In ihrem Film «My Life My Life My Life in the Sunshine» geht die Künstlerin und Sozialanthropologin Noha Mokhtar der Frage nach, wie junge Menschen sich selbst und ihre Welt auf Instagram darstellen. Sie hat zehn Genfer*innen mit Migrationshintergrund zwischen 20 und 30 eingeladen, ihre Stories vor einer Kamera nachzuspielen. Durch den Wechsel vom Smartphone zur 16mm-Kamera werden
die Arten der Selbstdarstellung hinterfragt: Während die Spiegelfunktion des Telefondisplays es erlaubt, das «beste» Selfie auszuwählen, bietet das Objektiv der analogen Kamera eine solche Möglichkeit nicht.

Sechs von ihnen – Ayman (@aabd19), Bilel (@bemelki), Hang (@hangkellyy), Yasmine (@mokhtaryasmine), Moody (@moody.wara) und Mounira (@mouunira) – haben sich mit Noha (@nohawai) in real life zusammengesetzt, um mit ihr über das Making-of des Filmes zu diskutieren. Das Gespräch wurde von Cynthia (@cynkhatt) moderiert.

cynkhatt: Wie war das für euch, dass ihr euch beim Dreh mit Noha nicht selber sehen konntet? Und was hat das mit euch gemacht, als ihr das Ergebnis gesehen habt?

hangkellyy: Mir war es ein bisschen peinlich.

mouunira: Ich hatte eigentlich erwartet, dass es noch peinlicher wäre.

aabd19: Ich persönlich habe mich vor der Kamera ziemlich wohl gefühlt. Aber es hat mich frustriert, dass ich das Ergebnis nicht sehen und nochmal von vorne anfangen konnte, wenn es mir nicht gefiel. Ich hatte Angst, mit dem Ergebnis nicht zufrieden zu sein. Aber im Endeffekt war es in Ordnung. Bei Instagram, da filmt man sich einfach, man denkt nicht, dass man sich nachher selbst ansieht.

moody.wara: Ich mag mich nicht, ich hasse es, mich zu sehen. Wenn ich irgendwo auftauche, schaue ich es mir nie an.

hangkellyy: Wenn jemand eine Story von dir macht und dich taggt, repostest du das dann nicht?

moody.wara: Selten… Kann sein, dass ich es reposte, aber danach schaue ich es mir nicht mehr an.

bemelki: Warum nicht?

moody.wara: Ich mag es nicht.

bemelki: He?

moody.wara: Ich mag mich nicht, ich mag mich nicht vor der Kamera.

aabd19: Aber kann sich das noch ändern oder nicht?

moody.wara: Ich weiss es nicht. Es ist kein Problem für mich, ich bin einfach so!

hangkellyy: Du postest also nur für die anderen?

moody.wara: Im Prinzip ja. Wenn ich eine Story poste, ist es mehr für die anderen als für mich. Was mich nicht hindert, total Spass zu haben.

hangkellyy: Du siehst dir also deine Stories nicht mehr an, und die Kommentare der Leute auch nicht?

nohawai: Witzig, ich schaue mir meine Stories oft an!

hangkellyy: Ich auch, die ganze Zeit!

aabd19: Ich schaue, wer sie angesehen hat. Aber ich schaue mir meine Videos nicht noch einmal an.

cynkhatt: Wenn ihr eine Story postet, ist es dann für die Freunde und die Familie, oder habt ihr öffentliche Accounts? Und wenn sie öffentlich sind, hofft ihr dann, dass sie von Leuten angesehen werden, die ihr nicht kennt?

moody.wara: Ich habe 100 Abonnenten, vielleicht 150. Mein Account ist privat.

aabd19: Ich habe ein öffentliches Profil. Ich weiss nicht, ob ihr wisst, wer Van der Weil ist, ein Fussballspieler… Er und seine Frau folgten eine Zeitlang meinen Stories. Also lasse ich es so, um zu sehen, ob es, keine Ahnung, andere berühmte Leute erreichen kann.
nohawai: Und was erhoffst du dir davon?

aabd19: Ganz ehrlich, ich erwarte mir nicht wirklich etwas davon. Ich habe kein Ziel. Ich mach das einfach so, für mein Ego sozusagen.

bemelki: An sich stimmt es schon, eigentlich dienen die Netzwerke, wenn man sie nicht als professionelle Tools benutzt, eher dazu, seinem Ego zu schmeicheln. Ich habe den Eindruck, dass man sich auf diesen Netzwerken oft ohne konkretes oder sinnvolles Ziel herumtreibt.

moody.wara: Seinem Ego schmeicheln. Eigentlich sprichst du von Narzissmus.
Aber, was das betrifft, der Begriff von Narzissmus hat sich im Laufe der Zeit ziemlich weiterentwickelt. Du zum Beispiel, was du postest, für mich ist das nicht narzisstisch. Aber wenn ich das vor zehn Jahren gesehen hätte, hätte ich mir gesagt: «Scheiße, dieser Typ ist voll narzisstisch».

nohawai: Was ist der Unterschied?

hangkellyy: Es ist normal geworden, sich selbst zu fotografieren.

bemelki: Ich glaube, es ist völlig alltäglich geworden.

aabd19: Ich teile gern Selfies. Im Eingang meines Wohngebäudes gibt es ein schönes Licht, und da ich Glück habe, schöne Augen habe, bringe ich sie zur Geltung. Ich nutze es aus. Und ich zeige auch gern meine Haare, vor allem, wenn ich direkt vom Coiffeur komme und frisch gestylt bin. Aber wenn ich meinen Instagram-Account meinem Bruder zeige, der ein Jahr älter ist als Bilel, bekomme ich zu hören: «Du bist voll selbstverliebt!»

nohawai: Aber genau das denke ich auch von euch allen, hm!

aabd19: Das ist unsere Generation, wir sind so aufgewachsen. Aber in Wahrheit täuscht das, es gibt jede Menge Leute, die alles Mögliche in den Netzwerken posten, man denkt, sie seien narzisstisch, aber eigentlich haben sie null Selbstvertrauen.

bemelki: Oft brauchen die Leute auch Anerkennung, wenn sie diese Sachen posten, um Vertrauen in sich selbst zu bekommen.

nohawai: So wie du zum Beispiel?

bemelki: Die Wahrheit ist, ich bin nicht von der Meinung anderer abhängig. Ich gehe nicht hin und schaue, wer sich meine Stories angesehen hat; ich poste nur, weil ich es mag, schöne Fotos zu machen, auch schöne Fotos von mir, aber wirklich nur so, ohne jede Erwartung, nichts. Ich mach das einfach. Aber manchmal habe ich das Gefühl, meine Zeit mit Nichtstun zu verbringen. Verstehst du, was ich meine?

hangkellyy: Aber warum dann der Content? Warum machst du nicht einfach ein Pinterest für dich selbst?
bemelki: Stimmt schon. Ich hab mir auch schon überlegt, meinen Account zu schliessen. Aber ja, du hast Recht, indirekt ist es für die anderen.

hangkellyy: Das heisst nicht, dass du von anderen Bestätigung erwartest. Aber wenn du einen Instagram-Account hast und dort Inhalte postest, präsentierst du dich.

bemelki: Wer das abstreitet, lügt. Aber gut, ich habe keine Erwartungen und brauche auch keine Bestätigung von den anderen.

nohawai: Aber postet ihr denn alle Selfies?

bemelki: Ja, klar.

aabd19: Ja, schon recht oft.
hangkellyy: Das kommt auch darauf an, was für ein Selfie du machst.

mouunira: Ja! Ich muss wirklich überzeugt sein von dem Bild, bevor ich es einstelle, ich muss mir wirklich Zeit nehmen, es muss sich richtig anfühlen.

nohawai: Wenn ich die Selfies sehe, die Mounira postet, wundere ich mich manchmal, weil ich sie auf diesen Bildern gar nicht wiedererkenne. Ich sage mir: «Das da ist nicht mehr wirklich meine kleine Schwester».
moody.wara: Aber wer ist denn Mounira letztendlich? Wer ist das «wahre» Du? Ist es, wenn du am Morgen aufstehst und ungekämmt bist, oder nachdem du geduscht hast, oder nachdem du dich eingecremt und geschminkt hast, oder wenn du in einem schönen Licht bist? Nur weil du dich auf Instagram durch Filter verschönerst und nicht so wie im echten Leben aussiehst, heisst das nicht unbedingt, dass es ein Fake ist.

bemelki: Schönheitsstandards gab es schon immer. Und wir fühlen uns alle von Sachen angezogen, die wir schön finden.

aabd19: Und sauber vor allem.

bemelki: Darum will man das, was man schön findet, wiedergeben.

nohawai: Bilel, wenn du sagst, es sei dir egal, was die Leute auf Insta über dich denken, glaube ich dir nicht ganz.

bemelki: Negative Meinungen der Leute interessieren mich nicht. Es trifft mich nicht, wenn man mir sagt, ein Foto sei scheisse. Ich habe genug Selbstvertrauen. So ist das gemeint. Aber wenn man mich likt, freue ich mich natürlich.
nohawai: Aber gibt man einander wirklich negative Kommentare auf Insta? Ich habe das Gefühl, es sind eher solche wie: «Du siehst so toll aus!» Und darauf die Antwort: «Danke, und du erst!»

mokhtaryasmine: Nein, die Leute sagen es nicht, wenn es negativ ist.

cynkhatt: Aber du, Noha, du bist doch auch auf Insta. Du stellst vielleicht keine Selfies ein, aber du postest auch. Was ist denn der Unterschied?

mokhtaryasmine: Ich persönlich verstehe nicht, was du einstellst. Du fragst dich vielleicht, warum man Selfies postet, auf denen man sich schön findet – ich hingegen verstehe nicht, warum du Fotos von Schuhen in einem Tram postest.

nohawai: Haha! Du sprichst von dem Bild, das ich heute auf dem Weg nach Genf zu unserem Gespräch geteilt habe. Für die, die es nicht gesehen haben: Ich habe die Spitze eines High Heels aufgenommen, die hinter der Glastür des Abteils hervorschaute, in dem ich sass. Man sah die Person nicht, nur diesen Fuß, allein. Ich fand, dieses Bild hat gleichzeitig etwas Lustiges und etwas Geheimnisvolles.

mokhtaryasmine: Oder du postest Fotos von Füssen irgendwelcher Leute, die dieselben Schuhe tragen…

nohawai: Das stimmt. Vielleicht liegt eine Art Kritik in diesen Bildern von Leuten, die gleich gekleidet sind. Paare, zwei Freundinnen oder sogar Leute, die sich nicht kennen, aber nebeneinander im Tram sitzen. Die Leute konsumieren dieselben Produkte, tragen dieselben Sneakers.

cynkhatt: Was denkt ihr, wenn ihr Nohas Profil seht?

mouunira: Ich denke: «Künstlerin».

aabd19: Ja, genau. Es ist abstrakt, es ist nicht etwas, das ich verstehe, aber ich kann mir vorstellen, dass es manchen Leuten gefällt.

hangkellyy: Du hast deine Welt, du postest, worauf du Lust hast. Ich sage mir: Für dich hat es einen Sinn. Aber wenn du umgekehrt meinen Account ansiehst, dann frage ich mich, ob du mich beurteilst.

mokhtaryasmine: Aber würdest du dich getrauen, ein Selfie zu posten, auf dem du einfach nur schön bist, ohne diese ironische Seite, von der du sprichst ?

nohawai: Hm… Ich glaube nicht.

cynkhatt: Man postet Sachen, die in der eigenen Community akzeptiert werden – ihr verzichtet darauf, Sachen wie Noha zu posten. Abgesehen von der Ästhetik macht ihr das, weil ihr zu einer Gruppe gehören wollt. Es geht um die Zugehörigkeit.

nohawai: Neben dem Selfie ist da noch der Lifestyle-Aspekt, den ich faszinierend finde und den ich im Film aufgreifen wollte. Ihr fotografiert euren Alltag, eine Crêpe-Party, einen Brunch, einen Aperitif am Ende des Tages. Aber es gibt Dinge, die wir nicht fotografieren, unsere Toiletten zum Beispiel.

aabd19: Na klar, man fotografiert, was schön ist, was einem gefällt.

nohawai: Aber ist es wirklich nur eine Frage der Ästhetik? Müssen die Bilder, die man postet, immer schön sein?

