1968 war ein Jahr weltweiter Proteste. Ausgehend von der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und dem Protest gegen den Vietnamkrieg der USA rebellierten nahezu zeitgleich weltweit Studierende, Arbeiterinnen und Jugendliche und stellten sich gegen Krieg, Imperialismus, Autorität sowie für Bildung, Gleichstellung und Arbeitsrechte. Die Proteste des Pariser Mai oder der deutschen 68er Bewegung gelten heute als Höhepunkt oppositioneller Macht. Pflastersteine und improvisierte Barrikaden gehörten ebenso dazu wie provokative Parolen. Für den deutschen Studentenführer und Aktivisten Rudi Dutschke waren die die Provokationen «unerlässliche Voraussetzungen für die Öffentlichkeitsarbeit.» Sie dienten auch der Jugendbewegung in der Schweiz dazu, den eigenen Forderungen endlich Gehör zu verschaffen, als sie sich in den 1980er Jahren vor dem Zürcher Opernhaus versammelten, um gegen den Kredit über 60 Millionen Franken zur Sanierung des Opernhauses zu protestieren. Die Proteste mit absichtlich grotesken Forderungen wurden weit über Zürich hinaus wahrgenommenen.
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Protest verändert, hin zu einer professionelleren Inszenierung. Gleichzeitig hat eine Fetischisierung des Protest-Vokabulars vom bürgerlichen Wohnzimmer bis hinein in die Werbung stattgefunden. Che Guevara, die erhobene Faust, Anarchie-, Anti-Atom- und Friedenssymbole wurden zu Markenzeichen von Protestbewegungen. Ursprünglich ein Erkennungsmerkmal für die Zugehörigkeit zu einer Bewegung wurden sie zum Mode- und Kommerzphänomen. Werbeagenturen und Künstler entwickelten dieses visuelle Vokabular zu einer professionellen Hülle weiter. Die ursprünglichen Aussagen werden dabei bestenfalls respektiert, oft kommerziell ausgeschlachtet und manchmal inhaltlich zur absoluten Paradoxie verkehrt.
Eine Verkehrung fand zwischen 1968 und heute auch darin statt, dass sich inzwischen selbst rechte Bewegungen dem Vokabular angenommen haben. Gerade die Schweiz gilt inzwischen bei vielen rechtspopulistischen Protestparteien und Bewegungen als Vorbild. Verändert hat sich für aber für alle, dass die Provokationen professioneller und medialisierter stattfinden. Neuere Bewegungen wie Occupy, Gezi-Park oder die Umbrella Revolution finden zwar nach wie vor physisch statt. Ihre Ausstrahlung hat sich jedoch längst weit in den virtuellen Raum hinein verschoben. Für eine internationale Bewegung ergibt sich dadurch ein beschleunigter Austausch von Bildern und Zeichen. Dies erleichtert einerseits die Solidarisierung mit einer Bewegung, gleichzeitig macht es sie für Manipulationen anfälliger.
Geblieben ist, dass gute Parolen bis heute unerlässliche Voraussetzungen für die Öffentlichkeitsarbeit darstellen. Verändert hat sich lediglich der Ton. Heute sind es nicht mehr die Lieder von Plantagenarbeiter, die ein freies Leben in Aussicht stellen, sondern der im Rap inhärenten kaptialistischen Logik folgenden Forderungen nach persönlicher Selbstoptimierung. Die Forderung «Le monde ou rien» – ein Songtitel der französischen Rap-Gruppe PNL – war im bei landesweiten Protesten gegen das neue Arbeitsgesetz im April 2016 die am häufigsten zitierte Parole. Sie war überall, auf Bannern, gesungen, getaggt.
50 Jahre nach der 68er Bewegung sind unsere Autorinnen und Autoren der Frage nachgegangen, wie sich die Ursachen, die Organisation und die Manifestation von Protest entwickelt haben und wie auf die veränderten Bedingungen reagiert werden kann.

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