1

Ich atme in den Schilfbast.

Ich atme in den Schilfbast und hoffe, dass sie mich nicht sehen. Haben sie aber. Hier, im hinteren Bast des Sees. Jetzt werden sie mich herausholen, aber vorher werden sie noch ihre Gummihosen anziehen müssen, weil sie ohne nicht Mumm genug sind. Wie ich hierhin gekommen bin, in der nassen Erde liegend, ganz kalt am Bauch. Ist alles die Schuld vom Fuss, der im See ist. Es ist mein Selbstverständnis, ihn herauszuholen. Um ihn zu untersuchen, woher er kommt und wohin er will. Einer muss das tun. Ausser mir scheint niemand sich dafür zu interessieren.

Ein Zischen, ich schaue nach links. Da ist die Ente und sie lacht mich aus. Wie ich hier liege, ist die Ente plötzlich grösser als ich. Der Fuss ist nah, aber zu weit weg. Jetzt kommen sie aus ihrem Vereinshäuschen. Ich will nicht, dass sie den Fuss sehen, sie sollen meine Mission nicht kennen, sonst verpfuschen sie mir nur alles, ich mache das alleine. Jetzt kommen sie näher. Ich muss mich hier wegrobben, durch die Erde und alles, der Bast ist nicht dicht genug, ich bin wohl visuell auszumachen, Panik klopft in den Schlamm. Jetzt sehe ich ihre Gesichter, ich schleife mich rückwärts und greife in den Schmutz der Böschung, ich ziehe mich am Bast, am Schilf, hinauf und renne weg. Die werden mich nicht kriegen, die nicht.

2

Wie ich weggerannt bin, raus aus dem Park, der Park, in dem der See ist, bin ich hinten über den niederen Drahtzaun gehechtet, zum Baugrund, und habe mich hinter die Büsche gemacht, wo ich ja jetzt kauere. Es hat noch nicht allzuviele Blätter am Gebüsch, es ist ja erst anfang April. Hinter mir tut sich ein riesiges Loch im Boden auf, sie wollen da Mehrfamilienhäuser bauen, aber die fangen nie recht damit an, ja nu, zu meinem Guten, um so besser, jetzt habe ich hier ein schönes Versteck. Ich linse durch die Blätter und Zweige und sehe, wie die vom AFS, wie die in ihren Gummihosen im See herumstehen und die Köpfe hin- und her bewegen, wie sie mich suchen. Die habe ich fürs erste Mal ausgetrickst, den AFS. Anglerfischer Schweiz, die haben noch nie durch ihre Intelligenz sich hervorgehoben, nur durchs Biertrinken und dumme Sprüche, den ganzen Tag.

Die Ente immer, mit ihrem Mirnichts-dir-nichts-Gehabe, die denkt wohl, sie sei was Besseres!

Von hier überschaue ich den Park doch recht gut, und mich sieht ja niemand, das ist auch gut. Es ist doch alles in allem nicht eine Position für einen bald fünfzigjährigen Mann. Aber ich, die anderen, die sehe ich ganz hervorragend! Ich sehe die jugendlichen Cannabiskonsumenten, wie sie auf dem Steg sitzen und ihre Cannabiskrautzigaretten hinter ihre Rücken halten, ich sehe die Ente, wie sie mit gleichgültigem Blick zwischen den Gummihosen vom AFS Slalom schwimmt. Die Ente immer, mit ihrem Mirnichts-dir-nichts-Gehabe, die denkt wohl, sie sei was Besseres! Jetzt steigen die ersten wieder aus dem Wasser und gehen zurück zu ihrem Vereinshäuschen, wo sie immer vornedran sitzen und in die Welt glotzen. Die Vereinshütte ist nicht weit, der Park ist ja nicht gross. Der Park hat keinen richtigen Namen, nicht. Er heisst einfach nach dem See, weil viel mehr ist er nicht. Er ist der See, der Egelsee, ein Weg, die Vereinshütte, ein Steg, in den See, drei Bänke am Weg und Bäume. Der See hat die Form einer Niere.

Das alles sehe ich von hier. Ich kenne den Park gut, wie auch den See. Ich bin jeden Tag zweimal hier. Am Morgen, um meine Balance- und Atemübungen zu machen und am Abend, zwecks derselben. Es ist der Flamingo, den ich immer mache. Dann gehe ich eine symbiotische Balance mit dem See ein und habe Kontakt zum Universum. So halte ich das alles hier im Gleichgewicht. Aber mir sagt ja nie jemand danke, nie. Niemals kommt einer und sagt, danke Gerhard, das hast du jetzt aber gut gemacht, Supergerhard, du. Das bin ich. Ich bin Gerhard.