moody.wara: Ich glaube, es ist nicht ganz richtig zu sagen, dass man postet, was man mag. Es gibt auch Kriterien, die man erfüllen muss. Wenn Yasmine zu Noha sagt, dass sie ihre Postings nicht versteht, dann eben darum, weil sie nicht den Kriterien ihrer eigenen Insta-Welt entsprechen. Ich zum Beispiel poste normalerweise lustige Momente mit meinen Freund*innen im Restaurant. Aber die lustigsten Momente erlebe ich mit ihnen am Morgen danach, nach dem Aufwachen, wenn ich schrecklich aussehe. Sowas würde ich nie posten, weil es nicht den Schönheits- und Hygienekriterien von Instagram entspricht. Wenn wir also sagen, wir posten, was wir mögen, dann ist das heuchlerisch. Wer gegenüber diesen Kriterien am freiesten ist, ist Noha, weil sie sogar Fotos von Schuhen in einem Tram postet, was niemand tut. Sie kümmert sich einen Dreck um die Kriterien. Während wir unbewusst Kriterien haben, die fest in uns verankert sind – und wenn etwas nach den Gesetzen von Instagram nicht schön ist, dann posten wir es nicht.

nohawai: Nach den «Gesetzen» von «deinem» Instagram. Denn umgekehrt, wenn ich ein Foto mit einem Filter für glatte Haut und lange Wimpern von mir poste, dann werden das die Leute, die meinen Feed sehen, sofort ironisch auslegen.

moody.wara: Aber es gibt auf Instagram Trends, die die meisten befolgen. Mounira,
Bilel und Hang entsprechen diesen Trends. Du Noha, bist selbst wenn du ganz die Erwartungen deiner Community erfüllst, doch eine Aussenseiterin in Bezug auf die Instagram-Normen.

cynkhatt: Vielleicht ist das wie bei diesen Mikrowelten, die ihre eigenen ästhetischen Normen haben. Ich frage mich, ob ihr euch für eine Story von anderen Stories inspirieren lässt, die ihr auf Insta seht, oder ob ihr versucht, etwas zu machen, das sich davon abhebt?

mouunira: Es sind die anderen, die sich durch uns inspirieren!

bemelki: Ja, genau!

moody.wara: Cynthia, du hast etwas Interessantes gesagt: Dass man trotz allem Normen hat. Eine Zeitlang war zum Beispiel der Boomerang in, jeder machte einen Boomerang. Wenn du heute einen Boomerang machst, mal ganz ehrlich, wenn er nicht wirklich gut gemacht, ist das erbärmlich.

aabd19: Ich finde, ein wenig anders zu sein, ist heute die Norm geworden.

cynkhatt: Was ich verrückt finde an Insta: Es ist das einzige soziale Netzwerk, scheint mir, das wirklich demokratisch ist. Auf Facebook zum Beispiel kommt kein Star vorbei, um sich dein Profil anzusehen. Insta gibt dir den Eindruck, dass alle auf gleicher Ebene sind.

aabd19: Aber abgesehen davon, Van der Weil ist mir zum Beispiel gefolgt, aber es kommt mir vor, als wären es vor allem Roboter, die nach potentiellen Profilen suchen.

hangkellyy: Ja, das stimmt. Van der Weil hat bestimmt Community Manager, die für ihn arbeiten und sich Profile ansehen, die ihm folgen könnten. Siehst du, du zum Beispiel, vielleicht bist du ihm vorher noch nicht gefolgt. Und dann fühlst du dich geschmeichelt, sagst dir: Scheisse, da ist ein Fussballer, der mir folgt, ich werde ihm auch folgen. Und schon hat er einen Follower gewonnen, verstehst du?

mokhtaryasmine: Apropos, wenn die Leute euch folgen, fühlt ihr euch dann verpflichtet, ihnen auch zu folgen?

hangkellyy: Nie.

aabd19: Ich fühle mich verpflichtet, wenn ich die Person kenne. Wenn ich der Person nachher über den Weg laufen würde, käme ich mir schlecht vor.

moody.wara: Das ist wie mit den Leuten, die einen fragen: «Warum hast du mich entfollowt?» Das nervt.

nohawai: Kann man wissen, wenn man von jemandem entfolgt wird?

aabd19: Es gibt Apps dafür.

nohawai: Ach nein! Und damit siehst du, wer dir nicht mehr folgt?
aabd19: Ja. Aber ich gehe vom Prinzip aus: Wenn jemand, der dich kennt, dir nicht mehr folgt, dann heisst das, dass er auf Star macht.

mouunira: Aber das ist doch nicht auf Star machen, wenn du jemanden entfolgst!

aabd19: Wenn du mir entfolgen willst, dann melde mich auch bei mir ab. Verstehst du? Sperre mein Abo.

