Dies sind Antworten auf folgende Fragen: Wo waren Sie, als Sie erfuhren, dass Sie nun das Stimm- und Wahlrecht haben oder es mit der Volljährigkeit erhalten werden? Wie haben Sie reagiert? Mit wem haben Sie als erstes darüber gesprochen?

Zoë, *1954
Ich war 16 Jahre alt und bei meiner Familie. Ich nehme an, die Resultate wurden wie üblich an einem Sonntag am Fernsehen übertragen. Wahrscheinlich habe ich zu meiner Mutter gesagt: Lässig, jetzt kannst du stimmen gehen, und ich bald auch.

Verena, *1957
Ich war 13 und mag mich erinnern, dass meine Mutter sehr stolz war, als sie das erste Mal abstimmen durfte, mein Vater auch, er sagte: Das wird aber endlich Zeit! Wir haben in der Schule darüber gesprochen, Klassenkameradinnen aus Deutschland oder die Englischlehrerin aus London haben sich sehr gewundert. Alle waren sich einig, dass es längst überfällig war.

Katrin, *1952
Ich war zu der Zeit in der Mittelschule. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, nicht mitreden und mitdenken zu dürfen. Ich habe es seit damals immer genutzt!

Margrit, *1936
Ich empfand Empörung, weil diese längst fällige Selbstverständlichkeit so gönnerhaft als Geschenk der Männer an die Frauen dargestellt wurde. Allein, dass die Männer über dieses Recht abstimmen sollten, erschien mir als eine Demütigung für uns Frauen. Totschlagargumente waren bis dahin oft, dass die Zeit noch nicht reif sei und dass Hitler gewählt wurde, weil die Frauen stimmen durften. Genau diese stupiden Behauptungen bewiesen die kleingeistige Einstellung solcher Männer, auf deren Wohlwollen wir Frauen angewiesen waren. Mein damaliger Ehemann meinte mit unheilschwangerem Tonfall, man werde ja dann sehen, wohin das Frauenstimmrecht führe. Der nächste Schritt werde sein, dass die Frauen, statt sich um die Familie zu kümmern, politisieren wollen. Und tatsächlich: So kam es, wenn auch mühsam. Mein Exmann denkt noch heute, die Frauen sollten sich nicht in die Politik einmischen.

Erika, *1952
Der 7. Februar 1971 war mein 19. Geburtstag, also sowieso ein Freudentag. Ich erinnere mich noch genau, dass sich auch meine Mutter sehr über das Abstimmungsergebnis gefreut hat. Mein Vater meinte bloss, es werde auch nicht besser, wenn die Frauen in Zukunft an die Urne gingen. Was genau er mit «es» meinte, weiss ich nicht. Mit ihm zu diskutieren war unmöglich.

Barbara, *1957
Ich war in den Skiferien, etwa 13 Jahre alt und hatte eben erst eben meine Mens bekommen. Man hat mich zum Kiosk geschickt, den Blick zu kaufen. Darauf war eine nackte Frau zu sehen, eine Rose zwischen den Zähnen. «Danke liebe Männer!» stand da. Meine Tante hat das auch daneben gefunden, das weiss ich noch. Mein Onkel eher nicht. Ich hatte eben erst angefangen, mich als Frau zu fühlen und war sehr stolz bei dem Gedanken, dass ich dann auch wählen gehen darf, wenn ich erwachsen bin.

Ruth, *1959
Ich war zwölf, als das Stimmrecht angenommen wurde. Doch dieser Triumph galt weder meiner Mutter noch mir. Wir lebten in einem dunklen Haus: Mutter, fünf Kinder, ein Vater, der nach der Arbeit seine Ruhe haben wollte. Meine Eltern haben darüber gestritten, ob eine Frau auch eine Stimme haben sollte. Vater war vehement dagegen. Er sah seine schmalen Rechte in Gefahr. Meine Mutter hielt dagegen an. Wurde laut. Verbittert. Wurde still, das war noch viel schlimmer. Es waren die Bücher, die mich retteten. Ich wusste mit dieser Ohnmacht, die sich von meiner Mutter auf mich übertragen hatte, nicht umzugehen. Konnte sie nicht benennen. Da war nur Schmerz. Die Wut kam später. Das Benennen eines Zustandes ebenfalls. Wie heilsam es ist zu benennen. Deshalb schreibe ich heute Gedichte. Diese 50 Jahre Frauenstimmrecht. Sie haben mir erlaubt, mich scheiden zu lassen. Ich klagte wenig, doch ich wurde unendlich müde.

Monica, *1954
Ich ging damals in Zürich ins KV. Wir Mädchen sprachen untereinander auch über den Abstimmungskampf, doch viel mehr interessierte uns der im Oktober 1970 eröffnete Jugendbunker mit all seinen Möglichkeiten. Vom Abstimmungserfolg hörte ich zuhause in den Nachrichten, meine Eltern reagierten mit: «Endlich…» Mein Vater fand es typisch und gschämig für die überhebliche Schweiz, so lange zuzuwarten. Meine Mamma war Italienerin, dort haben die Frauen nach dem 2.Weltkrieg das Stimm- und Wahlrecht bekommen. Sie hatte immer für die Suffragetten geschwärmt. Geärgert hat mich, dass ich so lange warten musste, bis ich mit 20 selber wählen und stimmen durfte.