3

So gestaltet sich also meine Situation. Seit der Fuss im See ist, kann ich meine Übungen nicht mehr machen. Er stört den See und das Gleichgewicht der Umgebung. Ich verliere die Balance und muss immer wieder abstehen, was nicht elegant aussieht, den Flamingo mit zwei Beinen machen. Das zeigt, es stört den See, wenn der Fuss da drin ist. Der See wendet sich an mich und fragt mich um Hilfe. Das geht, weil ich ein hypersensibler Mensch bin. Ich habe Kontakte zu den Dingen.

Als Komissär werde ich sehr viel Lob und Anerkennung bekommen.

Ich muss den Fuss also aus dem See schaffen. Erstens um dem See zu huldigen und gehorchen, aber auch, weil ich den Fuss dann untersuchen kann und herausfinden, wem er gehört und einen Kriminalfall aufklären. Dann bin ich Komissär, das passt schon lange zu mir. Als Komissär werde ich sehr viel Lob und Anerkennung bekommen. Der zuständige Komissär wäre eigentlich Komissärin Blüehler, aber der steckt die Faulheit im Gesicht und in den fetten Hinterbacken. Ich sage der sicher nichts vom Fuss, den hole ich selber und dann heimse ich den ganzen Lohn und Anerkennung ein. Einmal hatte Blüehler den Hosenstall offen und ich habe nichts gesagt, hihi!

Blüehler hat einen Hund, Grimsu ist in Ordnung, aber ich verstehe nicht, was er mit der will. Der könnte sich eine viel bessere suchen! Grimsu hat auch Krach mit der Ente, deshalb verstehen wir uns. Die Ente regt mich ungemein auf. Ich mache ihr immer so Geräusche, um sie zu nerven, aber so, dass es die Leute nicht merken. Ich weiss auch nicht, vielleicht hat sie den Fuss auch schon gesehen, aber sie würde es mir nicht sagen. Manchmal habe ich Angst, sie schwimmt da raus und nimmt mir den Fuss, oder macht ihn kaputt, am Schluss frisst die mir den noch weg!

Ich glaube, noch bin ich der einzige, der den Fuss gesehen hat. Obwohl der so poppig und farbig leuchtet, es ist ein Turnschuh, für Männer, mit mehrfarbigen Schuhbändeln, die eine gute Stimmung machen, stelle ich mir die vor. So nahe bin ich ja noch nicht gekommen, nur fast. Vor einer Woche war das, als ich den Fuss das erste Mal gesichtet habe. Da war es noch März, jetzt ist April und es wird wieder wärmer. Dann installieren die vom AFS ihre Liegestühle und Aschenbecher, die zum in den Boden stecken, die sie bestimmt im Sommer-Freibad gestohlen haben. Dann liegen sie den ganzen Tag darin herum und trinken Bier aus den Dosen und verhöhnen mich mit Sprüchen. Immer wieder wird es April, jedes Jahr.

4

Sodenn bin ich nun hier zuhause in meiner Klause, so nenne ich meine Wohnung, und sinniere bei einem guten Thymiantee. Es ist Thymianwoche, nächste Woche ist wieder Salbei. Ich freue mich auf den Salbei! Aber das nur nebenbei!

Es ist doch so: Mit einem Fuss draussen weiss man nicht, wo man steht! Man muss ihn einholen und genauer untersuchen. Ich habe es bis jetzt mit einem langen Stockast versucht, mit einer Angelrute und einem Netz, aber er entgleitet immer. Es wäre ja einfach, wenn ich ein Boot wässern könnte, aber die Statuten vom See verbieten das. Also bin ich zu denen vom AFS, um denen ihre Gerätschaften zu fordern, weil die dürfen ja in den See. Vor dem Häuschen waren einzig Kevin, der gewalttätige Junior und Krückenpatrick, der immer eine Krücke dabei hat. Krückenpatrick ist der neue Freund von Blüehler, ich musste also Acht geben. Ich grüsste und behagte mein Verlangen. Die beiden werden an Leberinsuffizienz sterben, die hatten schon wieder ein Bier in der Hand. Meinereins segnete kurz seinen Salbei, korrekterweise Thymian. Dann fragte ich für Boot und Rechen, ich hätte etwas zu tun, im See. Die beiden waren kurz ruhig, zum die Räder in ihren Oberstübchen ins Getriebe bringen. Dann machten sie die Schlünde auf und heulten, sie nennen das Humor, ich hatte das schon mal erlebt. Kevin verschluckte sich und lief rot an. Ich hoffte kurz, dass er erstickt. Dann sagte Krückenpatrik, der See werde irgendwann dann mal Mitte, Ende Frühling gesäubert und fertig.

Gestern habe ich die Gummistiefel angezogen und mit dickem Plastikklebestreifen zu den Hosen abgedichtet und weiter hoch, bis über den Bauchnabel alles gut wasserdicht verklebt. Dann habe ich einen langen Stockast genommen und bin in den See gewatet, dem Rand entlang nach hinten, bis zum Bast, durch den der Fuss grell und farbig mit dem Schuh leuchtet. Normalerweise lassen mich die vom AFS, aber siehe da, will ein Bürger etwas gutes tun, sind sie sofort von ihren Liegestühlen aufgesprungen und haben mir gesagt, ich solle herauskommen. Natürlich bin ich nicht heraus, also sind sie auch rein, aber zuerst mussten sie ihre blöden Spezialhosen anziehen, und als sie mich einfangen wollten, da war ich schon fast beim Fuss gewesen. Der gewalttätige Kevin hat noch mit Steinen nach mir in den See geworfen, sobald ich den mal alleine erwische, bekommt der mit dem Stockast eine gute Tracht, ich bin ja jetzt Komissär. Und dann war ich eben hinter den Büschen beim grossen Loch im Bodengrund. Ich muss mir das alles genau überlegen, es geht hier schliesslich um einen Fall. Auch geht es darum, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Wenigstens im Park.

Unbedingt muss ich den Fuss selber einholen

Hier ist immer Lärm, das Haus ist alt und wie von Rockytocky und wir haben alle eine Einzimmerklause. Lange ging es gut, ich wohne seit zwanzig Jahren hier. Viele Süchtige haben früher hier gewohnt, und Punkfrisuren. Die sind mir alle recht, nur nerven sollen sie mich nicht. Aber jetzt sind die jungen Männer von dieser kriminellen Schlägergruppierung eingezogen. Obwohl, so jung sind die auch nicht mehr. Zuerst war es nur einer, über die letzten Jahre wurden es immer mehr, und ehe man sich versieht, ist das ganze Haus voll mit denen! Jede Nacht lärmen sie unter meinem Fenster, jede Nacht. Hier kann ich nichts mehr machen, aber im Park, der kann mein Garten Eden sein. Wie ich das alles denke, beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Was, wenn der Krückenpatrick gelogen hat? Wegen mit dem Datum von der Seereinigung. Unbedingt muss ich den Fuss selber einholen, bevor die möchtegernischen Angelfischer mit ihren Rechen zwischen die Tiere steigen und ihre Sprüche in den See streuen. Ich muss mich vergewissern, wann sie dieses Jahr rechen wollen, um ihnen zuvorzukommen. Dazu muss ich in das weltweite Web surfen, dort haben die vom AFS einen Fotoklick-Kalender.

5

Ich bin auf dem Weg. Wieder zum Park, zum See. Ich muss ja in das Weltweb hinein gehen, als nächstes. Das tue ich immer am Donnerstag, weil am Donnerstag feiern die Bewohnerhaften der Stadt den Abendverkauf. Dann gehe ich zum Postautobahnhof, dort hat es ein Häuschen mit einem Computer drin, der das Internet drin hat. Und ausser mir dann kein Mensch, weil die Einheimischen alle am Abendverkauf feiern sind, sieht mich niemand. Das Internet finde ich, ist ja eine tolle Sache, ich hätte es mir erfinderisch ausdenken sollen, wie so vieles, aber das Weltenweb, nein, das habe ich nicht geschafft, dass das meiner Hirnstruktur entsprang. Das macht mir grosse Ehrfurcht. Aber bis Donnerstag warten, das schien mir dann doch zu passivistisch, also bin ich schon heute hin. Es hatte wiederum eine Person, die schon herumsurfte und warten, nein, warten ist etwas, das würd ich verbieten. Also frage ich die nette blonde Frau im gelben Fleece-Jäckchen, ein fröhliches Kleid, wie es hier alle tragen, wo man sonst noch in das Weltenweb sich hineinspinnen könne, und sie sagt, «überall». Wie ich sie weiter ausfrage, berichtet sie, heutzutage hätten die Leute das Internetz immer bei sich, auf ihren Mobiltelefonen und in ihren Köpfen.
Deshalb nun bin ich, Gerhard, auf dem Weg zum Park. Es entstand in mir nämlich das Gedankengut, dass ich mich mal zu diesen Jugendlichen geselligen werde, zwar rufen sie mir manchmal Blödheiten zu, wenn mir der Flamingo nicht recht gelingen will, aber das ist selten und ansonsten lassen sie mich in Ruhe. Ausserdem sind sie wegen ihren Haschischzigarettenstummeln in ewigem Zwist mit dem AFS. Als ich anno dazumal auch noch solche geraucht habe, nannte ich die Jazz-Zigaretten, wie Keruack on the Road, sozusagen. Aber das war damals. Heute ist das Internetz. Überhaupt bin ich derjenige, der denen immer die Stummel sammelt und in die Tonne wirft, die können sich auch mal dankbar zeigen. Dass die den Fuss noch nicht gesehen haben. Vielleicht haben sie ihn schon gesehen.

