Wie verdauen Schweizer Hip-Hop-Produzenten, Rapperinnen und Rapper die Pandemie und den Lockdown? Eine Umfrage.

Die Clubs sind zu, die Konzertlokale sind zu, die Plattenläden sind zu, die Festivals abgesagt. Künstlerinnen und Künstler sind ihrer Haupteinnahmequellen beraubt worden. Wirkt das lähmend auf die Kreativität? Oder entstehen nun ganz andere Sachen? Wie klingt Corona und welche Reime bringen die derzeitige Stimmung auf den Punkt? Wir haben nachgefragt. 

Steezo aka Maurice Polo
«Da ich während Corona nicht arbeiten muss und in der komfortablen Lage bin, hunderpro Lohn zu kassieren und mich auf dem Liegestuhl zu bräunen, habe ich ein ganzes Album geschrieben. Ich hab also eine recht kreative Phase, würde ich sagen. Ich habe zudem eine neue Kleiderkollektion entworfen und den Corner Talk mit den Jungs finessed. Es entstehen aber bei mir keine anderen Texte als sonst. Und ich habe auch keinen Verse, der meine Stimmung auf den Punkt bringt. Vielleicht tut es der Albumtitel von Tha God Fahim: «After every dark day comes sunshine».»

Griot
«Mein Zeitplan ist während Corona weniger eng und ich schaue kein TV mehr, somit bin ich kreativer und produktiver denn je. Andere Texte sind wegen Corona nicht entstanden. Nur ein paar kritische Lines bezüglich der Lockdown-Massnahmen. Irgendwann im Mai kommt die Videosingle fürs nächste Album.»

Naomi Lareine
«Auf mich wirkt sich der Corona-Virus gut aus. Ich bin sehr entspannt und dementsprechend fühle ich mich kreativer. Auf die Texte hat die Situation keinen Einfluss, da mich Sachen beschäftigen, die nichts mit dem Virus zu tun haben. Corona klingt für mich aktuell ziemlich «nervig» und bin froh, wenn es kein Thema mehr ist. Meine Single «Stars Glow» erscheint Ende Mai.»

King Ketelby James (JAS CRW)
«Ich nutze die Zeit, um neue Projekte anzugehen. Um Dinge zu machen, die ich normalerweise nicht machen würde. Die Kreativität ist regelrecht am Sprudeln. Am 8. Mai releasen wir mit der JAS CRW eine neue Single. Finanziell ist es jedoch schwer und dann gibt es manchmal kurze Momente, in denen dir die Kreativität manchmal genommen wird.» 

I don’t care what’s the price
To reach the top with my brothers
The whole game’s surprised
Yeah boy go discover
Never judge a book by
It’s dusty cover
Can‘t always be on sight
Gotta move Undercover
Soon wanna make a baby
Not only one but some others
Every beautiful daughter 
Needs a beautiful brother
Won‘t strive for myself
Rather for each other
Can‘t wait to reach my aim
Brother there is no other

Ich habe eine Serie von Freestyles namens «La Remède» ins Leben gerufen. Das Konzept ist eine 48-Stunden-Challenge mit meinen Instagram Followern.

KT Gorique

KT Gorique
«Ich sehe diese Zeit als Möglichkeit, um unser Leben neu zu fokussieren, um zum Kern der Sache vorzudringen, um unsere Beziehung zur Welt und zur Gesellschaft zu hinterfragen, unsere Privilegien wahrzunehmen, uns anzupassen und die neuen Herausforderungen anzunehmen. In diesem Sinne hat Corona meine Kreativität beflügelt. Ich habe eine Serie von Freestyles namens «La Remède» ins Leben gerufen. Das Konzept ist eine 48-Stunden-Challenge mit meinen Instagram Followern. Am ersten Tag voten die Leute über die künstlerische Richtung ab, die mein Song nehmen soll. Sobald der Beat fertig ist, habe ich bis 18 Uhr am kommenden Tag, um die Demoversion des Songs auf Soundcloud zu veröffentlichen. So sind mittlerweile 12 Songs entstanden – wenn immer möglich verschiedenen Gästen: Juice von der Elfenbeinküste, Illustre aus Frankreich, Mo-King, Oni, Setay, Lakna und La Gale aus der Schweiz. Daneben habe ich ein Cypher-Projekt gestartet. Ziel ist es, so viele Female Rapper wie möglich zusammen auf einen Song zu vereinen. Zwanzig haben schon zugesagt. Ach ja, ein neues Album hab ich auch noch. Es heisst «AKWABA» und erscheint am 15. Mai.

