Wir lesen es in den Medien, hören es in öffentlichen Debatten, tauschen uns vielleicht auch privat darüber mit (anderen) Rapfans aus: Inwiefern ist die sprachliche Gewalt, die eigentlich im Kern der Rapmusik steckt, ein «Problem»? Das Thema liesse sich freilich in mehreren Büchern diskutieren, und tatsächlich widmen die meisten Studien, die sich mit Rapmusik auseinandersetzen, mindestens ein Kapitel der Frage der Gewalt. Kurz vorweg: Eine endgültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht, denn es hängt immer vom Kontext ab.

Richten wir den Blick zuerst auf die postkolonialen Verstrickungen von Rap, Sprache und Gewalt. Obwohl Rapmusik ursprünglich ein besonders prägender Ausdruck der afro-amerikanischen Communities in den USA war, hat sie sich in den letzten Jahren in der ganzen Welt etabliert. Das an sich ist eine erstaunliche Errungenschaft dieser Musik, die genau die Macht der Wörter, und daher der Sprache, ins Zentrum rückt.

Nehmen wir als Startpunkt den Begriff «Writing Back», d.h. zurückschreiben, aus den postkolonialen Studien. Bereits bei der Gründung dieser Disziplin innerhalb der Geisteswissenschaften in den späten 1980er Jahren wurde der Begriff des «Writing Back» als «Markenzeichen» für postkoloniale Kulturen und Performances erkannt. Im Grunde wird hier die Frage nach der Deutungsmacht akzentuiert, die für einst kolonisierte Kulturen Afrikas, Lateinamerikas, Nordamerikas, Asiens und Ozeaniens so wichtig ist. Jahrhundertelang haben europäische Kolonialmächte ihre Version der Eroberung und Ausbeutung anderer Länder und verschiedener Communities als einzig legitime betrachtet und verbreitet. Der Versuch, diese koloniale Geschichtsschreibung für immer in Stein zu meisseln, sehen wir zum Beispiel in angeblich «wissenschaftlichen», tatsächlich rassistischen Berichten über andere Kulturen. Ebenso verhält es sich mit dem Archivieren von Dokumenten, die nur die europäische Perspektive zeigten, und dem aktiven Umdeuten, ja sogar Verdrängen und Vergessen von Situationen extremer Gewalt gegen nicht-europäische, nicht-«weisse» Menschen.

Bereits beim Kampf um Unabhängigkeit, den eigentlich alle kolonisierten Territorien in verschiedenen Formen geführt haben, und mehr noch beim Auftreten eines langen Dekolonisierungsprozesses, hat sich die Frage des Umdeutens als bezeichnend für die Konstitution einer postkolonialen Identität erwiesen: Wie wird Geschichte neu erzählt, so dass die Unterdrückten zu Wort kommen? «Writing Back» ist somit ein wesentlicher Prozess, ohne den Dekolonisierung gar nicht denkbar wäre. Was sich im breiteren kulturellen, politischen und sprachlichen Bereich in so vielen einst kolonisierten Ländern immer noch am Entfalten ist, lässt sich auch für den spezifischen Fall von Rapmusik am Gebrauch von gewalttätigen Ausdrücken, Bildern oder Botschaften beobachten. Der Einfachheit halber möchte ich hier nur ein Beispiel aus Südafrika im Detail diskutieren.

Im Jahr 2008 verbot das Broadcasting Complaints Tribunal Südafrikas den Song «Get Out» des Rappers Zubz, nachdem es eine Beschwerde der rechtsextremen «white supremacist» Afrikaaner-Partei Freedom Front Plus erhalten hatte. Diese Partei behauptete, der Song fördere Hassrede. Hier ein Teil des Songtextes:

Tell the oppressor
Get Out
And tell my people
Fight
[…]
You know you really need to
Watch out
Cause see, that condescending tone
You adopt when you talk to me
Could get your hand blown, serious
Mistake my kindness for weakness
Just like your forefathers did
I’ll blind you with heat quick
Can’t learn respect
Understand I’m gonna get this panga
To your neck
Take what’s mine today
And I’ll rob you tomorrow
Take my time, it’s payback…