Corsin, im See liegt eine Leiche.

Bin ich also zu den Jugendlichen geschlurft, extra langsam, ich weiss genau, wie was cool wirkt. Ich denke mir so eine Dungdedungdedung-Musik, wie in den Krimis, oder wenn jemand Cooles zum Beispiel über ein Stück Rasen geht. Dann muss man so gehen, als wären die Beine so ein bisschen aus Gummi, und man muss cool dreinschauen.
Die Jugendlichen blicken mich an. Ich blicke zurück und sage zuerst nichts. Das habe ich gut gemacht. Dann frage ich sie, wer der Anführer ist. Sie lachen, aber dann schauen alle zu einem grossgewachsenen Buben mit so einer Kreiselbrille, wie es früher die Hippies hatten, es sind gute Brillen, finde ich. Sie machen lustig. Der Anführer hat alte Rollschuhe an und liegt irgendwie unbequem auf dem Steg, irgendwie weil er zu gross ist für alles. Ich wende mich also an ihn, Corsin heisst er. Ich sage, «Corsin, es ist Krieg. Es ist Krieg, hier im Park.» Corsin sagt, er habe gern Spinner, die seien nicht so wie seine Eltern.
Ich sage, «Corsin, ich erlaube euch, mir bei meinen Ermittlungen zu helfen, unter meinem Kommando.» Er sagt, seine Eltern seien beide total konservativ. «Corsin», sage ich. Ich sage, «Corsin, im See liegt eine Leiche.»

6

Ich weiss nicht, warum ich Leiche gesagt habe. Corsin sagte da jedenfalls nichts mehr. Ein kleines Mädchen mit pinkfarbenem Haar begann, vom Kraut benebelt, zu kichern. Ich korrektivierte mich umgehend, «nicht ganz die Leiche, der Fuss.»
Ich sagte, «die Leiche muss auch irgendwo sein.» Das wurde mir da grad wie klar, in diesem Moment.
«Wo», sagten die Jugendlichen.
«Dort hinten, im hinteren Bast», sagte ich. Sie schauten. Das Mädchen sagte, das sei Schilf. Sowas mag ich gar nicht, aber ich verblieb ruhig. Also, die Jugendlichen schauten. Und sie sahen den Fuss. Sie sahen ihn und sagten definitiv gar nichts mehr. Das habe ich gut gemacht. Dann erklärte ich, wie wichtig es eben ist, in das Internetz zu surfen, wegen wann die Angelfischer den See sieben. Das Mädchen mit dem Kaugummihaar holte einen kleinen Computer aus dem Rucksack und schob ihren Finger darauf herum. Und dann zeigte sie mir die ungeheuerliche Wahrheit: Der AFS hat die Seereinigung vorverlagert. Sie haben das Datum einfach vorgeschoben. Dieses Jahr sieben sie schon Anfang April, in sechs Tagen, um genau zu sein. Da spürte ich eine gewisse Schwäche in mir aufsteigen, die sich wie Gallensaft anfühlte und mir die Augen zuschleierte, dass ich die Scheibenwischer einschalten musste. Ich mich setzen musste und wohl etwas desolat den Eindruck machte. Die Jugendlichen schauten mich mit grossen Angstaugen an, dann schob sich Corsin zu mir und nahm mich in seine Arme. Das fand ich zuerst komisch, und ich wollte ihn wegstossen, aber dann sah ich ihn, wie er einfach nur nett aus seiner lustigen Kreiselbrille schaute. Wie ich mich beruhigt hatte, haben mir die Jugendlichen genau und gut zugehört, vom Fuss, vom AFS, von meinem Plan. Sie nickten und schauten einander und mich an und sie sagten, dass sie mir helfen werden. Und dann sagten sie auch noch, sie wären jetzt meine Freunde. Das euphorisierte mich ganz erstaunlich. Wie ich von den Jugendlichen davonschritt. Zu wissen, in ihnen nun eine treue Helferschaft hinter meinem alten Rücken zu wissen. Wir hatten uns für den nächsten Tag verabredet, gleiche Zeit, Steg, ich freute mich. Ich freute mich sehr. Ich fiel wieder in den Gummibeinschritt und ging ganz cool am Häuschen vom AFS vorbei. Vor dem Parkausgang traf ich die Ente. Normalerweise hätte ich ihr eine Beleidigung gezischt, aber so, so voller Frohgemut, grüsste ich die Ente nur höflich.

