Es ist das erste, und hoffentlich das letzte Mal: Heute will mir einfach nichts in den Sinn kommen, über das ich hier schreiben könnte. Es fällt mir nichts ein. Gar nichts.

Nicht, das nichts passiert wäre, so in der Welt. In der Welt passiert ja immer etwas, vor allem Schreckliches. Ja, Schlimmes passiert immer viel.

Es ist auch nicht so, dass bei mir persönlich nicht viel passiert wäre. Ganz im Gegenteil, in meinem Leben überschlagen sich die Ereignisse geradezu… Aber möchte ich das mit euch teilen? Und wäre das interessant? Wenn ja, für wen? Ginge euch das etwas an? Hätte das etwas mit euch zu tun? Es fragt sich also: Who cares? Und: Liesse sich etwas Grösseres damit erzählen, etwas das über meine subjektive Erfahrung hinausweist?

Wäre ich Kristin Worrall, Mitglied der mittlerweile bekanntesten New Yorker Off-Off-Off-Broadway-Gruppen Nature Theater of Oklahoma, könnte ich das herzhaft bejahen. Denn ihre mehrteilige Performance-Reihe «Life and Times», ein Langzeit-Projekt, das sie seit sechs Jahren weiterentwickeln, beruht auf der Transkription eines 16-stündigen Telefonat des Ensemblemitglieds Worrall, in welchem sie Regisseur Pavol Liska ihre Lebensgeschichte erzählt. Erinnerungen aus über 30 Lebensjahren mit allen wirren Sprüngen, offenen Enden, einschliesslich jedes Zögerns, aller Versprecher, Seufzer, Ähs und Öhs… Der Monolog wird in Episoden gegliedert und gesprochen oder gesungen wiedergegeben, in allen erdenklichen Formen: eine Episode als Musical, eine andere als Animationsfilm, eine als Musikvideo und so weiter…

Auch die mittlerweile im Off Theater zum guten Ton gehörende Selbstreferentialität fehlt hier nicht: Worrall fängt in Episode 8 zu bedenken, dass sie sich gar nicht so sicher ist, ob sie wirklich so viel von sich preisgeben möchte, und fragt beim Regisseur nach, was genau er denn mit dem Material vorhätte?

Dieses waghalsige Projekt sprengt nicht nur alle Genregrenzen, es ist mit seinen (bisherigen) 9 Episoden auch ein echter Marathon, der den Zuschauern schon einiges an langem Atem und Sitzfleisch abverlangt. Wir folgen Worrall in ihre Kindheit, erfahren alles, von ersten Übernachtungsbesuchen bei FreundInnen, über die Schulzeit, das College, zum ersten Auslandsaufenthalt in Ungarn. Wir hören von wechselnden Partnern, Wohngemeinschaften und Jobs, von Familienkonflikten, Krankheiten und Liebeskummer. Das alles ergibt eine faszinierende Mischung aus überraschenden Wendungen und Redundanzen, so dramatisch, witzig, kurios und vor allem auch so gewöhnlich, wie es nur das «echte» Leben sein kann.

So gesehen spräche eigentlich nichts dagegen, hier an dieser Stelle meine komplette Lebensgeschichte zu erzählen oder? Doch, die Zeichenzahl! Das sprengt doch den Rahmen! In diesem Sinne: To be continued…

Die Dramatikerin Esther Becker schreibt Prosa, Essays und journalistische Texte zu kulturellen Themen. Für die Fabrikzeitung untersucht sie regelmässig den Zustand des kulturellen Nährbodens.

Comment is free

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert