«Mama Love» ist eine abgründig-humoristische One-Woman-Show, in der die Performerin Lea Whitcher mit der Absurdität von idealisierten und toxischen Mutterbildern spielt und ihre eigenen Verstrickungen darin untersucht. Im Interview erzählt sie vom Elternsein, von Vorurteilen, von schwer zu verwirklichenden Utopien – und warum es so dringend nötig ist, dass wir darüber sprechen und lachen können. 

Leonor Diggelmann: Lea, was hat dich dazu bewegt, auf der Bühne über das Muttersein zu sprechen?

Lea Whitcher: Als ich Mama geworden bin, bin ich auf die Welt gekommen! Weil ich gemerkt habe, dass das alles viel anspruchsvoller ist, als ich es mir ausgemalt hatte. Mir wurde klar, was es bedeutet, die volle Verantwortung für ein hilfloses Wesen zu übernehmen. Dazu kommt einerseits das Physische, – denn der eigene Körper muss für gewisse Zeit vollkommen zur Verfügung stehen – andererseits das Psychische. Denn irgendwie hatte ich ständig ein schlechtes Gewissen und meinte, ich gäbe und mache zu wenig. Manchmal erwischte ich mich bei den Gedanken: Irgendetwas stimmt nicht mit mir, denn ich müsste das doch alles viel lieber machen, es müsste mir leichter fallen, es müsste «natürlich» kommen. Irgendwie muss man halt einfach klarkommen, aber gleichzeitig gab es da dieses Innenleben, das mich runterzog, statt dass es mich aufbaute. Und darüber wollte ich sprechen. 

Ich habe dann diese gemischten, negativen Gefühle reflektiert und gemerkt: ich bin zwar feministisch aufgewachsen und gehe meinen eigenen Weg, aber im Moment des Mutterwerdens haben mich alle traditionellen Rollenbilder heimgesucht, und ich habe mich selbst mit diesen Bildern runtergemacht. Im Heilungsprozess schliesslich habe ich mich dann abgrenzen und die Bilder in die Gesellschaft zurück verorten können. Und gemerkt: Ich muss ein Stück machen dazu! 

Wie können wir diese traditionellen Rollenbilder abschütteln?

Ich habe oft versucht, mit anderen Müttern darüber zu reden, aber es war nicht ganz einfach. Denn viele Mütter – und das völlig zurecht – reden lieber von den schönen Zeiten und Momenten und erzählen stolz von ihren Geburten. Und das finde ich auch schön, ich nehme es ihnen ehrlich ab, aber ich denke halt auch, dass sie die anderen Momente bewusst ausklammern. Natürlich, ich erlebe das Erfüllende auch, aber ich finde, so wie wir als Gesellschaft darüber reden, steht es in keinem Verhältnis dazu, wie unglaublich herausfordernd das alles ist. Und das Erfüllende, das rechtfertigt sehr viel Ausbeutung. Klar, irgendwie muss man sich das – vor allem als Frau – fast so zurechtlegen, um zu überleben. Ich mache das auch. Aber gleichzeitig wurde mir halt immer klarer: Ich mache die ganze Zeit gratis Care Work. Und um das durchziehen zu können, muss ich dem kapitalistischen Narrativ – dass die Liebe, die ich empfinde und bekomme, sozusagen einen Lohn «ersetzt» – folgen, zumindest vorübergehend. Aber damit wir das längerfristig ändern und entlasten können, muss diese Arbeit sichtbar gemacht und ein Diskurs gestartet werden. 

Die feministische Marxistin Silvia Federici hat einen Aufsatz geschrieben zu House Work. Darin spricht sie auch von der «sexuellen Arbeit», die eine Frau für ihren Ehemann leisten muss. Das müsste so eine Art Zwischenschritt sein: «Liebe entlöhnen», um sichtbar zu machen, was das alles beinhaltet. 

Aber Stopp. Ist das denn nicht eine totale Aberkennung der weiblichen Sexualität? Das finde ich höchst problematisch. Dann scheint es ja so, als wäre Sex eine Sache, die ausschliesslich der Mann braucht. 

Ja klar, das stimmt, aber eben, es geht mehr um eine Art Zwischenschritt. Denn es ist schon so, dass das lange Zeit zur Aufgabe einer Ehefrau gehört hat. Und um die Sexualität der Frau ging es dabei ja nicht, zumindest nicht im gesellschaftstauglichen Diskurs. Man kann auch «Beziehungsarbeit» nehmen. Als ersten Schritt zur Veränderung könnte diese entlöhnt werden. Denn auch sie wird in vielen heterosexuellen Beziehungen mehrheitlich von den Frauen verrichtet. 

Worüber müssen wir am dringendsten reden? 

Wie gesagt, es fängt damit an, dass Care Work mehr respektiert wird. Man sieht das auch mit der Pandemie und der Pflegeinitiative; hier geht es um ein ähnliches Narrativ wie bei der Mutterschaft. Und es wird bewusst kleingehalten, weil es keinen Profit generieren kann. Man müsste komplett umdenken und merken, dass Care Work eigentlich die einzige Arbeit ist, die wir «wirklich brauchen». Ja, schlussendlich geht es um den Wert, der von der Gesellschaft aus gegeben wird, und dieser ist schliesslich auch bestimmend für den Selbstwert. In Bezug auf meine Utopie denke ich mir: Was wäre, wenn Care Work einfach die wichtigste Arbeit wäre, und zum Beispiel die Arbeit auf der Bank wäre ein Hobby; ein Jonglieren mit Zahlen. Oder was wäre, wenn Pfleger*innen höhergestellt wären als Ärzt*innen? Solche Gedankenspiele sind wichtig, um unseren Werten auf die Spur zu kommen, aber sie zeigen auch auf, wie tief wir drin sind in dieser hierarchischen Denkweise, insbesondere mit der Entlöhnung. Da liegt es nahe, noch viel weiterzugehen und zu fragen: Müssten wir nicht einfach grundsätzlich komplett umdenken in Bezug auf Lohnarbeit? 