cynkhatt: Aber dieser Fussballer, der dir zu folgen anfing, er ist selbst auch an seinem Telefon, auch wenn er einen Community Manager hat.

bemelki: Jeder ist erreichbar, jeder ist auf demselben Niveau.

mouunira: Instagram ist auch superleicht zu verwalten. Ich denke, dass hinter den Seiten der Stars wirklich sie selber stehen und sich darum kümmern. Ich habe einmal einen Post auf einer grossen Seite gesehen, die amerikanische News verbreitet, da sagte jemand: «Ach, das ist ja so langweilig, diese Stars sind viel zu erreichbar geworden». Im Grunde stimmt das, es gibt jede Menge Stars, die ihren Alltag posten und sich untereinander kommentieren. Die Idee, Fan von jemandem zu sein, ist ein bisschen überholt. Ich war zum Beispiel grosser Fan von Beyoncé, als ich klein war. Jetzt bringt das nicht mehr viel. Sie ist in gewissem Sinn zu erreichbar geworden.

cynkhatt: Aber ist es so, dass sie gewöhnlich geworden sind, oder eher so, dass alle zu Stars geworden sind? Wenn man sieht, wie sich alle in Szene setzen, die Ästhetik und die Akribie, die aufs eigene Image verwendet werden, dann ist ein wenig so, als wären alle Stars geworden.

mouunira: Ich denke, das gilt für beide Richtungen. Wenn ein superberühmtes Mädchen zum Beispiel den Account von Hang promotet, kann sie über Nacht berühmt werden, ohne etwas dafür zu tun. Es kann also schnell gehen, in beide Richtungen.

hangkellyy: Aber in einer Welt, die nicht existiert! Nimm mal Beyoncé zum Beispiel: Sie ist ein Star, sie lebt in einer Welt, die in Wahrheit für uns nicht zugänglich ist, aber auf Insta schon, in diesem Sinn meine ich, sie ist nicht real.

moody.wara: Es ist mega richtig, was sie sagt. Alle machen sich zum Star. Das typische Profil ist das einer Person, die Stories von ihren Ferien einstellt, in schönen Restaurants, nur gehypte Sachen. Das gibt ein Gefühl, dass diese Person unerreichbar ist. Angenommen, da ist ein Mädchen, dem ich schreiben will, das ich im Ferienmodus sehe. Da sage ich mir: Sie wird mich nicht beachten. Dabei ist sie ein Mädchen aus Genf, ich sehe sie auf der Strasse und denke: Scheisse, das ist ja sie. Mit den Männern ist es dasselbe. Ich habe mehrere Freunde, die leben zu sehr in der Matrix, die gehen total darauf ab. Wenn du dir deren Insta-Seite anschaust… Die sind viel zu gestylt, tragen nur Dior, einen Louis-Vuitton-Bag – und dabei arbeiten sie mit mir im Kino, sie verkaufen Popcorn! Ich habe einen Kumpel, ich schwöre dir, wir wollten mal auf eine Party, er wollte nicht mit mir das Tram nehmen. Er sagte: «Bro, ich kann kein Tram nehmen, ich nehme ein Uber». Dabei ging es nur von Servette zum Bahnhof. Ich schwör bei meiner Mutter, er hat ein Uber genommen.

cynkhatt: Aber warum denn?

moody.wara: Weil in seinen Stories, da gibt’s nur Louis Vuitton. Er spielt eine Rolle.

hangkellyy: Darum ist es eine Welt, die nicht existiert.

cynkhatt: Ja, aber ich habe das Gefühl, dass Insta für die Leute eurer Generation eine zusätzliche Sprache ist, die fast obligatorisch geworden ist.

hangkellyy: Ja, es ist ein soziales Instrument. Es ist wichtig, was für ein Bild wir in der Gesellschaft von uns geben.
moody.wara: Darum kann man die beiden Welten nicht wirklich voneinander trennen. Es gibt Schein und Sein, aber das geht inzwischen so weit, dass ich etwas werde, weil ich etwas scheine. So wie mein Kumpel: Er hat dieses Bild von sich produziert, also ist er dieses Bild geworden.

nohawai: Aber dein Freund, der ein Uber genommen hat statt das Tram, hat er
eine Arbeit?

