Ein rappender Sufi mit der Seele eines Killers? Gonjasufi kreiert in der Wüste psychedelischen Hip Hop. Dabei arbeitet er einerseits mit Grössen wie Flying Lotus und The Cure aber auch mit Ausserirdischen zusammen. Eine Vorbereitung auf sein Konzert in der Roten Fabrik.

Gonjasufi alias Sumach Ecks alias Sumach Valentine alias Randy Johnson sitzt in T-Shirt und Basecap vor einem Bücherregal und erklärt, was für ihn «psychedelic» bedeutet. Leider nuschelt er so in seinen Sufirauschebart, dass nur einzelne Brocken zu verstehen sind. Es geht auf jeden Fall um frühere und zukünftige Leben, Karma und Zeitreisen. Die psychedelisch-Definition von Craig Thomas und John-Paul Pryor, den Journalisten, die jenes Interview produziert haben, ist leider eher konservativ und wenig originell: Jede Einstellung hat einen neuen Farbfilter und dazwischen Spiegeleffekte. Gonjasufis Stil wird gemeinhin als psychedelic-mystic-spiritual-scary-folkie-goth-industrial-noisy-new-wavy beschrieben. Insofern wäre eine Einordnung seinerseits schon interessant. Wenn nur der Bart und die schleppende Artikulation nicht wären.

An anderer Stelle aber betont er allgemeinverständlich, dass er die Inspiration für seine Musik aus früheren Leben zieht und sich als Vermittler zwischen der Erde und außerirdischen Lebensformen sieht, was ausgezeichnet zu seinem Image als Wüstensufi passt. Als Sohn einer mexikanischen Mutter und eines US-amerikanisch-äthiopischen Vaters 1978 in San Diego geboren und aufgewachsen, führte ihn sein mystischer Weg in den 1990ern zuerst zum Lo-Fi-psychedelic-Hip-Hop. 2006, als er sich vom Strandleben in die Wüste zurück gezogen hatte, um in Las Vegas Yoga zu unterrichten, lernte er auf einem Los-Angeles-Trip die experimentellen Underground-Hip-Hopper Flying Lotus und Gaslamp Killer kennen und bat sie, seine Songs zu produzieren. Auf dem Track «Testament» des Flying-Lotus-Albums ‹Los Angeles› war Gonjasufis kratzig wispernde Stimme zum ersten Mal so prominent zu hören, dass Warp Records auf ihn aufmerksam wurden und ihn unter Vertrag nahmen. Wenn auch Gonjasufis Musik von manchen Hörern als «scary» und «disturbing» beschrieben wird, so sind das die Youtubekommentare noch mehr. Unter dem Clip zu «Testament» wird seine Stimme wiederholt einem unschmeichelhaften Vergleich unterzogen: «This guy sounds like Herbert (the old perverted guy from Family Guy)lol». Ein anderer User fühlt sich an die Stimme seiner Großmutter erinnert.

Trotz respektlosen Vergleichen mit pädophilen Zeichentrickfiguren führte diese Zusammenarbeit zu dem bejubelten ersten Soloalbum ‹A Sufi and a Killer›, was Gonjasufi autobiographisch verstanden wissen will: Er trage zwei Seelen in seiner Brust, die des Sufis und die des Killers, Ying und Yang, sie bedingten sich gegenseitig und bräuchten sich, um ihren Träger in Balance zu halten. Wie bei jedem Menschen, sagt er.

Mit Sufi ist hier natürlich nicht der Superfinger – eine Kombination aus erhobenen Mittel- und Ringfinger, einem verbesserten Stinkefinger, der auf den Komiker Dane Cook zurück geht und zumindest in den USA weltberühmt geworden ist – gemeint, sondern der Sufismus, das mystische Herz des Islam. Ein echter Sufi lebt asketisch und spirituell und die Liebe zu Gott steht im Mittelpunkt seines Lebens. Etymologische Schöpfungsgeschichten gibt es viele; die verbreitetsten sind «ṣūf» für Schurwolle, aus der die Gewänder der Sufis bestanden, und «ṣafā», was «rein sein» bedeutet. Meint: rein von Unwissen, Egoismus, Fanatismus, Dogmatismus, sozialen und politischen Klassen, Rassen und Nationen. Gonjasufi kann sich vermutlich mehr mit «ṣafā» als mit «ṣūf» identifizieren. Wobei das Wort Sufismus ein deutscher Neologismus ist, der 1821 geprägt wurde. Die wahren Sufis würden sich, analog zu den wahren Hipstern, die sich nie selbst Hipster nennen, nicht Sufi sondern Meister, Schüler, Suchende, Reisende oder Menschen der Wahrheit nennen. Und die typischen Sufiinstrumente Rahmentrommel und Rohrflöte sind in Gonjasufis Musik auch nicht dominant vertreten. Da er aber als Yogalehrer in der Wüste lebt, in Kontakt mit Außerirdischen steht und ein verbürgtes Zitat von ihm der schöne Satz «The heart always gives, the mind always takes» ist, kommt er dem Ideal für Sufis in heutigen so ganz unsufischen Zeiten schon sehr nahe.

