Es gibt Musiker, denen muss man die Informationen zu ihrer Musik regelrecht aus der Nase ziehen. Sie sind der Ansicht, die Musik spreche ganz und gar für sich selbst. Privater Kontext sei unnötig.

Und dann gibt es Andere, die geben Dinge preis, die sie vielleicht besser für sich behalten hätten: Ruban Neilson, 35, neuseeländisch-amerikanischer Doppelbürger und wahrscheinlich besagter unbekannter Sterblicher, der sich hinter dem Namens seines Bandprojektes Unknown Mortal Orchestra verbirgt, gehört ganz klar zu letzterer Kategorie.

Eine ungewöhnliche Geschichte, irgendwie zu gut, um sie einfach für sich zu behalten.

Was er der Presse aus den USA und Grossbritannien im Vorfeld der Veröffentlichung seines dritten Albums ‹Multi-Love› über sein Privatleben erzählt hat, geht weit über das hinaus, was man als Journalist normalerweise erfährt. Es handelt sich aber auch um eine ungewöhnliche Geschichte, irgendwie zu gut, um sie einfach für sich zu behalten. Eigentlich auch irgendwie zu gut, um daraus «nur» eine Platte zu machen. Es ist Stoff für ein Drehbuch, denn es ist alles da: verhinderte und erfüllte Liebe, Eifersucht, Neid, Nähe und Distanz, Abenteuer, Künstlertum, Eigensinn und gesellschaftliche Ächtung.

Und einen Punkt – den für uns wichtigsten – haben wir bei dieser Aufzählung sogar noch vergessen: die Musik. Bei der Liebes- und Lebensgeschichte von Neilson, der mit seiner Frau und seinen beiden Kindern vor einigen Jahren vom neuseeländischen Auckland nach Portland an die amerikanische Ostküste übersiedelte, ist für uns wunderbare Musik abgefallen. Eines der besten Alben dieses Jahres.

Darauf zu hören: ein kickender Patchwork-Sound. Wie der Soundtrack zu neuen Folgen der Zeichentrickserie Dr. Snuggles. Eine Mischung aus Psychedelic Rock, stupendem Groove, Disco, Funk und verstiegenem Gesang (ganz ehrlich: Man darf vermuten, dass sogar Prince auf einiges davon ein bisschen stolz wäre). Mit einem Klangbild, das tatsächlich irgendwie den Zusatz «Orchestra» rechtfertigt, obwohl da in Tat und Wahrheit nur einer Nacht für Nacht im Kellerstudio seines Einfamilienhauses in Portland sitzt und aus seinen Abenteuern schamlos Songs bastelt. Mal für den Hörer klar erkennbar wie im Titelstück oder in «Can’t Keep Checking My Phone», mal eher versteckt. Aber, wie eingangs und im Titelstück gelernt: «It’s not that this song’s about her / All songs are about her».

«Laura» hat er sie im Interview mit dem meinungsbildenden amerikanischen Onlineportal Pitchfork genannt und den Journalisten kurzerhand an die heimische Tafel eingeladen. Dorthin, wo Laura auch bis vor kurzem noch sass und mitgegessen hat. Aber der Reihe nach: Es war im Jahr 2013, in Tokio, an einem Off-Day der langen Tour zum zweiten Album ‹II›. Neilson streunt durch die Stadt und wurde in eine Bar gespült. Er hat Augenkontakt mit einer jungen Dame am anderen Ende des Raumes. Man spürt sofort eine Verbindung, tauscht E-Mail-Adressen aus. Sie ist jung, gerade mal 18.

Wenig später kommt sie an sein Konzert in Melbourne. Ihre weibliche Begleitung stellt sie als ihre Partnerin vor. Neilson ist erleichtert: Die Beziehung bedeutet also keine Bedrohung für seine Ehe. Zurück in den USA beginnen sich die beiden zu schreiben, tauschen sich immer intensiver aus. Er erzählt seiner Frau von seiner Begegnung. Sie bittet ihn, ihr doch ein Bild von seiner neuen E-Mail-Freundin zu zeigen. Daraufhin bittet er sie um ein Selfie.

