«Porno ist nicht gleich Porno, es ist in Wirklichkeit ein Diskurs über Sexualität, über Weiblichkeit, Männlichkeit, und die Rollen, die wir spielen», sagt Erika Lust, schwedische Filmemacherin und Pionierin des sogenannt feministischen Pornos. Während in ihren Filmen Gleichberechtigung und Werte ausgedrückt werden sollen, scheisst der Mainstream drauf. Aggressiver Ekel-Porno wird von Kindern, Heranwachsenden und Erwachsenen im Smartphone herumgetragen und verzerrt ihre Bilder von Sexualität, traumatisiert gar ganze Generationen nachhaltig. Oder nicht? Hat die omnipräsente Sexualisierung tatsächlich so etwas wie einen aufklärerischen Wert; sind die Jugendlichen von heute gescheiter dran als noch in den 50er Jahren? Und: Wie wirkt sich Porno auf das Sexualleben von blutjungen Anfängern aus? Auf das von erfahrenen Erwachsenen? Und weiter auf Geschlechterbilder und -Rollen? Und wenn Sex nicht so ist wie in Pornos aufgetischt, was ist dann mit der Wirklichkeit? Warum braucht es Porno? Wie entstehen, funktionieren Pornos? Und seit wann reden eigentlich alle darüber?
Seit ich in den letzten Monaten wiederholt in intensive, erstaunlich offene Gespräche über Porno verwickelt wurde, fasziniert mich seine widersprüchliche Thematik. Es kam mir vor, als wäre Porno plötzlich «cool», feministischer im Besonderen. Auch die Industrie scheint sich selber einer Imagekur unterziehen zu wollen, zum Beispiel mit Dokumentarfilmen wie «Kink» oder «9 to 5: days in porn». In ersterem, einem von James Franco produzierten Film über das blühende BDSM-Pornografie-Geschäft, wird eine krasse, teilweise mindestens befremdliche Art von Porno als unglaublich erfüllender Lifestyle dargestellt, als das Nonplusultra der Selbstbestimmung – besonders für Frauen. Die einzige Darstellerin, die auch ausserhalb des riesigen Studio-Komplexes gefilmt wird, die drinnen noch mit glühenden Augen von ihren Abenteuern erzählt hat, wirkt draussen müde und leer. Sie spricht von Drogen, denen die DarstellerInnen verfallen würden, um den Alltag auszuhalten, von «Seelenlosigkeit». Spätestens da fiel mir das Ende von P.T. Andersons «Boogie Nights» wieder ein, wo die Welt der Pornos letzlich eine traurige Sache blieb.
Was stimmt denn nun? Ich fragte herum, doch wir konnten uns nicht einigen: In aller Öffentlichkeit sorgten wir uns um die aufkeimende Sexualität der Internetkids von heute und befanden die Entstigmatisierung beispielsweise von Fetischen als eine gute Sache. Im selben Atemzug gaben wir zu bedenken, dass heute dafür die Sexarbeiterinnen anscheinend so schlecht behandelt werden wie noch nie. Und was passiert jetzt eigentlich mit all den XXX-Stores, wo jeder gemütlich zuhause alles runterladen kann und keiner mehr den peinlichen Gang durch die neonbeleuchteten DVD-Regale wagen muss? Wer geht denn heute noch ins Pornokino, und was für eine Art soziales Ereignis ist das?
Allein in meinem Bekanntenkreis hörte ich die verschiedensten Positionierungen zum Thema Porno, manche erzählten sehr persönlich, begeisterte bis traumatische Geschichten, andere argumentierten theoretisch fundiert. Interessant waren besonders auch die Diskussionen, in denen Männer und Frauen anwesend waren, die, wie es mir schien, bezeichnenderweise aneinander vorbei redeten. Aber alle schienen sich mit dem Thema einmal ausführlich auseinander gesetzt zu haben – eigentlich nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass jede 4. Google-Suche «porn» lautet.
Unsere Gespräche kreisten um zwei Pole: Ist Porno eine postmoderne Art von Sex-Erziehung und soll das so sein? Wie problematisch ist dabei die chauvinistische Haltung der handelsüblichen Pornos und wie beinflusst diese unsere Gender-Erziehung? Und: Was ist eigentlich Feminismus? Wenn Männer Pornos wollen, was wollen dann Frauen?
Diese Themen bearbeiten auch die Texte in dieser Ausgabe. Sie erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit; das Thema ist dafür zu weit und komplex – und offenbar doch noch vorbelastet, wenn man bedenkt, dass eines der letzten Zürcher Pornokinos kein Interview geben wollte und die Mainstream-Filmproduzenten auch eher schwer zu erreichen waren. Nichtsdestotrotz machen wir ein Fenster auf in den Hinterhof des aktuellen Pornodiskurses und versammeln Essays, Artikel, Aufsätze, Interviews und Gedichte von und mit Feministinnen und Feministen – die diesen Begriff durchaus unterschiedlich besetzen, jugendlichen Sprachrohren, Gender- und Kunst-Gelehrten, Lyrikern und Schriftstellerinnen.

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.

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