen wurden zu Quartierfesten. Man traf sich, besprach sich, zog zurück zu Mama. Und ich zog weg. Der Rhein ist gross, die Möwen fliegen, die Schiffe fahren. Es ist gut hier.

Bis die Kulturabteilung der Stadt Zürich eine Wohnung für Literaturschaffende ausschrieb: Altstadt, 4.5 Zimmer, 1240 Franken. Parkett, Stuckaturen, Aussicht über die Stadt. Klassischer Fake? Nein: Künstlerförderung! Die Zürcher Schreibgemeinde jubelte. Und mir wurde mulmig. Dieses Angebot war nicht auszuschlagen. Wenn ich jemals wieder in Zürich leben möchte, wäre das meine Chance, ja meine Belohnung: ich war in die Ferne gezogen und durfte endlich ruhmreich heimkehren. Ich schlief nicht mehr und küsste jeden Pflasterstein auf dem Weg zum Rhein, in den Augen Tränchen des Abschieds.

Die Frau an der Besichtigungs fragte, ob ich schon gesehen hätte, dass sie das Inserat hatten aktualisieren müssen. Der Abwart hätte einen Fehler gemacht und ihnen die falsche Wohnung gezeigt; es gehe in Wirklichkeit um dieses eine Zimmer – der Preis, nein, der sei derselbe. Ich blieb sehr freundlich, unterwürfig, wie ich mir das gegenüber Amtspersonen, die über die Macht verfügen, Wohnungen zuzuteilen, schon lange angeeignet habe; ich duckte mich sogar, was aber nur an den abgeschrägten Wänden dieser für reiche Poeten gedachten Kammer lag. Ich sagte, das ist kein Problem, nahm ein Anmeldeformular, dem man noch ein zehnseitiges Motivationsschreiben und einen abgeschnittenen kleinen Finger beifügen sollte, faltete es zu einem Flieger und liess es aus dem Fenster segeln.

Cool, Züri! Ich fuhr zum Helvetiaplatz, kaufte mir im neuen Carhartt Store eine zu enge Jeans, plauderte mit dem Verkäufer über die schlechten Sales, nicht einmal der Weihnachtsverkauf sei gut gelaufen, die Langstrassenlatinas kämen auch nicht mehr, es sei ihnen zu expensive, aber schliesslich würde sich das ganze Quartier schon noch anpassen, hier wird in nächster Zeit einiges gehen, im Guten wie im Schlechten, sagte er, und dass er vorhabe, von nun an jeden Samstagnachmittag einen DJ zu engagieren.

Ich lief die Kanzleistrasse lang, es regnete. Ein einsamer Besetzer zog das unleserlich gewordene Transparent von der Fassade und schloss die Tür.

Ich fuhr zurück in die Stadt am Rhein, die Möwen flogen mir entgegen und mit ihnen ein Plakat, darauf stand, dass mein Haus, sowie alle anderen Häuser in der Strasse und den umliegenden Strassen, abgerissen werden sollen. Schön zu wissen, dass die Aufwertung auch hierhin kommt. Jetzt fühle ich mich fast wie zuhause.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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