7

Es ist der Nebel über dem See und es nieselt. Jetzt, wo ich die Ente mal brauchen könnte, glotzt die mich natürlich nur wieder blöd an. Ich sollte dieses Vieh im See ertränken, aber ich reisse mich zusammen und tue nett, weil ich habe Gefallen gefunden am Gedanken, Gehilfen und Kameraden zu haben. Auch spüre ich, die Ente weiss etwas oder gar viel, sie ist ja immer im Park und beobachtet alle. Das vermute ich stark, obwohl sie immer tut, als würde sie sich nur um sich selbst kümmern. Ich versuche mich also ein bisschen in Entenschmeichelei und buttere ihr den Honig gleich pfundweise an den Bürzel. Ein kleiner Knicks für ihre Majestät Ente hier, eine kleine Verbeugung da, ich übertreffe mich geradezu über mich selber.
Der Grund für meine übertrieben verzeweifelte Verhaltensweise: Der Fuss ist weg. Jedenfalls ist er nicht mehr dort, wo er vorher war, ich habe schon den gesamten hinteren Bast durchkämmt. Ich war der Kamm, und zwar ein feinsteckiger, und der Bast war das Haar des Rätsels, das mysteriöse Haar, am besten würde man jedes einzeln ausziehen, bis es dem Park so weh tut, dass der mir endlich klickert, was das für eine Sache ist, mit dem Fuss.

Ich werde herausfinden, was das für kriminelle Machenschaften sind, ein Bein werde ich diesen Machenschaften stellen

Jetzt bin ich also bei den Büschen, es ist Nachmittag, das sagt die Sonnenuhr, die ich um den Hals trage. Ich habe die Sonnenuhr selber gefertigt, als ich vor zehn Jahren bei den Indianern in Nordamerika war, habe ich mir das dort selber beigebracht. Ich habe mir fast alles selber beigebracht und ich werde auch herausfinden, was das für kriminelle Machenschaften sind, die in diesem Park walten, und die werde ich dann stellen, ein Bein werde ich diesen Machenschaften stellen, dann fallen sie um und ich halte sie fest und sie haben Ehrfurcht vor mir und sagen, Gerhard, Herr Komissär, Sie haben gewonnen, Sie schlauer Fuchs.
Das ist nämlich, was ich bin.

Der schlaue Fuchs durchkämmt also den ganzen Park und die Ente watschelt nebenher. Jetzt beginnt es richtig zu regnen. Der Schirm ist mir kaputtgegangen, dann bleibe ich jeweils zuhause und löte und flicke, ich hatte noch nie einen anderen Schirm. Aber jetzt ist das anders. Ohne Deckel muss ich mich dem versauerten Regen aussetzen, er hat mir schon drei Haare weggeätzt, ich habe es genau gespürt. Ich gehe kurz in den ausländischen Laden, der komisch stinkendes Gemüsekraut feilbietet und nehme mir einen der hellblauen Plastiksäcke. Den skulpturiere ich auf dem Kopf zu einem Helmschutz. Der Verkäufer lacht und macht ein Handzeichen, das den Daumen betont. Ich hebe den Fuss und mache mich vom Feld.
Zurück zum Tatort. Ich verbringe den Nachmittag einigermassen friedlich, wegen dem Regen bleiben die vom AFS im Häuschen. Die Jugendlichen kommen nicht. Ich bin enttäuscht. Ich bin mehr als enttäuscht, es macht mich traurig, sowas. Es heisst ja immer, die Jugend ist zu nichts nutze. Aber ich dachte, das sagen die Leute nur, weil als die, die das sagen, jünger waren, waren sie ja auch mal Jugendliche! Ich zum Beispiel war nie gar nicht gern jugendlich, immer hat der Lehrmeister mit mir geschumpfen, trotzdem rufe ich jetzt nicht hinter den Jugendlichen her. Ausser Kevin, aber der hat ein bösartiges Wesen. Einmal habe ich gesehen, wie er nach der Ente getreten hat, die Ente hat mir richtig fast leid getan. Der Regen macht die ganze Zeit mein Vergrösserungsglas nass. Im Vereinshäuschen hören die vom AFS Hardrock-Musik. Alle sind in ihren Häusern und tun nichts, allen ist alles egal. Und ich, ich krieche hier mit der Ente durch den Schlamm, alles dreckig, will ein Verbrechen aufklären, und was ist der Dank. Niemals nie dankt mir jemand. Im Auftrag der Welt handle ich, und die Welt macht nichts und lacht mich aus. Ich bin der Affe hier, immer bin ich der Affe. Mir wird klar, dass ich jetzt niemand anderes mehr habe, als die Ente. Davon und überhaupt wird mir
ganz elend.

