Non-Binär? Transtrender? Gendergappende Oltner*innen? All das und viel mehr mit Sascha und Kaninchen. Sascha hiess nicht immer Sascha. Aber jetzt heisst Sascha so. Sascha trinkt gerne Bier und Wein, liest eigene Texte vor und projiziert dazwischen Fotostory-Comics auf eine Leinwand – im September im Clubraum der Roten Fabrik.

 

«Subjektivierungsprozess» – ein schönes Wort. Ein abstraktes Wort. Ich habe es in Gender-Studies kennengelernt. So wie: «Subjektposition» und «das Subjekt», «Subjektwerdung» oder «die Anrufung».

Ich kann eine Subjektposition einnehmen. Z.B. indem ich sage: «Ich bin eine Frau». Oder wenn ich sage: «Das und das, weil ich eine Frau bin». Dann sage ich, dass ich eine Frau bin. Und dann bin ich vor allem das: Eine Frau. Ich mache das auch. Also ich, Sascha. Subjektpositionen einnehmen. Alle machen das. Du, ich, er. Das sind schon drei voneinander getrennte Subjekte.

Aber ich mache das in absurd. Ich sage: Ich bin keine Frau und ich bin kein Mann. Ich bin Sascha. Ich bin non-binär. Ich bin trans. Ich möchte, dass Menschen keine Pronomen für mich verwenden. Ich bin trans. Ich bin trans. Aber ich bin nicht nur das, ich nehme sehr viele Subjektpositionen ein: Ich wurde bei Geburt dem weiblichen Geschlecht zugewiesen und als Mädchen sozialisiert. Ich mochte das nicht. Ich habe das nie gemocht. «Ich bin keine Frau», habe ich irgendwann so zu mir gesagt. «Aha», habe ich gedacht und war überrascht, «das ist eine sehr ungewöhnliche Subjektposition». Keine Frau zu sein. «Eine Frau zu sein» von Annemarie Schwarzenbach, das habe ich mal gelesen. Und: «Ich bin lesbisch», das habe ich auch einmal gesagt. «Ich stehe auf Frauen», sage ich heute. Dann sage ich nämlich nicht, ob ich das als Frau oder als Mann, sondern dass ich das einfach als Mensch mache.

Ich date gerne. Frauen date ich sehr gerne.

Ich mag die Subjektivierungsprozesse, die dann stattfinden. Ich mags mich zu erschaffen. Immer gleich und doch ein bisschen anders. Und je nachdem, wer mir gegenübersitzt, werden andere Subjektivierungsprozesse ausgelöst. Z.B. wenn die Person, die ich date, was sexistisches sagt. Dann werde ich Feminist*in. Das war ich natürlich schon vorher und bin ich auch nachher noch, aber in dem Moment mache ich es zum Thema. Ich werde das Subjekt: Feminist*in. Ich trete als Feminist*in in Erscheinung.

Oder ich werde: Die Schöne. Weil mein Gegenüber mich schön findet. Und weil es mich weiblich liest, werde ich eben eine feminine Schönheit. Subjektposition: Die Schöne. Eine Subjektposition kann nämlich auch aufgezwungen werden. Wenn mich jemand als Frau anruft, dann bin ich das in dem Moment, auch wenn ich das nicht sein möchte oder selber nicht einnehmen würde. Dann werde ich zur Frau – oder zu der Schönen – gemacht.

Und ich mache mich selber, wenn ich jemandem von mir erzähle: Ich interessiere mich für die Gesellschaft. Ich bin ein bisschen politisch aktiv. Ich bin jung. Ich bin weiss. Ich bin feministisch. Ich mag Kaninchen. Ich besitze ein Kaninchen. Das Kaninchen, das ich besitze, das heisst Tjuv. Mit Tjuv mache ich Comics. Ich mache Comics. Ich mache lustige Comics. Ich bin lustig.

«Und du?»
Und weiter: Ich studiere. Ich studiere im Hauptfach Psychologie. Ich studiere im Nebenfach Genderstudies. Ich studiere das in Zürich und Basel – ging nicht anders. Ja, war mühsam, bis es klappte. Nein, geht gut. Nein, überschneidet sich selten. Nein, nie an beiden Unis am gleichen Tag. Ja, ist praktisch, weil ich in Olten wohne.

Ich wohne in Olten.
Bin ich Oltener*in? Bestimmt nicht, wenn ich das so schreibe; Oltener*innen mögen das bis auf den Tod nicht, wenn man von «Oltener*innen» schreibt. «Oltner» ohne «e» nach dem «t» heisst das richtig.

«Oltner» sind aber auch nicht besonders feministisch – oder sensibilisiert was geschlechtergerechte Sprache anbelangt. Ich führe ständig Diskussionen zu dem Thema mit Oltner*innen. Nur ein paar wenige, darunter auch ein paar «woke guys», die politisch aktiv sind, würden «Oltner*innen» auch mit Gendergap oder Stern schreiben.

