Ich schreibe diesen Text, weil ich nicht schlafen kann. Es ist jetzt 23.41 Uhr und dieser Text ist einer der persönlichsten hier auf meinem Blog. Einer der intimsten und vielleicht auch einer, der mir später einmal unangenehm sein wird. Aber es ist nötig, auch über Themen zu schreiben, die mir selber nicht ganz geheuer sind.

Ich kann nicht schlafen, weil ich grüble. Weil ich mir Sorgen mache und zwar für einmal nicht wegen unrealistischen Frauenbildern, Sexismus oder den ganzen anderen Themen, die ich auf meinem Blog behandle. In diesem Text soll es darum gehen, warum es uns unangenehm ist, darüber zu sprechen, wenn es uns schlecht geht. Warum es teilweise sogar der besten Freundin, der Mama, dem Freund gegenüber Mut braucht, zu sagen: «Mir geht es gerade wirklich nicht gut.» Und warum es eigentlich genau das Richtige ist. Und vor allem: Was man dagegen unternehmen kann.

Mein Lebenslauf war von Beginn weg nicht der geradlinigste. Das macht mir eigentlich nichts aus, denn bisher war es immer so, dass mich genau dieser Umstand weitergebracht hat: das Unangepasste. Manche nennen das auch «spannend». Meine Gedanken heute Nacht klingen allerdings eher nach «Versagen», «unnötige Ungeduld» und «selber Schuld». Ich habe das Gefühl, in einer Welt, in der nur noch Leistung zählt, nicht mehr hinterher zu kommen. In der mehr Geld für Klicks statt für gute Geschichten bezahlt wird. In dieser Welt zählen Likes auf Instagram mehr als echte Umarmungen.

Es haben verschiedene Faktoren dazu geführt, dass in meinem Kopf momentan eine Stimmung herrscht wie auf hoher See. Nach einer schwerwiegenden Entscheidung, die mir alles andere als leicht gefallen ist, wollte ich ebendiesen Kopf ein paar Tage in einer fremden Stadt durchlüften. Und dann stand ich mit einer Packung Studentenfutter in der Hand in einem französischen Supermarkt und hatte für ein paar Minuten den Draht in meine baldige Vergangenheit – die gerade noch eins draufsetzte. Ich hängte auf, nahm in die andere Hand eine Flasche Rotwein für fünf Euro und rauchte am Abend eine ganze Packung Zigis auf meinem Balkon. Hatte ich mich wirklich richtig entschieden? Meine Entscheidung, die zuvor noch in Beton gemeisselt schien, fühlte sich plötzlich butterweich an. Der Kater am nächsten Morgen tat sein übriges (merke: auch in Frankreich ist Rotwein zum Spottpreis gefährlich).

Seither fühlt sich mein Alltag leicht betäubt an. Ich bin sehr oft sehr traurig und kann nicht sagen, warum genau. Ich muss mich aufraffen für Dinge, die mir eigentlich Spass machen. Und ich kann mich schlecht konzentrieren. Google und meine eigene Erfahrung nennen das eine depressive Verstimmung. Ich habe also aufgehört, auf die Frage «Wie geht es dir?» mit einem leeren «Danke, gut» zu antworten.

Ich habe mich kürzlich dafür entschieden, auf Social Media die Hose runterzulassen und nach Tipps zu fragen. Vor diesem Schritt habe ich mir fast in die Hose gemacht: Ist das nicht peinlich? Stehe ich dann als Jammerlappen da, als dummes Mädchen mit Luxusproblemen? Aber es hat sich gelohnt: Kurze Zeit später hatte ich zahlreiche liebevolle Nachrichten in meinem Postfach mit Ratschlägen, Playlists, Empfehlungen für die beste Meditations-App und rührenden Zusprüchen.

Und seither geht es mir schon viel besser. Es geht mir nicht darum, dass mir mein Umfeld nonstop über den Kopf streichelt und mir bestätigt, was für ein armer Tropf ich bin. Es geht mir darum, mich selber auch in nebligen Phasen zu akzeptieren. Und ich möchte nicht mehr verstecken, wenn mich etwas so stark beschäftigt, dass es mich nicht schlafen lässt. Ich will, dass wir einander gegenseitig helfen. Dass die Hemmschwelle für Menschen mit Depressionen, sich ihrem Umfeld anzuvertrauen, sinkt.

