Dä het Ohrächräbs! – Was… – Mhm – Was? Wer hat was?

Einmal mehr habe ich keine Ahnung, worum es geht. Mundart macht es nicht einfacher, ebensowenig wie Nuscheln oder urbane Geräuschkulisse. Ich gehe in die Hocke und suche nach einer Schaufel im Sand. Der Typ im Bus, mit dem mein Mann geredet hat, heisst also Botscha und ist der Zwillingsbruder vom Death by Chocolate Sänger und der Patenonkel von Nemo. (Hat schon jemand eine Dissertation über Bandnamen geschrieben? Für Biel wäre es ein langes Kapitel wert.)

– Organisiert ds Ear We Are, dr Podring, begleitet dr Camenisch bi sine Läsige, dä Siech kennt jedä.

– À propos Camenisch, gestern hab ich ihn bei Konkord Matratzen getroffen. Er hat schon wieder ein neues Buch draussen.

Ich habe inzwischen einen Plastiklastwagen und einen Fisch ausgegraben. Es regnet. Ob dieser Botscha uns zum Epizentrum führen könnte, dort wo die Stadt pulsiert? Oder gar, ob er der Örbaniste sei… Nein, vermutlich sitzt er wie die meisten mittendrin und macht mit, solange es geht. Wir brauchen den Rider, den Ritter, den Vordermann. Es muss ein Mann sein! Eine Frau kommt per Definition nicht in Frage. In Biel, wo die Treppen des Kongresshauses zum Skatepark wurden, nannten sie die hässlichste Esplanade der Welt nach einer Frau. (Es gibt in Biel zusätzlich noch stolze vier weitere Wege, die nach einer Frau benannt sind. Sie befinden sich weit weg vom Zentrum.) Weltmännisch. Und ich dachte, französisch wäre eine besonders sexistische Sprache.

– Vielleicht organisiert er dir einen Auftritt.

Ich denke immer pragmatisch, von irgendwoher muss das Geld rein.

So wis usgseht, organsiert er churzum gar nüt me.

– Warum?

Ohrächräbs! Losisch mir eigentläch nid zuä?

Unsere Tochter sitzt auf der Schaukel. Sie lacht.

Normalerwis grüässt er mi chum. Kommisch das er überhoupt weis wini heisse.

Schnäuer, schreit unsere Tochter. Höcher!

Sebastian, sage ich, das ist deine Chance. Du musst dich bei ihm melden. Fragen, wie es ihm geht, ob er darüber reden will. Ihr geht was trinken, redet ein bisschen über Chemotherapie und plötzlich geht es nur noch um deine Musik, deine Texte, und wer weiss, schon bald stehst du im Hauptprogramm vom Podring.

Während ich die Karriere meines Gemahles organisiere und ein tiefes Loch im Sand grabe, wo ich alle Katzenscheisse hineinwerfe, fasse ich folgende Entscheidung: Ich selber werde mich beim Double-Programm von Migros Kulturprozent bewerben, um mir ein Mentorat bei Jürg Halter finanzieren zu lassen. Das wird sicher meine Karriere restarten; das Literaturinstitut hat nicht gereicht, man tut dort bekanntlicherweise nicht genug experimentieren. Jürg weiss wie. Am besten mit einem zweisprachigen Kettentext, das kommt gut an bei der Kulturkommission des Kantons Bern. Ein gesellschaftskritisches Canto. Betitelt «l’Örbaniste, die Stimme Biels». Eine unsterbliche Figur (Jürg Halter selbst) wacht im Inferno auf: Biel. Etwas hat sich im Schlaf geändert. Er wurde zu Rolf Hermann –

– Fo was retsch du? Dr Halter isch äuä ä Bieler…

Gaia Grandin und Sebastian Steffen haben beide am Literaturinsitut in Biel studiert. Diese Information definiert ihr Leben.
Sebastian und Gaia vertreten für drei Monate Anaïs Meier in der Kolumne. In diesen wichtigen Beiträgen gehen sie der Frage nach: Was bringt es, eine Stadt zu porträtieren? Und machen sich auf die Suche nach der urbansten Person in Biel.

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