Steff la Cheffe
«Corona hat sich bisher nur minim auf meine Kreativität ausgewirkt, da ich mich momentan nicht in einer Produktionsphase befinde, sondern kurz vor dem Release meines Albums «PS:» stehe. Grundsätzlich empfinde ich die Situation eher als anregend für meinen Geist, da es um ein Umdenken geht. Ich habe in dieser Zeit vor allem Gedichte geschrieben, die ohne Musik funktionieren:

«Nimes eifach easy, wi Sunntimorge. Gah no mau ga lige u vrschlafe di Sorge.»

«Mir gheit d Tili ufe Chopf… i bechume no Vögu!»

Lil Bruzy
«Ich bi scho nöd mega produktiv gsi – aber halld au suscht gnueg z tue & drum anyway nonig gross zum songtexte cho. hett bis etz no kei stayingathome influenced text geh. dolce vita gaht halld trotzdem witer, au dehei.»

Greis
«Ig ha bis itz no ke einzigi zile gschribe. Bi grad busy mit nach dr family zluege und uslifere für lade und päckli mache für onlineshop. Findes grad huere entspannend nüt zschribe und kes schlächts gwüsse drby zha!»

Marton di Katz
«Corona klingt für mich chli gfürchig, kryptisch, orange, rau. Ich arbeite an einem Producer Album. Fünf Stücke sind fertig.»

Baze
«Seit dem Lockdown habe ich bis auf ein paar lose Ideen gar nichts aufs Papier gebracht. Ob das mit der speziellen Situation zusammenhängt oder ob ich auch sonst nichts zustande gebracht hätte, kann ich nicht sagen. Spannend wird das Danach.

I muess niene si, i verpasse nüt – i muess nume bi dir si, d’Nacht isch chüeu aber Aus isch i üs – Aus isch i üs!

Bis jetzt fällt es mir schwer, mir irgendeine Meinung zu bilden zu der ganzen Sache. Mir scheint, als ob jeder Bescheid weiss, nur ich nicht. Ich werde mir alles mit einer gewissen Distanz nochmals genau anschauen, mich über einiges aufregen und vielleicht ein paar wütende Songs schreiben. Vielleicht auch nicht. Meine neue, vor Corona entstandene EP «Aus Wo Fägt» erscheint am 8. Mai.»

Sterneis
«Am Anfang war’s schon ziemlich strange! Da hat sich meine Hypochonder-Seite gemeldet. Mittlerweile ist alles gut. Für mich ist’s eigentlich während dem Lockdown wie vor dem Lockdown! Ich bin sowieso die meiste Zeit im Studio vor den Geräten! Demnächst erscheinen: Portavoz, Nelson Dialect, Kalmoo und Danase & Sterneis: La Saga de la Santisima Trinca».»

Gibts eigentlich shmoney für diese aussagen oder ist das der kunst zuliebe? 😂

E.K.R.


E.K.R.
«Habe bis jetzt keine 2 zeilen geschrieben 😂😂😂 aber einige 40 beats gebastelt, 56785 dj crates zusammengestellt, gelernt pizza teig zu machen (also mehl mit wasser & aggression zu einem organismus zu verprügeln) & im home-schooling fern-lern kunst-doktorat als weltweit anerkannter screen writer & psycho-analyst sämtliche programme auf netflix reingepfiffen. Gibts eigentlich shmoney für diese aussagen oder ist das der kunst zuliebe? 😂»

Sulaya
«Ich glaube, Corona hat keinen direkten Einfluss auf meine Kreativität und Produktivität an sich. Höchstens, dass ich zeitlich manchmal zu anderen Tageszeiten schreibe wegen Home Office. Zurzeit schreibe ich viel mehr «grimy battle shit» als sonst. Liegt aber auch eher daran, dass ich momentan mit Steezo an einem Projekt arbeite 🙂 Da wimmelt es nur so von Punchlines wie:

Ich ha di damals scho in Brunne gschmisse samt dim Fahrradhelm / hüt stili dim Sohn Zuckerwatte abem Karussell / ich am Mic isch wiede Klaus Kinski / zu näch amne Chindsgi 