moody.wara: Aber das ist es ja gerade: Er ist Beamter, er jobbt in einem Büro. Dort sieht ihn keiner, er arbeitet nur mit 35jährigen Oldies. Er selbst ist jung, so alt wie ich. Also mit Leuten, die nicht auf Instagram sind. Wenn er bei der Arbeit ist, schiebt er dieses Ding, aber wenn er Party macht, muss es der grosse VIP-Tisch sein, Privatpartys und all das, er wird nie relaxte Dinge tun wie wir.

mokhtaryasmine: Wärt ihr fähig, Instagram zu löschen?

bemelki: Ich denke schon.

aabd19: Ich könnte, aber ich habe keine Lust dazu.

mouunira: Als es diese Störung gab, habe ich gehofft, es würde bei allen alles gelöscht. Ich bin jeden Morgen, noch bevor ich mir bewusst bin, dass ich wach bin, schon auf Instagram. Danach erinnere ich mich an nichts, das ich gesehen habe. Das ärgert mich mehr und mehr, weil ich mir sage, ich vergeude meine Zeit. Fünf Minuten Lebenszeit, die völlig an mir vorbeigegangen sind.

moody.wara: Aber nicht Insta ist schädlich für dich, sondern dass du so denkst.
Dass du jede Minute als verloren ansiehst, das ist in Wahrheit gefährlich für dich.

bemelki: Man kann nicht alles kontrollieren, so ist das Leben nun mal. Ich sage mir auch manchmal, ich habe zu viel Zeit auf Insta oder YouTube verbracht und mir Sachen angesehen, aber im Endeffekt habe ich es getan, weil ich das brauchte.

moody.wara: Was Bilel eben gesagt hat, heisst für mich, dass er die Kontrolle hat. Zu akzeptieren, dass du nicht die Kontrolle hast, ist an sich schon eine Form von Kontrolle.

cynkhatt: Es gibt immer jemanden, der die Kontrolle hat, die Fäden zieht. Vor einiger Zeit war zu lesen, dass die Leute, die Facebook oder Insta gegründet haben, selbst ihre Smartphones, soziale Netzwerke etc. nur zurückhaltend nutzen. Was du sagst, heisst doch: «Ich habe keine Kontrolle, sie haben sie über mich, aber das ist okay so.»

bemelki: Also ich sehe das überhaupt nicht so. Ich gehe vom Prinzip aus, und das ist meine Lebensphilosophie, dass du deinen Weg gehen musst. Es gibt all diese Dinge, die du im Leben tun musst, aber im Endeffekt ist es so: Die Dinge geschehen, weil sie geschehen müssen. Eine absolute Kontrolle ist nicht möglich. Gut, ich kann mir eine Disziplin auferlegen, aber wenn ich mich auf Instagram verzettle, werde ich nie sagen, das ist die Schuld der Instagram-Leute. Ich sage mir nur, dass ich in diesem Moment halt so drauf war und es nötig hatte, meine Zeit dort zu verbringen. Man will sich nur ein gutes Gewissen verschaffen, wenn man sagt, das alles sei dafür gemacht, uns dumm zu machen. Das sind Ausreden.

cynkhatt: Nicht dumm, aber es zwingt uns zum Konsum!

bemelki: Das meine ich, man erfindet Ausreden, statt sich zu sagen: Eigentlich sind wir diejenigen, die keine Kontrolle haben. Verstehst du?

cynkhatt: Es ist bewiesen worden. Die Abhängigkeit von Social Medias.

moody.wara: Man muss akzeptieren, dass man in der Matrix lebt.

bemelki: Das Geheimnis ist die Akzeptanz.

cynkhatt: Das ist ja schrecklich, was ihr da sagt!

hangkellyy: Sich bewusst sein, was für ein Spiel du spielst. Ich akzeptiere die Regeln, aber ich entscheide, wann ich spiele, verstehst du?

cynkhatt: Ich fürchte, dass wir zum Konsum programmiert und so lobomotisiert werden, dass wir keine Energie mehr haben. Wie du gesagt hast: Dass wir die Arme sinken lassen und uns sagen, die Welt ist eben so, man muss sich damit abfinden. Dabei gibt es so vieles auf der Welt, das nicht in Ordnung ist. Ich fürchte, dass wir uns zunehmend damit zufriedengeben, ein schwarzes Quadrat für Black Lives Matter zu posten,
und das war’s.