Welches Familienmodell würde deiner Meinung nach am besten funktionieren? Und ist das in der Schweiz überhaupt möglich?

Ja, die Utopie, das ist so eine Sache. Wenn man wirklich ganz weit gehen will, dann wird es schnell unangenehm für einen selbst. Weil für eine nachhaltige Veränderung so, so viel verändert werden müsste. Aber konkret kann man auf jeden Fall vieles anders machen: In Kanada beispielsweise können sich bis zu vier Menschen für eine Elternschaft eintragen lassen. Das finde ich vorbildlich, denn es hinterfragt die zwingende Koppelung einer Elternschaft mit einer genetischen Verwandtschaft. Sogar der bekannte Erziehungsratgeber Remo Largo hat gesagt: Zeitlich und örtlich befänden wir in der «westlichen Welt» in einem einzigartigen Modell, in dem Kleinfamilien alles stemmen müssen. Fast in jedem anderen Teil der Welt (und auch in anderen Zeiten in der Schweiz) sind Familien und damit auch der Support viel grösser. Und natürlich gibt es auch, wie das Beispiel Kanada zeigt, die gewählten Familienstrukturen, besonders in queeren Communities. Davon könnten und sollten wir uns eine Scheibe abschneiden. Aber hier ist das System leider nicht darauf ausgelegt, solche Strukturen zu begünstigen. Ich versuche, für mein Kind ein Umfeld mit mehr Bezugspersonen zu schaffen. Aber wir wohnen in einer Stadtwohnung, da gibt es nur Dreizimmerwohnungen für Familien mit einem Kind. Default: Dreizimmerwohnung. Deswegen sind unsere Familienstrukturen den bürgerlichen eigentlich ziemlich nahe. 

Die einzigen Möglichkeiten, die es momentan gibt, die Utopie zu verwirklichen, sind entweder sehr viel Geld oder die komplette Abkapselung. Deswegen müssen wir Banden bilden, neue Communities schaffen und unsere Ideen an die Öffentlichkeit bringen!

Aber es gibt ja schon Länder ganz in der Nähe, die viel bessere Supportsysteme für Familien haben. Zum Beispiel Deutschland. Wäre das ein Grund, auszuwandern?

Ja, in Berlin hast du längere Elternzeit, aber man darf auch nicht vergessen, dass du da sowieso viel weniger verdienst. Und meistens ist es dann trotzdem so, dass die Mutter die Elternzeit nimmt, weil der Vater mehr Geld verdient. Weil die Strukturen am Ende halt leider, wie bei uns, immer noch die gleichen sind. Wir müssten halt wirklich bei der Arbeit ansetzen. Wir müssen daran arbeiten, weniger zu arbeiten! 

Bis wir eine gesellschaftliche Lösung finden: Was ist eure Lösung? 

Wir sind beide freischaffend. Er hat in den ersten sechs Wochen nach der Geburt fast nicht gearbeitet, auf eigene Kosten. Danach sehr wenig. So haben wir das gelöst: privat finanziert. Und so wenig Ausgaben wie möglich gehabt. Wie gesagt, wir haben zum Glück eine verhältnismässig günstige Stadtwohnung. Ich habe dann nach dreieinhalb Monaten wieder angefangen und bin jetzt, während ich mein Stück probe, die Breadwinnerin. Er wird dann entlöhnt, entweder mit Geld oder mit «Kredit» (weil sie wird sich dann noch umdrehen, die Aufteilung).

Also lebt ihr eigentlich schon eine Art Utopie, im Rahmen des Möglichen. Oder?

Wir sind Eltern, Mitbewohner:innen, Freund:innen, und haben eine erotische Beziehung. Wir konzentrieren uns darauf, diese einzelnen Bereiche individuell anzuschauen. Das haben wir uns von der queeren Community abgeschaut: Das Co-parenting. Das ist unser Trick, in solchen Modellen zu denken, obwohl wir eigentlich eine traditionelle Kleinfamilie sind. 

Zurück zu deinem Stück. Du behandelst die Höhen und Tiefen des Muttersein darin mit Humor. Wieso Comedy?

Comedy hat einen schlechten Ruf in der Schweiz, weil es heisst: lustig gleich oberflächlich. Das finde ich sehr schade, und ich versuche, dieses Vorurteil zu durchbrechen. Ich musste es als Theater «verkaufen», trotzdem kann ich mich da auf einer Metaebene mit Comedy beschäftigen: Was bedeutet es, Comedy zu so einem Thema zu machen? Was finden wir lustig und warum? 

Männer wie auch Frauen haben diese inneren, toxischen Narrative, die das Elternsein erschweren, die uns Druck machen, uns klein machen und uns nicht guttun. Und wenn man darüber lachen kann, dann kann man sich auch davon distanzieren. Man kann auch darüber weinen, klar, aber lachen schafft Distanz. Und das kann ein erster Schritt sein, sich von ebendiesen Narrativen zu lösen.  

«Mama Love» wird vom 10.-18. Dezember 2021 im Fabriktheater aufgeführt. 

Am 12. Dezember findet anschliessend an die Vorstellung ein Publikumsgespräch (wahlweise auf Deutsch oder auf Englisch) statt.

Leonor Diggelmann hat Geschichte und portugiesische Sprach- und Literaturwissenschaften studiert und macht derzeit einen Master in Zeitgeschichte an der Universität Fribourg. Sie lebt in Zürich und arbeitet seit vielen Jahren in der Gastronomie.

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