Mach usem zottel mostbröcke, ich bin da de goat stöffel, chan nöd hänge mit oi büezerbuebe vollpföste, driveby mit rossöpfel, chugle uf oi jöggel wie uf holztöggel, fick kanyes rock holz zöggel, grössti huere rotzlöffel i dere biiitch

Soundbild zu crazy du malsch luftschlösser / lies nur Bukowski wenni mal es buech öffne / sufen unter de tisch zum min durst lösche / bring de outta space shit so wie wurmlöcher»

Skor
«Irgendwie bin ich nicht sooo kreativ. Bin mit dem Kopf schon in der Zukunft und hoffe, dass bald Normalität einkehrt. Ich schöpfe Kreativität aus dem Leben und mein momentanes Leben ist nicht sehr spannend. Ich habe aber viel Musik produziert und Skizzen erarbeitet. Einen Vers, der die Stimmung auf den Punkt bringt? Keine Ahnung, wahrscheinlich ein Instrumental Track…»

Nativ
«Am Anfang war ich sehr unproduktiv und unkreativ. Nach ein, zwei Wochen habe ich aber gemerkt, dass ich das wohl gebraucht habe. Einfach mal nichts tun. Mittlerweile bin ich schon fast wieder zur Normalität zurückgekehrt und habe angefangen, wieder an Songs zu arbeiten. Inhaltlich hat sich bei mir nicht viel verändert. Ich verarbeite in erster Linie meine Gefühle. Trotz Social Distancing oder eben gerade wegen Social Distancing ist bei mir einiges passiert in den letzten Wochen. Streit mit Freundin, sich wieder versöhnen. Streit mit mir selber, mich selber mehr lieben. Ich habe die letzten Quarantänewochen sehr reflektiert verbracht und sehr viel über mich selber gelernt. Diese Emotionen habe ich in Songs verpackt. Im Moment denke ich, passt der Track «Parisienne Vert» sehr zu meiner Stimmung. Ich werde wohl den ein oder anderen Song in den nächsten Wochen releasen. Für Nativ auf Albumlänge muss mann/frau sich aber noch ein wenig gedulden.»

Semantik
«Corona hat meine Kreativität und Produktivität eher etwas gehemmt als beflügelt. Obwohl ich plötzlich viel mehr Zeit hatte, musste ich diese Pandemie in meinem Kopf erst mal irgendwo aus dem Weg packen. Über Corona zu schreiben, erscheint mir zu diesem Zeitpunkt falsch, da ich es noch nicht richtig reflektiert habe. Ausserdem habe ich mich gefragt, ob es nicht auch zu einfach ist. Unterbewusst triggert es bestimmt etwas nicht Spruchreifes. Ich schreibe von Innen nach Aussen, nicht umgekehrt. Ich erkenne den Einfluss wohl erst in Nachhinein. Corona klingt für mich aggressiv und kämpferisch. Ende Mai veröffentliche ich eine neue Single. Die Stimmung trifft meine jetzige Gemütslage.»

Danitsa
«
Die Aussperrung hat sich sehr positiv auf meine Kreativität und Produktivität ausgewirkt. Ich habe mich wieder mehr auf mich selbst konzentriert und mich in verschiedenen Dingen gewidmet: meinem zweiten Album, dem Gitarre spielen, dem Sport, dem Schreiben, dem Produzieren. Gemeinsam mit meinem Team habe ich eine Challenge entwickelt, die darin besteht, in einer Woche einen Song zu produzieren und einen Videoclip zu drehen. Das Resultat veröffentlichten wir jeden Freitag auf meinem Instagram Account. Die Texte, die ich schreibe, haben mit dem zu tun, was wir gerade durchmachen. Der Wunsch zu entkommen, die Einsamkeit, aber auch der Wunsch zu feiern, uns selbst zu finden.»

Danase
«Ich mache eigentlich nicht viel anders als sonst. Ich bin auch in den Texten überhaupt nicht auf die Situation eingegangen. Ich war eigentlich immer im Studio, auch während dem Lockdown – halt nur mit einem oder zwei Homies, die ich eh immer gesehen habe. Klar: Ich hab ein bisschen weniger Cash verdient wegen den Konzerten, die alle abgesagt wurden, aber das ist bei allen so. Da geht es andern sicher viel schlimmer als mir. Zum Beispiel die DJ’s, die davon leben. Ich bin nicht so auf den Musik-Cash angewiesen. Ich habe mein Geld immer anders verdient. Bald kommt etwas Neues. Ich droppe einen Clip und dann ein neues Album mit Sterneins. Ausserdem eine EP mit den Tru Comers. Und dann sonst noch so einiges…»

Ich bin die letzten paar Wochen während dem Confinement relativ unproduktiv gewesen. Irgendwie ging’s nicht. Dafür habe ich viel Zeug gemacht, für das ich sonst keine Zeit habe. Seit letzter Woche bin ich wieder aktiv im Studio.