nohawai: Das fehlt im Film: Die politische Frage. Wie kann Instagram als Medium genutzt werden, um politische Botschaften unter die Menschen zu bringen oder ein Mittel zum Aktivismus zu werden? Die Palästina-Flagge einzustellen, ist das politisch oder gehört das zum Lifestyle?

aabd19: Das ist politisch!

moody.wara: Es ist beides. Schau mal, BLM hat in Genf einen Monat gedauert.

aabd19: Die vielen Leute, die nur auf die Demos gegangen sind, um Fotos für Instagram zu machen, das war absurd. Ganz viele kamen mit ihren Plakaten, machten ein Foto oder ein Video von sich und verschwanden wieder.

mouunira: Als alle angefangen haben, schwarze Quadrate zu posten und mit Hashtags ihre Unterstützung für Black Lives Matter zu bekunden, habe ich lange gezögert, es auch zu tun. Aber irgendwann war mein ganzes Umfeld in diesem Modus und ich habe mir gesagt: Wenn ich nicht mitmache, sieht es aus, als würde ich nicht daran glauben, die Sache nicht unterstützen. Also habe ich das schwarze Quadrat gepostet, das hat mein Gewissen ein bisschen beruhigt.

bemelki: Aber du könntest es auch anders sehen und dir sagen, dass Instagram es gerade erlaubt, diese Sichtbarkeit in der Welt durchzusetzen? Es eher als Druckmittel ansehen und nicht als ein Trend, dem alle dumm hinterherrennen.

mouunira: Ja, aber wenn du ein braunes Pantone postest, wird das für den Planeten auch nichts ändern.

aabd19: Das ändert nichts, aber wenn es alle tun, kommen die Dinge in Bewegung.

moody.wara: Das ist eine Behauptung. Du kannst es immer auf zwei Arten sehen.
Ich weiss nicht, ob ihr euch erinnert, aber Nusret hat damals ein mittelmässiges Foto gepostet, das er auf der Strasse von einem Schwarzen gemacht hat. Klar kann man
da sagen, das sei opportunistisch. Andererseits, als alle Blau posteten, hat das auf Zara, Adidas und die anderen Marken Druck ausgeübt und sie mussten etwas gegen die Ausbeutung der Uiguren in China unternehmen.

mouunira: Ich war deprimiert bei der Vorstellung, dass ein schwarzes und ein blaues Quadrat zu posten, alles ist, was ich tun konnte. Es reicht nicht, ein Bild für BLM auf Instagram zu posten, es gibt viele andere Möglichkeiten, den Rassismus anzuprangern.

aabd19: Aber was willst du denn auf unserem Niveau mehr tun ?

mouunira: Ich sage nicht, dass Insta keinen Einfluss hat. Aber in diesem Moment fühlte ich mich schlecht, weil ich es tat, um mein Gewissen zu beruhigen.

bemelki: Aber wenn wie du alle sagen, das Posten bringe nichts, gibt es im Endeffekt keine Sichtbarkeit. Verstehst du?
nohawai: Könnt ihr mir zum Schluss euren Lieblingspost beschreiben, oder die Story, auf die ihr am meisten stolz seid?

hangkellyy: Das ist eine Reihe von Selfies im Lift. Ich halte mir das Telefon vors Gesicht und in der anderen Hand habe ich einen Blumenstrauss. Ich mache das ganze Jahr immer wieder dasselbe Foto, speichere es in meiner Galerie, bevor ich sie dann alle gleichzeitig im Oktober, November einstelle. Eine Bildserie von mir mit Blumen.

aabd19: Das ist ein Foto von mir, als ich lange Haare hatte, gefolgt von einem Foto meines Quartiers. Eine Mischung aus meinem Quartier, Châtelaine, das ich sehr mag, und von meinen Haaren, die ich auch sehr mag. Es ist Nachmittag und das Licht im Eingang meines Wohngebäudes hebt meine Augen hervor. Sie sind grün-grau-blau. Meine Haare glänzen, ich finde mich schön. Ich halte das Telefon auf Schulterhöhe. Ich mache zuerst ein Selfie, und danach drehe ich mich mit der Kamera, ohne die Hand zu bewegen, und mache ein Foto von den Gebäuden gegenüber, mit dem Himmel.

mokhtaryasmine: Meine Lieblingsstories sind die mit meinem Hund Blacky.

Übersetzung: Lis Künzli

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