8

Es hat mir die Ente dann aber doch noch ein spannendes Geschichtlein verklickert. So wie ich das sehe, stinkt der Mist also beträchtlich in den Wind und zwar aus dem Vereinshaus vom AFS, soviel ist klar. Gegenwärtig gehe ich heute und morgen nicht in den Park, die Herrschaften veranstalten dort nämlich ihr Theater, wenn sie mit den Rechen in den See steigen und sich unglaublich wichtig betrachten. Nein, die Tage bleibe ich zuhause in meiner Klause und bereite meinen Coupe. Das Fass ist erreicht, mit dem, was mir die Ente geklickert hat. Um mich vorzubereiten, intensiviere ich meinen Tagesrythmus. Ich bin vom Thymian- wieder auf den Salbeitee umgestiegen. Ich widme diese Aktion dem Salbei, er wird mir die nötige Kraft verleihen. Morgens bin ich jetzt immer schon vor dem Wecker wach, dann muss ich den Oberkörper wieder zurückschlagen und die Augen zukneifen, damit es der Wecker nicht merkt. Egal wie es um den See und Fuss und alles steht, mit seinem Wecker will man sich nicht anlegen. Dann höre ich mir das Radio und nehme den Tee, die letzten zwei Schlucke gurgle ich und spucke sie aus dem Fenster, wer weiss, vielleicht treffe ich einen der kriminellen Schlägergruppierung.

Derweil suchen die drei Buben und Corsin in den Büschen nach der Leiche.

Und das ist, was mir die Ente gezwitschert hat: Die Jugendlichen wurden mir gar nicht abtrünnig, sie wurden stummgeschaltet. Und zwar von Blüehler. Es ist alles sinn- und stichhaltig. Man könnte sagen, jeder Weg führt zu Blüehler. Die Jugendlichen hatten mir gesagt, sie würden mir helfen. Damit meinten sie sofort. Es wird mir traurig, denke ich daran, hätten sie doch auf meine Befehle gewartet… Noch in derselbigen Nacht versuchten sie es auf eigenes Tun, sie warteten auf dem Baugrund, bis niemand mehr im Park war, der Letzte vom AFS die Hütte abgeschlossen und alles hatte. Dann kletterten sie im Schwarzdunkel über den Zaun. Corsin blieb mit einem Rad seiner Rollschuhe hängen. Es gibt überall Spuren, die den Tathergang genau bezeugen, die Ente hat sie mir gezeigt. Dann versuchte das Mädchen mit dem pinkfarbenen Haar den Fuss mit einem Stockast zu erwischen. Das klappt nicht, ich hätte es ihnen doch sagen können. Das Mädchen liegt auf dem Bauch und rutscht immer weiter nach vorne, um den Fuss endlich zu erreichen! Derweil suchen die drei Buben und Corsin in den Büschen nach der Leiche. Weil Corsin auf dem Rasen nicht gut fahren kann, mit seinen Rollschuhen, fällt er immer wieder hin und die Buben helfen ihm aufzustehen – und dann fällt das Mädchen in den See, ach, ich habe es kommen sehen. Sie könnte ja meine Tochter sein, wenn ich Kinder hätte, vom Alter her! Und wie das Mädchen im See ist, kann sie nicht schwimmen, weil sie von einem Schock leidet und kann auch nicht schreien. Und wie die Buben sie gefischt haben und sie in Corsins Schoss liegt, und Corsin weint, er weint. Weil das Mädchen redet gar nichts mehr, weil jetzt hat sie einen noch viel grösseren Schock und die anderen auch, weil über ihren ganzen Körper, über und unter ihren durchnässten Kleidern, winden und krümmen sich unzählige von glitzernden, dicken, schleimigen Würmern. Das sind die Egel. Und ihr ganzer kleiner Körper zitterte und die Egel darauf wurden so geschüttelt, dass es aussah, als zitterten sie ein wenig mit, nebst dem Kriechen und Aussaugen. Da musste die Ente ihren Blick abwenden, es machte sie sehr betroffen. Die Ente stand ja die ganze Zeit da, hinter einem spärlichen Büschel Bast, und ihre Augen sahen das alles im fahlen Mondlicht.

