Brant Bjork ist eine Legende. Eine Rock’n’Roll-Legende. Vor einem Vierteljahrhundert begründete er zusammen mit seiner Band Kyuss den Stoner und Desert Rock. Heute steht er für das Revival, für die Unkaputtbarkeit der erdigen Gitarrenrifffs. Altherrenrocker? Eher das Symbol dafür, dass Rock’n’Roll nie erwachsen wird.

Als ich zum ersten Mal Iron Maiden hörte, sprang ich auf unserem Sofa auf und ab. Als ich zum ersten Mal Black Sabbaths «Masters of Reality» hörte, flösste mir das Angst ein. Als ich zum ersten Mal The Who’s «Tommy» hörte, nickte ich ein und träumte farbenprächtige Dinge. Als ich zum ersten Mal die Sex Pistols hörte, wollte ich etwas kaputt schlagen. Als zum ersten Mal The Doors‘ «The End» hörte, spürte ich das Morgengrauen nach einer durchtanzten Nacht. Als ich zum ersten Mal Led Zeppelins «Dazed and Confused» hörte, dachte ich, dass genau so Begehren klingt.

Als meine Mutter Teenie war, war Heavy Metal in. Als Mutter Teenie war, waren Arafat-Tücher, Palästina-Tücher in, auch auf dem Land, auch ohne zu wissen, wer Arafat ist und was die PLO. Als Mutter Teenie war, hörte man entweder Disco oder Rock. Meine Mutter hörte Rock. Und heiratete dann doch den Büroangestellten aus dem Dorf paar Kilometer weiter. Und wurde Hausfrau. Und zeigte ihrem neunjährigen Sohn irgendwann ihre Plattensammlung.

Rock’n’Roll ist Teenie-Sound. Nicht, weil Gitarrenriffs nur was für Halbstarke wäre, sondern weil Rock’n’Roll alles verbindet, was Pubertät ausmacht. Rebellion – gegen wen auch immer –, überbordende Hormone, Ausschweifung, Grössenwahn, Leichtsinn und ein wenig Naivität. Rock’n’Roll ist ein Teenie und wer von ihm verlangt, er soll endlich mal das Zimmer aufräumen, endlich mal seriös werden, was aus sich machen, der hat ihn nicht verstanden. Rock’n’Roll darf nicht erwachsen werden.

«Das ist doch alles schon mal dagewesen! Das ist doch alles nur Kopie», kanzeln Kulturkritiker heute die aktuelle Rockmusik ab und diagnostizieren: «Die Unoriginalität der Musik ist ein Zeichen für die Unoriginalität unserer Gesellschaft.» Brant Bjork wäre für sie ein gefundenes Fressen. Der ist 53 und trägt immer noch lange Haare und knallt auf das Cover seiner rund 30. Veröffentlichung doch tatsächlich ein Hanfblatt. Titel: «Tao Of The Devil».

Drogen und Satan – Klassiker. Seit einem halben Jahrhundert. Empörung erntet man dafür natürlich nicht mehr vom Establishment (dafür eben von den Kritikern). Der letzte Bürgerschreck mit E-Gitarre war Marilyn Manson und das ist auch schon paar Jahre her. Und der hat die Beine gespreizt auf der Bühne, seinen fahlen Hintern zur Schau gestellt, auf Videoscreens Pillen regnen lassen («I don’t love drugs / but the drugs love me»).

Brant Bjork denkt nicht ans Provozieren. Brant Bjork spielt einfach Gitarre. Aber halt nicht virtuos, sodass man seine Technik loben kann. Und auch nicht ultraverschroben, sodass man seinen Anspruch loben kann. Live nicht und auf dem Album nicht. Heute ein wenig sauberer und vielleicht auch etwas nostalgischer als damals Anfang der 90er zwar, als er zusammen mit Josh Homme mal schnell dem ganzen Genre in den Hintern trat, aber halt immer noch ohne Anspruch. Dafür mit Ehrlichkeit.

Weil Rock’n’Roll, eben das heisst: Einen Scheiss drauf geben. Im Zweifelsfall fürs Laster statt für Leistung, für Lust statt Lob. Schon im ersten Song heisst es:

They won’t understand me

they don’t got the Greeheen

We got all that we need

we got the Greeheen

Da singt der doch tatsächlich vom Kiffen. Nicht von Leistungssteigerung, nicht von Bewusstseinserweiterung, sondern einfach vom guten, alten Rausch. Vom Geniessen. «I want to taste the world» singt er und lässt dazu die Gitarren krachen, später im doppelten Tempo tanzen wie die Rauchschwaden in der Luft, Gitarrensolo natürlich inklusive und auch wenn mich das nicht mehr schüttelt wie damals Black Sabbath oder aufpeitscht wie die Sex Pistols: Irgendwas trifft’s doch in mir drin und lässt mich an der Bushaltestelle, die Kopfhörer auf, mitwippen, mitsingen: «I don’t care, what they say!» Ich bin überzeugt davon.