Ich bin aber nicht nur Oltner*in bzw. Schweizer*in: Ja, mein Nachname ist holländisch. Ja, der Vater ist Holländer. Ist ja der Nachname. Nein, die Mutter kommt aus der Tschechei. Ja, haben sich in der Schweiz kennengelernt, auf der Arbeit glaubs. Subjektwerdung: Multikulti.
Ja, bin trilingual aufgewachsen. In Deutsch war ich mega schlecht in der Schule. Aber heute ist besser. In der Schule habe ich Französisch, Englisch und Italienisch gelernt. Subjektwerdung: Vielsprachig.

Aber jetzt bin ich besser in Deutsch. Ich schreibe Texte. Ich lese Texte. «Queer Spoken Word», sag ich dem, was ich mache. Aber es ist etwas zwischen Spoken Word und Poetry Slam. Formal ists halt unpoetrig, aber vorgetragen erinnerts stark an Poetry Slam.

Es sind sehr persönliche Texte, auch wenn sie mir in dem Moment, da ich sie fertiggeschrieben habe, fern sind. An «Tod des Autors» muss ich bei diesem Gefühl denken.
Ja, ich habe da so ein Programm, da lese ich acht Texte in einer Stunde zehn Minuten. Zwischen den Texten zeige ich Comics mit Tjuv, meinem Kaninchen. Dienen der Auflockerung. Und auch einfach, weil Tjuv-Comics lustig sind. Die Texte sind ja schon sehr politisch und zuweilen wütend auch. Die Reaktionen auf die Texte sind meist, dass damit eine spannende, noch eher unbekannte Perspektive ermöglicht worden ist.

Im Bühnenprogramm spreche ich viel darüber, dass ich mich nicht-binär identifiziere, also eben nicht als Mann und nicht als Frau. Dass ich aber menstruier(t)e, und wie das für mich war. Wie das überhaupt war, festzustellen eine Frau sein zu müssen. «Wir werden nicht als Frau geboren, wir werden dazu gemacht», hat schon Simone de Beauvoir gesagt. Einen nicht-essenzialistischen Zugang zu Geschlecht nennt man das. Bedeutet: Dass in uns allen nicht ein geschlechtliches Wesen, ein geschlechtlicher Kern sitzt, sondern, dass Geschlecht von aussen über eine*n drübergestülpt wird. Dass es konstruiert und die Konstruktion willkürlich ist. Und dass wir Geschlecht dann inkorporieren, dass es sich in unsere Körper einschreibt. Darum haben wir schnell das Gefühl, das sei ja «natürlich». Das fühle sich ja «echt» an. Also so typisch weibliches oder typisch männliches Zeugs. Und das erklären wir uns dann auch gut und gerne mit biologischen Unterschieden. Die sind dann zuständig für alles und jeden Unterschied. Aber dass «nature» und «nurture» schwer voneinander zu trennen sind, das habe ich selbst in Psychologie in der ersten Vorlesung gehört. Dass man also nicht fix sagen kann wie gross die jeweils kulturellen oder biologischen Anteile sind.

Ich spreche aber auch noch über andere Sachen in meinem «Queer Spoken Word»-Programm: z.B. über Pronomen und den Begriff «Transtrender». Das wird nicht-binären trans Menschen nämlich gerne vorgeworfen: Es sei ein Trend trans zu sein, deswegen würden sie auf diese Positionen bestehen. Oder: Es sei grundsätzlich ein Trend trans zu sein, man sehe das ja sehr deutlich, dass die Sichtbarkeit zugenommen habe. Vergleichen kann man dieses Phänomen gut mit Linkshänder*innen. Von denen gabs plötzlich auch «viel mehr» – nämlich als Linkshänder*innen mit links zu schreiben beginnen durften. Es gab sie natürlich vorher schon, aber die Toleranz (bestenfalls: Akzeptanz) war noch nicht da.
Um Toleranz gehts auch in anderen Texten, beispielsweise einer Anekdote aus dem Alltag, darüber wie schmerzhaft eine Garderobensituation werden kann. Oder eine Dating-Situation, als ich nicht wusste, wie ich einem lesbischen Tinderdate erkläre, dass ich ja gar nicht so ganz «Lesbe» bin. Dass ich nicht wusste, wie ich diese Subjektposition revidieren könne.

Ich freue mich auf Sie als Zuhörer*innen. Das sind Sie nämlich in dem Moment: Zuhörer*innen und Zuschauer*innen. Das ist Ihre Subjektposition. Auch wenn wir es nicht aussprechen: Wir sind getrennt, symbolisch, durch unsere Anordnung im Raum und nehmen so diese Positionen ein. Auch wenn Sie ganz viel mehr sind, als nur Zuhörer*innen. Vielleich kämpfen Sie mit Barrierefreiheit. Vielleicht damit, dass Sie als weisse cis Männer in die Bredouille geraten und bizli wütend sind, vielleicht trauern Sie gerade einer vergangen Beziehung nach, vielleicht erleben Sie Rassismus, vielleicht werden Sie – wie ich – als etwas gelesen, als das Sie sich selber nicht sehen und sind im gleichen Feld der Zwänge zu Subjektpositionen gefangen.

 

Sascha Rijkeboer mag Ordnung, lebt in Olten und studiert in Basel und Zürich, interessiert sich für Feminismus, schreibt leidenschaftlich Texte, repariert Smartphones und identifizierst sich nicht-binär.
Sascha Rijkeboer liest am Mittwoch 19. September 2018 um 20 Uhr im Clubraum.

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