Seit Blüehler bei den Jugendlichen war, sind die Jugendlichen und auch der Fuss verschwunden

Ich brauche einen Schluck Salbei. Seit der Geschichte mische ich allenthalben etwas Whiksy darunter. Ich sage Whiksy, weil das sagen Komissäre, das ist wie in Der Chinese von dem Friedrich Glauser. Und dann hört die Ente aus der Dunkelheit – gottlob, es ist Grimsu. Die Ente denkt nicht gottlob, weil sie und Grimsu nicht gerade die besten Freunde sind. Aber ich denke es. Jedoch, oh nein, trabt natürlich die dicke Blüehler hintendrein. Blüehler geht zu den Jugendlichen. Grimsu vetreibt die Ente, deshalb konnte sie mir nicht weiter berichten. Ich fasse zusammen: Was wir wissen, ist: Seit Blüehler bei den Jugendlichen war, sind die Jugendlichen und auch der Fuss verschwunden. Ich will nicht behaupten, Blüehler ist die gesuchte Person, aber sie hat Verbindungen zum AFS, und das macht sie verdächtig. Also haben die Ente und ich uns geeinigt, als nächstes müsste eigentlich Grimsu befragt werden, und zwar von mir, weil die Ente und Grimsu, das geht nicht. Das Problem: Grimsu ist Blüehler völlig verfallen. Er würde sie nie verraten. Es bleibt also nur noch der Frontalangriff.

9

Sie haben ein Fest, heute Abend, in der Vereinshütte, um die jährliche Seesiebung zu feiern. Ayersrock spielen und danach Gspässig. Krückenpatrick ist bei Gspässig mit dabei, wenn ich mich nicht irre. Veranstaltung Open End bis 04:00 mit DJ Röbu. Open End spielen also auch noch. Umso besser für mich, umso besser. Ich werde sie dort umfassen und dann packen wo sie am verwundlichsten sind, nämlich in ihrem vereinigten, bierseligen Kollegentun. Es wird immer noch recht schnell dunkel. Ich ziehe meine Schirmmütze an, auf der vorne PRESTO draufsteht, ich ziehe mir den Schirm nach unten, damit es ein Schatten auf dem Gesicht gibt.

Ich habe schon lange keine Angst mehr.

Auf dem Weg zum Vereinshaus überkommt mich ein euphoristisches Gefühl. Es ist kühl, das ist gut, das erfrischt den Geist und desinfiziert die Luft. Und der Frühling ist da und man riecht das Pflanzenreich, das wieder Hallo grüsst. Zusammen ist das wunderbar. Mir ist also froh gemut, wie ich plötzlich die Jugendlichen erblicke. Es sind nun schon einige Tage, seit sie verschwunden sind, und jetzt sind sie einfach da. Ich weiss nicht, wie ich das finden soll. Zuerst freue ich mich. Ich gehe auf sie zu. Die Buben schieben Corsin auf der Strasse den Hang hinauf. Wie ich mich nähere, will ich die natürlich fragen, was alles passiert ist undsoweiter. Aber kaum bin ich nah genug, schieben sie Corsin an, der flitzt die Strasse hinunter und weg ist er. Die drei Buben schauen weg, wie ich an ihnen vorbeigehe. Das Mädchen fehlt. Ich beginne die Jugendlichen zu verabscheuen. Solche Verbündete brauche ich nicht. Ich tue auch nichts dergleichen und und laufe gerade auf das Vereinhaus zu. Ich habe schon lange keine Angst mehr. Aus den Fenstern fetzt laute Musik, das müssen Gspässig sein. Ich habe den Moment genau auskalkuliert. Vorne draussen gruppieren sich kleine Herden, die laut reden. Behende füge ich mich durch die Menschen und schaue in das Haus hinein. Auf der Bühne sind Krückenpatrik und ein paar andere. Vor der Bühne kreisen vier Frauenbilder mit ihren Hinterbacken. An den Wänden stehen belämmert schauende Angelfischer und Friends mit einem Bier in der Hand. Sie schauen den Frauen auf die Extremitäten, wie sie die schwingen. Die Frauen tragen zu kurze Oberkleider und enge Jeansstoffhosen, die sie oben mit einem Gürtel noch mehr verengt haben, dass kleine Rollen vom Bauch darüberhängen. Sie tun übertrieben begeistert und so, als würden sie sich nur auf das Tanzen konzentrieren. Dabei schielen sie immer irgendwelchen Angelfischern auf den Hosenladen, beziehungsweise was darunter ist. Bei solchen Tieren muss ich keine Angst haben, die sind viel blöder als die Ente oder auch Grimsu. Und deshalb bin ich ja hier: Ich muss Blüehler finden, mitsamt Grimsu und die beiden zum Reden bringen.