Weniger eindeutig ist da der erste Teil von Sumach Ecks selbst gewählten Namen. Gonja ist ein Volk in Ghana, dessen Siedlungsgebiet sich um die oberen Zuflüsse zum Volta-Stausee, vom Schwarzen Volta bis zum Weißen Volta erstreckt. Die Sprache der Gonjas heißt natürlich Gonja und wird von 230.000 Menschen gesprochen, nämlich den Gonjas.

Das Urban Dictonary hingegen übersetzt gonja mit «sweet sweet marijuana» und gibt dem Leser hilfreiche Beispielsätze wie «They found gonja in the pocket of the dead hippie after the Greatful Dead concert.» und «Hey Erica, let`s make some gonja brownies, Dogg!» an die Hand. Aus der Ferndiagnose heraus, kann sich Gonjasufi wohl am ehesten mit der letzteren Definition anfreunden.

Nun folgte Ende letzten Jahres nach dem 2012er Kurzalbum ‹Mu.zz.le› sein drittes Werk mit dem enigmatischen Titel ‹Callus›. Dies ist Latein und bedeutet harte Haut, Schwiele oder Verhärtung. In der Botanik bezeichnet es komplexe und ausdifferenzierte Pflanzenzellen und Schwielen oder Verhärtungen an Pflanzenorganen, und in der Medizin das neugebildete Knochengewebe an der Bruchstelle einer Fraktur. Es geht also um Schmerz. «That’s the callus. How can you not be in pain? It ain’t about getting past that shit. It’s about growing into it. I peeled through all layers to get the core. I channelled all the misunderstanding and misery and torment – that’s what it is, torment – into this.» Ist Gonjasufi also der Schmerzensmann des experimentellen psychedelic Rock?

Seine Lyrics handeln von Einsamkeit, unglücklichen Beziehungen und anderen Dilemmata, die er mit einer Stimme herauspresst, die zwischen qualvoll und lustig changiert. Das Ausstellen des Schmerzes erinnert an Joseph Beuys‘ Installation «zeige deine Wunde» aus Objekten wie Leichenbahren, Fieberthermometern, Reagenzgläsern und Werkzeugen, die er 1976 in einer Fußgängerunterführung in der Münchner Maximilianstraße präsentierte. Die Intention von Beuys war allerdings die Heilung. Er war überzeugt, nur eine Krankheit, die man offenlege, könne geheilt werden. Das Offenbaren der eigenen Schmerzen im künstlerischen Prozess hat auch der Beuys-Verehrer Christoph Schlingensief aufgenommen, dessen letzte Operninszenierungen vor seinem Krebstod 2010 von eben dieser Krankheit handelten. Gonjasufi ist zum Glück nicht todkrank, aber auch er sagt, er wolle nicht über den Schmerz hinweg kommen, ihn nicht verdrängen, sondern er habe alle Schichten des Schmerzes geschält, bis er dessen Kern frei gelegt habe. Dann hat er all diese Schichten samt Kern in ‹Callus› gepackt. Joseph Beuys hätte das gefallen.

Um diese CD zu produzieren, hat sich Gonjasufi vier Jahre in die Wüste nahe Las Vegas zurückgezogen. Unterstützung bekam er dabei von Ex-The Cure-Gitarrist Pearl Thompson, der auf vier von neunzehn Tracks zu hören ist. Gonjasufi und Thompson haben nicht nur die Liebe zur Musik, sondern auch die zur Wüste gemeinsam. Anfang 2016 zog sich auch Thompson in die Mojave Wüste zurück, um sich vor allem der Malerei zu widmen.

«Vinaigrette»: Riechfläschchen oder Salatsoße, ist der Titel des neuen Albums, dem die Ehre eines Musikvideos zuteil wurde. Dabei ist dieses Video sehr ungewöhnlich im Vergleich mit dem restlichen Werk. Keine psychedelischen Animationen, kein Rappen in die Kamera. Stattdessen eine Blondine, die über den Highway saust, schließlich in einem Motel absteigt und allein ins Bett geht. Und das alles in gestyltem schwarz-weiß. Der Clip wirkt wie eine Hommage an Hitchcocks «Psycho» (1960) und Lynchs «Lost Highway» (1997). Gonjasufi ist außer mit seiner Musik nicht weiter in den Credits vertreten und Regisseur Joe Nankin und Hauptdarstellerin Dasha Nekrassova sind bisher nur mit Kurzfilmen und Werbespots aufgefallen, oder eben nicht. Wahrscheinlich befinden sie sich noch in der Phase der Bewunderung und Nachahmung ihrer Idole und müssen sich künstlerisch erst frei schwimmen. Vielleicht wollte sich Gonjasufi mit diesem Musicvideo aber auch künstlerisch neu erfinden, so wie es Madonna mit jedem ihrer Songs tut.

Callus heißt übrigens auch Hornhaut auf Englisch. Die ersten Angebote, die Youtube einem bei dem Wort macht, sind Videos, in denen man lernt, Hornhaut von Füßen zu entfernen. Das zu sehen ist auch schmerzhaft.

Paul Riemann ist geboren in Berlin und hat Kultursachen in Utrecht, NL, und Hildesheim studiert. Er lebt als Autor, Undergroundschauspieler und bildender Künstler in Berlin.

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