«I don’t care, what they say!» – «they», sie, die Anderen. Die Normalen. Die Mehrheit. Die Gesellschaft. Das System. Rock’n’Roll war nie Revolution, aber immer Rebellion. Unangepasstheit, wenn auch nur im Kopf. Wenn die meisten Rockfans heute auch ordentliche Jobs haben und ihre Helden brav die Steuerabrechnung machen: Im Kopf ihnen bleiben sie Outsider. Freerider. «Born to be wild». «We’re not gonna take it!»

Dringlichkeit oder gar politische Agitationskraft besitzt das nur am Rande. Die gab es zwar zugegeben schon ab und zu im Rock – 68er, Punk, Grunge –, aber eben auch nur so als pubertäre Geste. Aufgebehren gegen Erwartungen, Zwänge, gegen Eltern und Lehrer und ein Regel- und Wertesystem, das man nicht selbst gemacht hat, sondern einem aufgezwungen wurde. Halt so, wie man als Teenie Anarchie-As auf seine Schulhefte malt, gleich neben umgedrehte Kreuze, Pentagramme und das Logo seiner Lieblingsband. Und dann abends doch lieber mit einem Gascho am Fluss sitzt, als auf die Strasse zu gehen.

Was man hin und wieder auch noch auf seine Hefte kritzelte, vielleicht ganz unten in der Ecke, sodass es der Banknachbar eben nicht wirklich lesen kann: den Namen seines Schulschatzes. Weil das Mädchen zwei Reihen weiter hinten doch begehrenswerter und näher ist als der Weltfrieden. Auch wenn vielleicht genauso unerreichbar.

Und Rock’n’Roll spielt, zugegeben nicht immer ganz bewusst, mit Klischees, so auch Brant Bjork, und die Hormone spielen mit ihm. «Sometimes you go before you stay», klagt er in «Stuckt» und wenn die Frau im Clip auch zu sehr nach feuchtem Traum eines 15-Jährigen ausschaut, mehr Körper ist als was anderes, so ist es doch auch ein Geständnis, das ewige Geständis des Rock’n’Roll: «You got me baby!» Du hast mich in der Hand.

Aufwachsen bleibt Aufwachsen, auch wenn man heute dabei ein Smartphone in der Hand hält. Und so bleibt Rock’n’Roll, was Rock’n’Roll immer war: Der Soundtrack dazu. Ein ewiger Teenie. Ein Peter Pan mit E-Gitarre statt Messer. Wir, das sind die verlorenen Jungs. Sie, das sind die Erwachsenen, Captain Hook und seine Piraten.

Rock’n’Roll wollte nie die Welt verändern, auch wenn er es getan hat. Rock’n’Roll will sich einfach nicht sagen lassen, was er zu tun hat. «We’re not gonna take it», haben Twisted Sister mal gesungen. Rock’n’Roll ist Ausbruch. Rock’n’Roll ist Widerwort. Rock’n’Roll ist Sich-ins-Zimmer-einschliessen und eins kiffen und dann behaupten, es seien nur Räucherstäbchen. Rock’n’Roll ist Rausgehen und Freunde treffen, trotz Hausarrest. Rock’n’Roll ist die Welt zu einfach sehen. Rock’n’Roll ist so zu tun, als wüsste man genau Bescheid. Rock’n’Roll ist ein störrischer, eigensinniger und manchmal naiver Teenie. Wenn er was anderes wäre, wenn er auf andere hören würde, wäre er nicht mehr Rock’n’Roll.

 

Brant Bjork tritt am 15. November bei Ziischtigmusig im Ziegel Oh Lac auf.

 

Daniel Kissling (*1987) lebt in Olten und betreibt dort hinterm Bahnhof das Kultur- und Konzertlokal Coq d’Or. Er ist Mitgründer des Literaturmagazin Narr, Autor und lancierte im März 2020 zusammen mit Benjamin von Wyl die ad-hoc Literaturzeitschrift Stoff für den Shutdown, anstatt an Festivals zu gehen.

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