10

Ich ging also nicht in das Vereinshaus, ich ging um das Haus herum, weil hintendran hatte es einen Gartentisch und Stühle und einen kleinen Schuppen, wo die vom AFS Teile ihres vermeintlich supertollen Gerätes lagern. Im Dunkel schlich ich behende um das Haus, wie ein lauer Wind, so leicht. Und wer sitzt allein am Gartentisch. Blüehler. Ohne Grimsu. Ich also hin und sie gefragt, wo Grimsu sei, da ward mir gewahr, dass Blüehler ganz traurig aus dem Gesicht guckte. Und sie sagte, Grimsu sei gestorben. Er sei schon lange krank gewesen. Das tut mir sehr leid. Grimsu war ein feiner Kerl, oder gewesen. Ich fragte sie, wo er jetzt sei. Sie sagte, es gebe so Tonnen, da könne man die Kadaver hineintun. Das hatte ich ja noch nie gehört. Ich hätte Grimsu feuerzeremoniell auf dem See bestattet, das sage ich Blüehler. Die zieht die Lippen zur Seite und zeigt die Zähne, also lächelt. Sie hat ganz schöne Zähne, eigentlich. Sie raucht aber viel, deshalb sind sie gelb. Auch säuft sie beträchtlich, sie hatte für sich alleinig eine Flasche Whiksy, den mit dem laufenden Kerlchen drauf. Ich sage, dass ich den Whiksy auch ein bekömmliches Getränk finde, worauf Blüehler sagt, ich könne gern etwas haben. Ich bedenke mich und will schnell zu meiner Klause, um den Salbei zu holen, aber Blüehler findet, Whiksy gehe auch gut ohne.

Mein Plan wäre sicher auch sehr gut aufgegangen, wenn nicht plötzlich Krückenpatrick vor uns gestanden wäre

Also schlich ich mich noch einmal zurück zum Vereinshaus, Blüehler wollte nicht aufstehen, sie sei zu besoffen. Ich holte zwei Plastikbecherchen, alles total inkognito. Solche Plastikbecherchen sind eine drollige Sache, so süss und klein, man kann sie knicken und sie machen Geräusche. Plötzlich dachte ich mit ganz viel Gefühl, ich liebe diese Plastikbecher, fast wie meine Kinder. Obwohl ich ja gar keine Kinder habe. Zurück zu Büehler. Die kann ziemlich saufen, so als Komissärin. Ich habe aber wacker mitgehalten, weil ich konnte mir die Chance nicht entgehen lassen, aus Blüehler wichtige Informationen herauszubekommen. Blüehler ist sozusagen die Nadel im Heuhaufen, wobei sie eine recht stattliche Nudel ist. Ich trank also den Whiksy zusammen mit Blüehler und ohne Salbei, und in mir gärte die Erkenntnis, dass ich Blüehler genug betrunken machen muss, dann werde ich die Wahrheit aus ihr herauskriegen. Als sie dann angefangen hat, Edith Piaf zu singen, begann ich an ihr zu quetschen, an der Hüfte, damit sie endlich redet. Und Blüehler hat zurückgequetscht. Ich tat das alles für den Beruf, ein Komissär muss auch mal mit Agentinnen schlafen, ich kenne ja 007. Mir wuchs allerdings auch langsam ein Karussell auf dem Kopf, und ich dachte, wenn das vorüber ist, dann erzählt mir Blüehler sicher alles. Das dachte ich, als wir uns schon über den Rasen rollten. Mein Plan wäre sicher auch sehr gut aufgegangen, wenn nicht plötzlich Krückenpatrick vor uns gestanden wäre. Der hat aber gar nichts gesagt, nur den Mund auf. Dann hat er aus dem Mund herausgespuckt und kehrtum gemacht. Ich war froh und wollte mich soeben wieder in Blüehlers Umschwung senken, da will die plötzlich nicht mehr. Steht sie auf und rennt zum See, ich hintendrein, und das in einem erektionalen Zustand!

Jetzt liegt Blüehler auf den Steg und kotzt schon die ganze Zeit ganz fürchterlich in den See. Ich tätschle ihr den Rücken und denke an Grimsu und werde auch ganz traurig. Die Ente steht da und guckt. Wie Blüehler fertiggekotzt hat, gebe ich der Ente ein Zeichen, sie soll aufpasssen, und gehe nochmal zum Vereinshaus. Die vom AFS haben im Frühling Decken auf den Liegestühlen. Ich entwende die Decken allesamt und ein Mineralwasser. Das alles bringe ich der Frau Patientin Blüehler. Die freut sich. Morgen werde ich sie fragen. Ganz sicher. Die Ente nickt mir anerkennend zu. «Gut», sagt die Ente, «das hast du gut gemacht, Gerhard».

Anaïs Meier, geboren 1984 in Bern, studierte Filmwissenschaften, Drehbuch und Literarisches Schreiben in Zürich, Ludwigsburg und Biel. Gründete 2013 zusammen mit dem Künstler Simon Krebs das Büro für Problem.
Aktuellste Literatur in drei Teilen. Die erste Fortsetzungsgeschichte in der Fabrikzeitung.

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