Angetan von dem Bild beginnt nun auch seine Frau Laura zu schreiben. Auch ihr Austausch intensiviert sich. Sie wechseln bald zu handschriftlichen Briefen. Briefen, die bald den Ton von Liebesbriefen haben. Neilson ist beunruhigt. Man sucht das klärende Gespräch – und kommt zur Lösung: Laura muss einziehen.

Und so geschieht es dann: Laura, die Künstlerin, zieht ein. Ins Einfamilienhaus, zu Ruban Neilson und seiner Frau, zu den beiden Kindern, drei und sechs Jahre alt. «Viele meiner Freunde kriegten glänzende Augen, als ich ihnen von unserer neuen Lebenssituation erzählte», sagte Neilson in besagter Story. «Die dachten sich: Wahnsinn, zwei tolle Frauen zur gleichen Zeit. Aber man erinnere sich mal an die beiden intensivsten Liebesbeziehungen seines Lebens. Und dann stelle man sich vor, sie gleichzeitig zu führen. So war das.»

Wie aus einem polyamourösen Erlebnis eines der besten Pop-Alben des Jahres wurde.

Das knappe Jahr zu dritt, das der Musiker in den Interviews zu seiner neuen Platte ansatzweise immer wieder beschrieben hat, muss aufregend und turbulent gewesen sein. Wenn er es singend beschreibt, wechselt er immer wieder den Tonfall, formt die Töne mal mit Effekten verfremdet und im Falsett schwebend, mal rauchig und fast wie Tom Waits. Erst sei es traumhaft schön gewesen, das Leben zu fünft. Die Kinder hätten die zweite Frau im Haus sofort ins Herz geschlossen. Irgendwann tauchten dann an allen Ecken kleine Eifersüchteleien auf. Jeder war eifersüchtig auf die exklusiven Erfahrungen der anderen beiden. Nach drei Monaten musste Laura aufgrund ihres Visums dann wieder abreisen. Beide – sowohl Neilson wie auch seine Frau – litten schwer darunter.

Als sie dann ein paar Monate später plötzlich wieder vor der Tür steht, beschliessen sie, ihrer gemeinsamen Lebensform einen offiziellen Charakter zu geben und ihr Umfeld miteinzubeziehen. Neilsons Schwiegermutter bricht darauf den Kontakt ab. Sie findet die ganze Geschichte nicht so groovy und sieht ihre Tochter als das Opfer. Andere, wie sein Bruder, akzeptieren die Fünferkiste sofort. Das turbulente Glück ist wieder nur von kurzer Dauer: Bald läuft auch das zweite Visum ab. Laura muss wieder ausreisen – und das Ehepaar schielt unabhängig voneinander auf ihre Smartphone Displays und wartet auf eine Liebesbotschaft. Multi-Love vereint und entzweit.

Wer sich das Cover des Albums besieht, blickt in ein düsteres Kellerstudio. Auf eine riesige Bandmaschine, auf ein paar Bürostühle, ein Mikrofon, einen Bass, einen Computer, eine Trommel. Es sieht eher wie eine Hobbyausrüstung aus. Sicher nicht wie ein professioneller Arbeitsraum oder ein teures Studio. Über allem hängt eine rosarote Lichtquelle. Eine Lampe in Form eines Donuts. Das Foto hat Laura gemacht. Seit sie den Artikel auf Pitchfork gelesen hat, hat sie den Kontakt abgebrochen. Der Herzschmerz – bereits in Songs wie «Can’t Keep Checking My Phone» in sanfter Form aufgearbeitet – könnte das nächste Album bestimmen. Wenn Ruban Neilson nicht wieder in ein neues Abenteuer schlittert.

Das Unknown Mortal Orchestra – live wird Neilson von drei Instrumentalisten begleitet – spielt am Freitag, dem 6. November in der Roten Fabrik. Das Album «Multi-Love» (Jagjaguwar) ist bereits erschienen.

Adrian Schräder ist freier Journalist und arbeitet regelmässig für die NZZ, Das Magazin oder das Bieler Tagblatt.

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