1993 waren die Fanzine-Macher Jörg André Dahlmeyer und Thomas Nöske auf der Suche nach einem Headliner für eine Lesereihe in alternativen Lokalen im ehemaligen Ostberlin. Der Stadtteil Prenzlauer Berg galt bereits zu DDR-Zeiten und auch in den frühen Wendejahren als Ort der Unangepassten.
Enttäuscht über ihre Teilnahme an der 12. Mainzer Minipressenmesse, auf welcher der literarische Underground mit seinen hektografierten Heften und Xerox-Erzeugnissen nur eine marginale Rolle eingenommen hatte, wollten die beiden ihr eigenes neues Ding machen.
Mit eben demselben Projekt war zuvor die im subliterarischen Umfeld gegründete Gruppe 60/90 gescheitert, welche die Aufbruchstimmung der Sechziger in die Neunziger tragen wollte, wie Jürgen Ploog in «Interzone. Transit 99» erklärte: «Die 90er erreichen heisst, über den «gescheiterten lässigen Utopismus der Gegenkultur» (…) hinauszuschauen.» Die Breitenwirkung von 60/90 blieb aus, weil die heterogene Gruppe ständig im Streit lag, Widersprüche nicht überwinden konnte und ihre Lesungen schrill und chaotisch abliefen. Wirklich erneuernde Impulse mussten von Jüngeren kommen.
Ausbaldowert wurde bei «17 halben Litern Bier im Café Schliemann» das Kunstwort Social Beat. Social von Social-Fiction/Message; Beat, abgeleitet von to beat back/away – als Ausdruck eines Lebensgefühls der 90er-Jahre im «Kaltland» BRD einerseits, als Hommage an die Beat Generation anderseits. Im «Manifesta No 28» wird Social Beat erklärt als «Selbstbedienung (am Wort) ist Superbrain (am jeweiligen Ort) ist SpeedyGonzales für Arme (Käse her) ist ScheißBulle (vergiß es, iß es) (…) ist manieristischer Rhythmus ist SuppenBoullion ist für uns Alle da, immer da.»Aus der geplanten Lesereihe wurde nun ein Social-Beat-Festival mit dem Untertitel «Töte den Affen», bezugnehmend auf einen Text von Hadayatullah Hübsch aus dem Band «Die Batschkapp-Gedichte» (Robsie Richter, Hanau 1993).
Die Teilnehmer aus dem Bundesgebiet erklärten sich als PR-Gag zur Ausserliterarischen Opposition (ALO) und lasen ihren Pulp an vier Tagen in chaotisch-überfüllten Räumen – ein Besuchererfolg! Das Publikum war euphorisch, die Presse reagierte überrascht, die Veranstalter waren begeistert, kannten sie doch die gescheiterten Versuche von 60/90. Der Pate, das ehemalige 60/90-Mitglied Hadayatullah Hübsch, sah plötzlich seine Vision im Social Beat verwirklicht und wurde in den kommenden Jahren ein unermüdlicher Pusher, der als Zugpferd für die Öffentlichkeit agierte, jungen Kollegen behilflich zur Seite stand, wenn es um «Little mags» oder um die Performance einer Lesung ging.
Hübsch war durch 60/90 ein Vorbereiter, dem Social Beat ein Wegbegleiter und als veritable Rampensau ein Aushängeschild für die etwas später aufkeimende deutschsprachige Slam-Poetry-Szene. Zusammenfassend muss man konstatieren: Die Subliteratur der 90er hätte zweifelsohne ohne ihn eine andere und weniger bedeutsame Richtung genommen. Man kann den Einfluss von Hadayatullah Hübsch nicht hoch genug einschätzen.

Boris Kerenski, Stuttgart, ist Collagist, Fotograf und Autor. Gab zusammen mit Florian Vetsch den Reader ‹Tanger Telegramm / Reise durch die Literaturen einer legendären marokkanischen Stadt› (Bilger, Zürich 2017) heraus. Zuletzt erschien ‹Tristesse – cool serviert› (Stadtlichterpresse, Wenzendorf 2019).

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