Betrachten wir erst einmal den Kontext des Songs genauer: «Get Out» sollte vorwiegend im nationalen südafrikanischen Fernesehen gespielt werden, wo gewisse textuelle Verweise und damit verbundene Implikationen eine spezifische Bedeutung bekommen würden. Im Musikvideo – das mittlerweile nicht mehr im Internet zu finden ist – umgibt sich Zubz mit bewaffneten Männern in Militäruniform. Da alle Protagonisten im Musikvideo schwarz sind, trägt der Verweis auf die «Vorväter» (forefathers) des Unterdrückers in der Hauptstrophe die Implikation einer eindeutigen ethnischen Zugehörigkeit in sich. Hervorstechend ist auch das Wort «panga» (was so viel wie Machete bedeutet), das auf die Art und Weise anspielt, wie einige europäischen Siedler während der antikolonialen Kämpfe auf dem afrikanischen Kontinent tatsächlich durch die Hand rebellierender indigener Freiheitskämpfer*innen starben. Das berühmteste Beispiel war wohl die Mau-Mau-Bewegung in Kenia, die im imperialistischen Grossbritannien eine ganze Reihe von stereotypen Publikationen über blutrünstige afrikanische «Barbaren» inspirierte; aber auch in anderen Ländern Afrikas ist die Machete zum Symbol für Gewaltausbrüche geworden. Die Zeile aus «Get Out» mit der «panga» zapft ein Imaginäres der angeblichen «afrikanischen Gewalt» an, das die schlimmsten rassistischen Alpträume zu bestätigen scheint.

Und doch denke ich, dass wir uns irren würden, wenn wir diesen Song allein entlang ethnischer Linien lesen würden. Schliesslich ist das einzige klare Etikett, das dem Adressaten des Songs – und der Zielscheibe der gewalttätigen Drohungen – zugeschrieben wird, das des «Unterdrückers» («oppressor»). Der Rapper Zubz selbst äusserte sich wie folgt: «Ich habe die Ethnizität absichtlich herausgenommen, weil der Akt der Unterdrückung von jedem kommen kann, unabhängig von der Hautfarbe.» Tatsächlich wies das Tribunal den Vorwurf der Hassrede gegen den Song ausdrücklich zurück. Seine Entscheidung, «Get Out» aus dem südafrikanischen Fernsehen zu verbannen, begründete das Tribunal mit dem angeblichen Aufruf zu «drohender Gewalt».

Genau dieses Potential von Rapmusik, Gewalt anzustiften, finde ich untersuchungswert. Es bedeutet, die Macht der Rapmusik als politisches Werkzeug zu berücksichtigen – aber zusätzlich erfordert es von uns, über die Arten von Gewalt nachzudenken, die Rap darstellt. Zubz‘ «Get Out» ist ein gutes Beispiel dafür, wie die künstlerische Darbietung von gewaltsamem Widerstand von bestimmten Zuhörer*innen als tatsächlicher gewaltsamer Akt gelesen werden kann. Das ist ein Thema, das die Rapmusik seit langem verfolgt. In den 1990er Jahren wurde die berühmte Gruppe NWA vom FBI sowie vom damaligen Präsidenten George Bush für ihren Song «Fuck da Police» heftig kritisiert, weil es angeblich das Leben von Polizist*innen gefährden würde – dabei handelt der Song von Polizeigewalt gegen schwarze Amerikaner*innen. Und vor ein paar Jahren wurde der spanische regierungskritische Rapper Valdonyc zu einer Gefängnisstrafe wegen Terrorismusverherrlichung verurteilt, was viele in Spanien und ausserhalb in Frage stellten. Immer wieder wird die Deutungsmacht genutzt, um Rap als Gefahr auszumalen, von denen, die sich durch seine Worte bedroht fühlen.

Und so müssten wir hier ein wenig zurückspulen, um zu verstehen, wie Worte wie «oppressor», «my people» und «panga», die in Zubz‘ Song so viel Polemik auslösten, mit bestimmten Bedeutungen aufgeladen wurden – und wie sich dies auf koloniale und antikoloniale Gewalt bezieht. Einer der führenden postkolonialen Denker zu diesen Themen ist Ngugi Wa Thiong’o, Kenias bedeutendster Romancier und Intellektueller. Seit den 1970er Jahren ist Ngugi eine wichtige kritische Stimme in der postkolonialen kenianischen Gesellschaft – eine, die von der Regierung nicht immer gewürdigt wurde. Er hat einflussreiche Essays über das Verhältnis von Kolonialismus, Sprache und Erinnerung geschrieben, und in dieser Konstellation diskutiert er auch koloniale Gewalt.

Ngugi beobachtet in seinem Essay «Dismemberment Practices» ein Muster von Gewalt, das für ihn den Kern des Kolonialismus ausmachte, insbesondere im afrikanischen Kontinent. Mit dem Begriff «Zerstückelung» umfasst Ngugi Handlungen, die von der konkreten Enthauptung indigener Anführer bis hin zur Art und Weise reichen, wie lokale Sprachen, Namen und indigene Erinnerungen systematisch ausgelöscht wurden. Dadurch legt er ein gezieltes Bestreben der kolonialen Mächte bloss, die kolonisierten Subjekte von ihrem Land wie auch ihrer Arbeit abzuschneiden und sie letztlich von ihren kollektiven Erinnerungen und Identität zu entfremden.

