Letzthin kam ich in San Francisco vorbei. Das ist zufällig die Beat-Stadt, hat es mir dann gedämmert, in jedem Buchladen drehten sie mir Beat an. Ich sagte: «Ok cool, aber ich kaufe dieses Jahr keine Männerliteratur.» Sie seufzten: «Es gab schon auch Frauen, aber die sind grad vergriffen…» Und dann schmuggelten sie mir lauter Männernamen rein, sagten: «Der ist wirklich genial.» Und ich, bin ja kein Unmensch oder ignorant, schaute die mir natürlich auch an. Aber egal, wo ich aufschlug, es war immer dieselbe Szene: Ein fertiger Typ stolpert durch FRISCO, steht vor einem Kino, merkt, dass er kein Geld hat, wird von einer noch viel fertigeren «Nutte ohne Zähne» eingeladen. Sobald das Licht ausgeht, steckt er ihr die Finger unter den Rock, die Frau weint, er ergiesst sich in einem sentimentalen Ausbruch à la «das ist Liebe, das haben wir gerade beide gebraucht, aber jetzt hau ich ab, schliesslich bin ich ein krasser Haudrauf». Gut, vielleicht waren es verschiedene Szenen, aber Frauen schienen mir in dieser Welt grundsätzlich so vorzukommen: stumme Schablonen, gleichzeitig sexualisiert und verachtet.

Einmal stand ich in FRISCO am Pier und schnaufte in meinen Schal. Die Seelöwen stanken wie verwest, einer lag direkt vor mir, allein auf einem leeren Bootssteg, er hatte einen tiefen Schnitt am Hals und ich sah ihm zu, wie er atmete. Schwer vom Heimweh stieg ich bergauf, bis mich ein Used Books Store verschluckte. In den folgenden Stunden stellte er sich als Beat-Museum heraus. Ich kreiste zwischen den Regalen, geübt, das ist mein Fahrwasser, Buchrückenstaub zwischen den Fingern reibend, es kam ein Brandon, sprach mich an: «Ich weiss alles über Erstausgaben.» Ich zeigte ihm meine Auswahl, Diane di Prima. Ok, meinte er, eine der wenigen Frauen in der Szene. Aber, er senkte schamvoll die Stimme: «It’s EROTIC.» Ausserdem eine Zweitausgabe. Dann empfahl er mir das Buch mit dem Kino und der «zahnlosen Nutte» und zeigte mir den Stapel alter «Playboys», alles Erstausgaben. Ich fragte ihn, ob er Jürgen Ploog kenne, er sagte nein. Ich sagte: «Das ist ein deutscher Beat-Poet, er wird 85, wir widmen ihm eine Ausgabe.» Brandon überlegte und sagte: «Ist das nicht dieser Schauspieler?» Dann zog er ein irgendein Buch hervor, schlug es in der Mitte auf und sagte: «Hör zu, das ist mein Lieblingsgedicht.» Ich glaubte ihm kein Wort, er las holpernd, als würde er es zum ersten Mal sehen, aber rührend war es doch.

Draussen war dunkel und der Mond stand gross und gelb über Chinatown. Di Prima begleitete mich ins Hotel. Im fünften Stock roch es immer nach Gras, das gefiel ihr. Im Computerraum erschreckten wir einen Alten, der im World Wide Web Antworten suchte. Ich starrte auf seinen Bildschirm und las: Anonymous Alcoholics.

Di Prima bekam Lust auf Hot Sake. Wir stiefelten über die Strasse in den Japanischen Imbiss. Die Kellnerin liess vor Schreck mit grossem Krach ein Glas fallen. Ein Rotgesichtiger mit breitkrempigem Fischerhut, ich kannte ihn vom Frühstück, bückte sich und las wurstfingerig Scherben. Die Kellnerin rief verzweifelt: «No! Don’t do this!» Er erhob sich weinrot. Der Typ am Nebentisch mit der Dinner Combo putzte sich sorgfältig den leuchtgrünen Sneaker, ohne die Pupillen von einem Punkt über meinem Scheitel zu lösen. Ich drehte mich um und sah, dass hinter mir an der Wand Taylor Swift als Pommes und Katy Perry als Hamburger miteinander tanzten.

Der Fischerhut, di Prima und ich verliessen den Laden, gingen über die Strasse ins Hotel und holten im Computerraum den alten Alkoholiker. Zusammen gingen wir, belächelt vom Akneface Mond, zu einem Meeting. Hi Michelle, vielstimmig, wohltönend. Und ob ihr’s glaubt oder nicht – dort sassen alle zusammen, die hier in diesem Heft versammelt sind. Was für eine Sause!

Michelle Steinbeck ist Autorin und Redaktorin der Fabrikzeitung.
Zuletzt erschienen von ihr: ‹Eingesperrte Vögel singen mehr› (Voland&Quist, Dresden 2018).

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