Während High-Tech Hersteller versuchen, ihre Hochglanz-Produkte hermetisch zu verschliessen und gegen jegliche «unautorisierte» Modifikation und Reparatur zu versperren, kommt eine immer prominenter werdende Bewegung auf, die genau das Gegenteil anstrebt: «If you can’t open it, you don’t own it» ist die Devise von Open Hardware. Diese verspricht nicht nur hip zu sein, sondern vielmehr Technologie fundamental zu innovieren.

Nachdem im März 2011 ein Tsunami Japan verwüstete, wandte sich Hiro Tanaka vom Fablab Japan an seine Kollegen weltweit. Der Hilferuf galt Lösungen für provisorische Unterkünfte und provisorisches Wohnen: In seiner Email schrieb Tanaka, er suche Baupläne für LED-Lampen, Stromgeneratoren, Geschirr und Kleider. Weltweit machten sich Tüftler, Bastler, Designer und Entwickler daran, die gesuchten Informationen nach
Japan zu senden. Anstatt Hilfsgüter zu senden, reichte es,
die Baupläne in digitaler Form auf der Site des Projekts «Olive» zur Verfügung zu stellen. Die Japaner konnten die Dinge anhand der digitalen Pläne einfacher selbst fabrizieren, denn im Fablab Japan stehen dieselben
Maschinen, die alle Fablabs weltweit verwenden.
Prominenter Schweizer Beitrag war das «Mini Scope», ein Mikroskop, gebaut aus einer alten Webcam. Der
ursprüngliche Entwurf stammte aus den Zürcher Hackteria-Kreisen. Emika Märki, gelernte Biologie-Laborantin und Studentin in Luzern, entwickelte es weiter und ergänzte es mit einem Chart bekannter Mikroorga-
nismen, nämlich Indikatoren für verunreinigtes Wasser, die mit dem «Mini Scope» entdeckt werden können. Von Japan ging dieses Open Hardware Projekt seinen Weg weiter nach Kenya, von der EAWAG wurde es als mögliches Hilfsmittel für Entwicklungsländer aufgegriffen.

Open Hardware erscheint als neue Bewegung in einem Feld, das vor dreissig Jahren mit der Lancierung des
Betriebssystems GNU begann, einer Open Source Unix Alternative (GNU steht für GNU’s Not Unix). Der
Initiator Richard Stallmann formulierte damals die vier Freiheiten, warum «freie» Software jener mit Copyright und Patentrechten geschützten überlegen ist: Freie Verwendung, freies Untersuchen und Verändern, freies
Weiterverbreiten des Originals, freies Weiterverbreiten von abgeleiteten Versionen. Frei heisst dabei: Keine
Verpflichtung, den Urheber um Erlaubnis zu fragen.
Das Prinzip Open Source heisst dabei, dass der Quellcode bekannt sein muss, damit diese freie Nutzung überhaupt funktionieren kann. Bei der Übertragung auf
andere Gebiete – Daten, Lehrmittel, Hardware – ist «Quellcode» adäquat zu definieren, damit die freie Nutzung tatsächlich möglich ist; etwa die digitalen Baupläne des «Mini Scope».
Das Open Source Prinzip war für alle klassischen Softwarefirmen unbegreiflich: Sie hatten ihren Kunden die Software ohnehin nur zur Nutzung vermietet und dachten wohl zu keiner Zeit daran, den Quellcode öffentlich zugänglich zu machen. Microsoft zum Beispiel sah das Aufkommen von Open Source Software als «direkte und sofort wirksame Bedrohung für Gewinn und Marktführerschaft». Bei jeder Übertragung des Open Source Prinzips in neue Bereiche werden die bisherigen Business-Modelle in Frage gestellt, die auf Geheimhaltung oder rechtlichem Schutz der Quelle beruhen.
Das Freigeben der Quelle hat dabei nichts mit gratis Weitergeben zu tun – die vier Freiheiten enthalten
weder das Wort «gratis» noch «kostenlos». Open Source ist nicht mit Peer-to-peer-sharing zu verwechseln – auch wenn die beiden Prinzipien gemeinsam haben, dass sie ihre ökonomische Power wohl erst in Kombination
miteinander richtig entfalten.

Open Hardware ist die Übertragung des Open Source Prinzips in den Bereich von Hardware. Allerdings verbergen sich hinter dem Begriff Hardware so verschiedenartige Dinge wie Mikrochips, Designermöbel und Containerverladeterminals; eine einheitliche Definition von Open Hardware liegt noch in weiter Ferne. Umso präsenter sind dafür die verschiedensten Open Hardware-Initiativen, die sich auf ein bestimmtes Segment konzentrieren. Und die sind nicht alle erst Kinder des 21. Jahrhunderts: Die TAPR Community der Radio Amateure registrierte 1993 ihre Website als erste Open Hardware Site im Internet-Zeitalter. Das Open Source Hardware Project besteht seit 2002, seit 2009 gibt es das Open Hardware Repository des Cern.