Die Gewalt, die Ngugi hier registriert, ist eine mit tiefen Folgen, die bis in unsere Tage hineinreichen. Die Vorstellung des Kolonialismus als eine Art gewaltsamer Bruch ist bei vielen kritischen Denker*innen, Autor*innen und Künstler*innen im postkolonialen Kontext von zentraler Bedeutung. Ngugi selbst formulierte diese Gewalt speziell in linguistischen Begriffen: Die Kolonisierten wurden ihrer indigenen Sprachen «ausgehungert», weil sie sie nicht mehr in offiziellen Kontexten sprechen durften, während diejenigen, die versklavt und in die sogenannte Neue Welt transportiert wurden, Opfer eines «Linguizids» wurden – d.h., einer totalen Auslöschung der ursprünglichen Sprache, die so gewalttätig ist wie ein Genozid. Aber natürlich war die Gewalt nicht «bloss» sprachlicher Natur. Ngugi beschreibt die Gewalt als total, sie betraf jeden Bereich des Lebens der Kolonisierten.

Genau diese Wirkung kolonialer Gewalt und die Reaktion aufseiten eines antikolonialen Widerstands finde ich besonders beleuchtend für eine Diskussion von Gewalt in gewissen Rapsongs, wo die Sprache selber als Waffe inszeniert wird. Betrachten wir noch einmal vor dem Hintergrund dessen, was gerade argumentiert wurde, den Text von «Get Out». Es ist schwierig, diesen Text nicht mit dem Gedanken an Kolonialismus und antikolonialen Widerstand zu lesen – und natürlich hat Zubz das durchaus beabsichtigt. So können wir zumindest nachvollziehen, dass sich eine rechte «white supremacist» Partei wie Freedom Front Plus an ihre eigene Geschichte der kolonialen Unterdrückung indigener südafrikanischer Communities erinnert fühlen würde – eine Unterdrückung, die im Falle des südafrikanischen Apartheidsystems besonders grauenhaft und schreiend offensichtlich war – und sie würde sich durch diese Texte besonders angeredet, ja sogar bedroht fühlen.

Es ist jedoch wichtig, im Auge zu behalten, dass der Adressat eines lyrischen Textes, was ein Rapsong schlussendlich ist, nicht unbedingt der implizite Leser (oder in diesem Fall das Zielpublikum) dieses Textes ist. Ganz allgemein gesagt, sind rechtsdenkende («weisse») Afrikaaner*innen höchstwahrscheinlich nicht die Rap-Fans, die jemand wie Zubz mit seinen Auftritten zu erreichen versucht. Sie sind nicht unbedingt die Leute, die er bei seinen Konzerten haben möchte. Wie bereits erwähnt, begann Rapmusik in den USA als ein ausgesprochen nicht-«weisses» Musikgenre, das von ethnischen Minderheiten für ethnische Minderheiten gemacht wurde. Seitdem hat sich die Szene stark diversifiziert, aber im Fall von Zubz können wir davon ausgehen, dass sein implizites Publikum in erster Linie andere (schwarze) Südafrikaner*innen und vielleicht Schwarzafrikaner*innen im weiten Sinne sind – also die Menschen, die die brutalen Folgen von Kolonialismus, Rassismus und Apartheid direkt erlitten haben und immer noch erleben. Anstatt den Song als Bedrohung zu verstehen, könnten wir ihn aus dieser Perspektive als feierliche Geste sehen: Er erinnert sein Zielpublikum an die wichtige Geschichte des antikolonialen Widerstands, die sie teilen. Antikoloniale Gewalt wurde ja im Grunde zur Befreiung von kolonialer Gewalt eingesetzt. Sie kann also im Sinne von «Writing Back» durchaus positiv besetzt werden.

Rap offenbart das Potenzial der Sprache selbst, der Repräsentation und der Performance durch Sprache, und jenes, sich in ein Vehikel des Widerstands zu verwandeln. Die Frage ist schlussendlich, wer sich von solchen Botschaften angesprochen fühlt. Rapmusik fordert uns auf, uns mit komplexen Fragen von Macht sowie von Positionalität auseinanderzusetzen. Die Antwort ist nicht immer einfach, aber wohl eine sorgfältige Überlegung wert.

Ana Sobral (sie/she) Kulturwissenschaftlerin und Literaturmoderatorin. War bis 2021 Assistenzprofessorin für «Global Literatures in English» an der Universität Zürich. Sie macht Workshops zu Postkolonialismus, Antirassismus und Rapmusik (postcolonial-spectacles.org). Aktuell arbeitet sie an einem Buch und Podcast über die Globalisierung der Rapmusik. 

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