Buds Penseur

Buds Penseur
«Ich bin die letzten paar Wochen während dem Confinement relativ unproduktiv gewesen. Irgendwie ging’s nicht. Dafür habe ich viel Zeug gemacht, für das ich sonst keine Zeit habe. Seit letzter Woche bin ich wieder aktiv im Studio. Ich bin jemand, der immer extrem viele verschiedene Sachen macht, von der Thematik und von der Musik her. Daran hat sich wegen Corona nichts geändert. Ein spezieller Corona-Track ist jedenfalls nicht entstanden. Ich komme erst langsam wieder in Fahrt.»


Melodiesinfonie

«Drei Tage nachdem der Bundesrat den Lockdown verordnet hat, habe ich einen ziemlich starken Husten bekommen. Das habe ich sonst nie. Ich bin mir bis jetzt nicht sicher, aber es könnte Corona gewesen sein. Deshalb bin ich dann zehn Tage nicht aus dem Haus – und meine Mitbewohnerin auch nicht. In der Zeit habe ich dann auch sehr viel Musik gemacht – noch mehr als sonst. In der Zeit ist ein Song entstanden, der im Moment mein persönlicher Favorit ist. Abgespeichert habe ich ihn unter «Mellow Guitar Classic», aber einen richtigen Namen hat er noch nicht. Interessanterweise ist er aus einer kompletten inneren Ruhe entstanden und sehr fröhlich geworden. Ich wiederhole immer wieder die Zeile: «I’m moving slow, I’m moving slow». Also wenn überhaupt, dann ist das mein Corona-Song.» 

Da ich im Moment keine Auftritte habe und man nicht ausgehen kann, bleibt am Abend mehr Zeit zum Schreiben. Und da der Abend meine kreativste Phase ist und sonst oft blockiert ist, tut das meinem Output doppelt gut.

Fatima Moumouni

 
Fatima Moumouni
«Der Lockdown wirkt sich eigentlich ganz gut auf meine Kreativität aus. Da ich im Moment keine Auftritte habe und man nicht ausgehen kann, bleibt am Abend mehr Zeit zum Schreiben. Und da der Abend meine kreativste Phase ist und sonst oft blockiert ist, tut das meinem Output doppelt gut. Will heissen: Es ist einiges entstanden. Ein Livestream von einer Session mit Laurin Buser und Band, also in neuer Konstellation zum Beispiel. Ein Vers, der die Zeit auf den Punkt bringt? Ich habe nur ein selbstkonstruiertes Wort: Wanndemachilln?! Ich bin ob der vielen Anfragen nie so ganz zur Ruhe gekommen. Wie Corona klingt? So wie es halt klingt, wenn man einen Kronkorken öffnet. Hoho. Etwas ernsthafter: Wahrscheinlich wie dieser Sound von Skype, wenn man angerufen wird. Oder wie dieses «Pling!» von Zoom, wenn man das Programm öffnet.»


Laurin Buser
«Zu Beginn ging gar nix, aber mittlerweile kann ich mich nicht beklagen, keine Blockade, im Gegenteil: Jetzt habe ich einen Run. Ich thematisiere Corona derzeit in meinen Texten, weil Auftragsarbeiten dabei sind, wo explizit die aktuelle Situation einfliessen darf. Ich durfte z.B. eine Rap-Führung durch die leere Hopper-Ausstellung im Beyeler Museum machen. Natürlich spielt da Quarantäne etc. automatisch eine Rolle. Wie Corona für mich klingt? Etwa so: Jemand hustet im Bus und ruft dann: «Gipfeli, sisch nur e Gipfeli, i ha mi nir am Gipfeli verschluckt!»

Wir machen die Drinks schon mit einem Schluck leer
Tanzen im Wohnzimmer als ob es ein Club wär

Adrian Schräder ist freier Journalist und arbeitet regelmässig für die NZZ, Das Magazin oder das Bieler Tagblatt.

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