Franziska
Ich erinnere mich besonders an den 25. Oktober 1970. Als der Kanton Luzern, der als reaktionär, konservativ und katholisch galt, noch vor Zürich Ja sagte zum Frauenstimm- und -wahlrecht. Ich habe dann als erstes mit meinem Vater darüber gesprochen. ER war ja für die Politik in der traditionellen Familie zuständig. Er hat wohl JA gestimmt. Wir haben am Familientisch viel mit ihm über Politik gesprochen.

Ursula, *1957
Ich war damals 13jährig und in den Skiferien mit meiner Mutter und meiner jüngeren Schwester in Zweisimmen. Als ich am Radio vernahm, dass die Vorlage angenommen worden war, bin ich vor Erleichterung und Freude in Tränen ausgebrochen. Es war ein wunderbarer Sonntag, ich fühlte mich sehr erleichtert, als ob ein Stigma von mir abgefallen wäre…

Bethli, *1932 (Ursulas Mutter)
Üüh du, das weiss ich nicht mehr, wo ich damals war oder was ich gemacht habe. Auf alle Fälle habe ich mich immer so aufgeregt. Früher war es wirklich ganz schlimm. Zum Beispiel war Hans, mein Mann, im Vorstand der SVP. Von mir wurde automatisch erwartet, dass ich auch in einem Verein bin. Ich war dann im Frauenverein, das war etwas so wie die Schulkommission, aber in der waren ja nur Männer. Der Frauenverein war für den Handarbeitsunterricht der Mädchen zuständig. Und als wir dann aufgezählt wurden, wurde bei mir einfach gesagt «SVP». Da habe ich dann aber schön ausgerufen. Ich habe gesagt, nur weil der Mann diese Meinung hat, muss die Frau noch lange nicht dasselbe denken. Als ich einige Tage später beim Metzg war, sagte der vor allen, ich hätte ein Riesentheater gemacht. So war das damals. Vielleicht gab es Ausnahmen, aber ich habe keine gekannt. Bei den meisten und bei uns war das so.

Bie-Giok, *1931
Geboren wurde ich am 19. Mai 1931 in Jakarta, damals noch Kolonie Niederländisch Indien. Mit Indonesiens Unabhängigkeitserklärung 1945 wurde eine neue Verfassung inklusive Frauenstimmrecht auch für nicht-europäische Frauen beschlossen. Mit der Matura habe ich das Stimmrecht bekommen. Zum Studieren ging ich nach Holland. Damals riet mir meine Mutter, ich solle mich wegen meinem Status von Demonstrationen fernhalten und auf der Strasse nichts unterschreiben. Also habe ich mich politisch nicht gross eingemischt. Wenn ich doch mal was gesagt habe, hat jedermann gesagt, ich sollte in die Politik. Aber ich habe immer geantwortet: Nein, ich bin Ausländerin. Im Jahr 1957 heiratete ich einen Schweizer und hiess von da an Erni und habe mit Erhalt des Schweizer Passes mein Stimmrecht wieder abgegeben. Mit der Einführung des Frauenstimmrechts hat sich für mich tatsächlich etwas geändert: Jetzt gab es auch hier das Frauenstimmrecht – und ich bin Schweizerin! Ich erinnere mich daran, dass mein Mann nach Hause kam und meinte: «Du hast jetzt das Stimmrecht, jetzt musst du auch was drüber wissen. Lies dieses Büechli, dann weisst du, wie das hier von und zu geht.» Er hat – im Gegensatz zu mir – Politik bis dahin eher auf die leichte Schulter genommen. Aber ich hab zu ihm gesagt, wenn wir das Stimmrecht haben, wird abgestimmt. Das haben wir seither immer beide getan und alles ernsthaft besprochen.

Theres, *1953
Ich war 17 Jahre alt und wir fünf Schwestern hatten uns im Elternhaus versammelt, weil unsere Mutter krank war. Das Radio meldete, dass das Frauenstimmrecht angenommen worden sei. Das müssen wir feiern, habe ich zu meinen Schwestern gesagt, die alle älter waren als ich, und also nun stimmberechtigt. Sie haben bloss genickt und weitergearbeitet: Kochen, Tisch decken, Krankenpflege, Tiere versorgen. Aber beim Essen habe ich unseren Vater, der garantiert nein gestimmt hatte, was er aber nie zugab, dazu gebracht, eine Flasche Wein aus dem Keller zu holen und auf das Frauenstimmrecht anzustossen. Sogar die kranke Mutter hat nach einem Gläschen verlangt, zur Feier des Tages, hat sie gesagt. Zum Schluss waren es dann zwei Flaschen…

Anaïs Meier, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Julia Weber ist Gründerin des Literaturdienst (literaturdienst.ch) und Mitbegründerin von «Literatur für das, was passiert». Sie sind Teil des Autorinnenkollektivs RAUF.
Anaïs Meier und Julia Weber haben die Antworten gesammelt.

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