Dabei ist es keine wirkliche Neuheit, dass Entwickler und Erfinder untereinander austauschen, was sie gerade Neues entdeckt haben. Industriehistoriker haben erforscht, wie vielerorts gerade der Austausch von Innovationen zu technischem Fortschritt geführt hat – Dampfmaschinenbauer in Cornwall, Stahlproduzenten in den USA, die frühen Entwickler von Mikrocomputern – und wie dieser Austausch regelmässig erstickt wurde, wenn einzelne «Unternehmer» ihre «Erfindungen» patentierten und diese Patente aggressiv durchsetzten. Dass gleichzeitig die Innovation ein abruptes Ende nahm, musste die Patentinhaber nicht mehr kümmern, denn sie hatten typischerweise durch Lizenz-
einnahmen ein gesundes Einkommen erreicht und hielten mit ihren Patenten die Konkurrenz davon ab, das Produkt weiter zu verbessern. James Watt ist wohl das meistbekannte Beispiel für diese Praxis.
Nicht nur historisch gesehen erscheint es rätselhaft,
warum gerade die Anzahl Patentanmeldungen als Mass für die Innovationskraft eines Landes verwendet wird. In Bereichen, wo Innovation sehr schnell geschieht, wie zum Beispiel bei der Verwendung von Stammzellen, ist das Patentsystem mit seinen langwierigen Prozeduren und monatelangen Wartefristen beinahe vollkommen uninteressant geworden: Was heute patentierbar ist, ist übermorgen von der Innovation überholt – doch das
Patent dafür gibt’s erst in achtzehn Monaten…

Weltweit gibt es eine Vielzahl von kommerziell erfolgreichen Open Hardware Projekten – allen voran die
vielen 3D-Drucker, die auf Basis des britischen Reprap entstanden: Der US-amerikanische Makerbot, der holländische Ultimaker, der deutsche Protos, der französische FoldaRap. Im Bereich Elektronik besteht mit dem in Italien entwickelten und hergestellten Arduino eine einfach zu lernende Mikrokontoller-Plattform, Adafruit Industries bieten unter der Leitung von «Ladyada»
(Limor Fried, eine US-amerikanische Elektrotechnik-Ingenieurin und Hackerin) Elektronik-Bausätze an, ebenso Spark Fun Electronics. Schätzungen gehen davon aus, dass Open Hardware Produkte bereits mehr als 50 Millionen Dollar Umsatz jährlich generieren und die Milliardengrenze in zwei bis drei Jahren überschreiten werden.

Um Innovation und nicht um Patentanmeldungen geht es in den verschiedenen Open Hardware Communities. Und deshalb ist deren Vielfalt auch kein Problem. Computerspezialisten treffen sich in den Hackerspaces. Die Mitstreiter von Innovation Ecology entwickeln ihr Global Village Construction Set. Die Mitglieder von Local Motors entwerfen ihre eigenen «street legal» Rennautos rund um einen hochgezüchteten BMW-Motor. In der Maker-Bewegung scharen sich Männer hinter die Wiederentdeckung der Schmiedekunst durch US-amerikanische Neureiche. Die Forscher am Cern machen ihre Elektronik öffentlich, zu der sie freien Zugang benötigen, um ihre Forschung zu machen. Fablabs ermöglichen uns Erste-Welt-Bewohnern, uns durch Technologie auszudrücken statt durch Töpfern, während sie im Rest der Welt Produktivressourcen demokratisieren.

Noch gilt es für ETH-Professoren als fein, DIY, das selbst Herstellen, als weltfremdes, luxuriöses Bedürfnis abzustempeln (Lino Guzzella: «Handwerk ist Luxus» in der Wire-Publikation «Machen ist Macht»). Wenn aber in der nächsten Krise die globale Supply Chain einbricht, der Nachschub stockt und reparieren nicht mehr geht, wird der Ruf erschallen nach mehr Selbstbestimmung, was unsere täglichen Dinge betrifft. Ohne Open Hardware als Prinzip und ohne entsprechende Praxis, zum Beispiel in Fablabs, sehen ETH-Professoren dann möglicherweise uralt aus. Und nicht nur sie.

Von Peter Troxler

Die Medienkulturgespräche sind eine Reihe des Dock18 Institut für Medienkulturen der Welt. Daniel Boos und Mario Purkathofer recherchieren monatlich aktuelle Themen der neuen Medien und sprechen mit betroffenen Menschen auf verschiedenen Kanälen.
«Hardware» ist der Oberbegriff für die mechanische und elektronische Ausrüstung eines Systems. Ursprünglich ist das englische «hardware» ungefähr bedeutungsgleich mit «Eisenwaren» und wird heute im englischsprachigen Raum noch in diesem Sinne verwendet. Damit Hardware in unserer Welt gehandelt werden kann, müssen Rohstoffe unter schwierigsten Bedingungen aus der Erde gegraben werden, bevor sie in Hochöfen, Labors und Industriehallen veredelt und als Endprodukt in die ganze Welt transportiert werden. Das Informationszeitalter ist nach wie vor auf die Hardware angewiesen, bildet sie ja gewissermassen die Hülle für die virtuellen Informationen. Um die Produktion von Hardware nicht der Industrie zu überlassen, beschäftigen sich seit einigen Jahren viele Institute und Freiwillige mit der autonomen Herstellung dieser – für unsere heutige Informationsgesellschaft so wichtigen – Hardware in den eigenen Wohnzimmern. Die Hoffnung besteht, ganze Systeme mit selbstgemachter Hardware zu bestücken und so in Zukunft unabhängig von Konzernen und Nationalstaaten zu sein.
Peter Troxler erforscht an der Hogeschool Rotterdam die 3. Industrielle Revolution, insbesondere die Themen Open Hardware, Open Design und Direct Digital Manufacturing. www.zurich.fablab.ch www.petertroxler.org
Anlässlich des Hardware Freedom Day am 20. April finden weltweit Veranstaltungen zu Open Hardware statt. Wir zelebrieren schon die Nacht vom 19. April ab 20 Uhr mit kurzen Vorträgen, Demos, und 3D-Experimenten. Mehr Informationen zum Hardware Freedom Day: www.hfday.org

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