Nein, Depressionen sind nichts Romantisches. Man sitzt nicht seufzend an einem Tisch mit der Zigi im Mundwinkel, alles ist mit einem Schwarz-Weiss-Filter überzogen und in der Ecke dreht sich eine Schallplatte auf dem Teller. Depressive Phasen können teilweise so schlimm sein, dass man riecht wie sein ungewaschenes Bett und schon das Wechseln der Unterwäsche zu anstrengend ist. Und das hat alles nicht viel mit einer Filmdiva aus den 40ern zu tun, die sich Luft zufächert und die Augen verdreht, weil ihr ihr Traumprinz auf die Nüsse geht. Depressionen! Sind! Nicht! Glamourös!

Es ist also nicht schlimm oder egoistisch, wenn man sich eine Weile nur um sein eigenes Wohl kümmern will und kann. Wir haben alle unsere Stürme im Kopf, da können wir sie genauso gut miteinander teilen. Ich meine fuck, Trump ist Präsident, da darf man schonmal ein bisschen die Nerven verlieren. Ausserdem kann ich nicht so gut für meine Freunde und Freundinnen da und in meinem Job nicht so scharfsinnig sein, wie ich es gern möchte, wenn ich selber auf dem Zahnfleisch gehe. Oder auch: «You can’t pour from an empty cup. Take care of yourself first.»

Deshalb möchte ich an dieser Stelle meine kleinen Tipps für den Alltag mit euch teilen, wenn sich das Hirn mal wieder wattig anfühlt und die Gedanken gerade für einen Marathon trainieren. Ich persönlich muss solche Prozesse immer in Babyschritten ablaufen, die Tipps sind also wirklich kleine, feine, aber für mich wichtige Veränderungen. Vielleicht ist das ja auch etwas für euch.

Akzeptieren: Der erste und für mich wichtigste Schritt. Ich bin schon froh, nicht mehr in einer Zeit zu leben, in der depressive Frauen schnurstracks in die Anstalt eingeliefert wurden. This too shall pass.

Luft reinlassen: Seit einigen Tagen konzentriere ich mich beim Einschlafen bewusst auf meinen Atem und forme jeweils mit Zeigefinger und Daumen ein kleines «o». Den Tipp hat mir eine liebe Freundin gegeben, «hat irgendwas mit dem Energiefluss im Körper oder so zu tun». Und es funktioniert! Ausserdem lasse ich in der Nacht das Fenster im Schlafzimmer geöffnet und habe seither das Gefühl, besser einschlafen und aufwachen zu können.

Sich Zeit nehmen – und geben: Ich bin momentan nicht ganz so schnell, wie ich es gern wäre. Egal ob beim Schreiben, beim Nachdenken, beim Sprechen — ich brauche für alles ein bisschen länger als gewohnt. Macht aber nichts. Ich scheine dafür auch etwas geduldiger mit den Menschen in meinem Umfeld zu sein. Time is a rubber band.

Zulassen: Wenn ich weinen muss, dann weine ich eben. Ich versuche, mich dann auf meine Atmung zu konzentrieren. Wichtig für alle von euch, die wie ich zum Hyperventilieren neigen, denn sonst ist das Ganze noch anstrengender als sowieso schon. Aber ja: Weinen hilft. Und sich in den Arm nehmen lassen hilft.

Bewegen: Ich für meinen Teil hasse ja Sport und bin total überrascht, dass mein Körper momentan richtiggehend bewegt werden will. Da ich uns beide aber nicht überfordern will, gehe ich die Sache piano an. Ein bisschen strengeres Yoga als sonst und ein paar Extraspaziergänge müssen vorerst reichen. Hilft auch beim Kopf lüften!

Reden: Mit Freundinnen, mit Freunden, mit the mamas and the papas, mit dem Hund oder dem Nachbarsbüsi: Darüber sprechen, was einem das Herz schwer macht, hilft.

Schreiben: Natürlich, wie könnte es anders sein. Nehmt euch ein Notizbuch und einen Stift und übt zehn Minuten lang «écriture automatique»: Aufschreiben, was einem gerade durch den Kopf geht, ohne den Stift abzusetzen. Hilft, auszuschütten – und manchmal sogar aufzuspüren –, was einen plagt. Die Seite könnt ihr zur Not danach auch verbrennen, aber ihr werdet sehen: Schreiben hilft.

Für weitere Tipps bin ich natürlich dankbar. Denn, und auch das gehört dazu: Ich habe akzeptiert, dass es wohl immer wieder solche Phasen geben wird in meinem Leben. Und das ist in Ordnung. Ich weiss jetzt, dass ich nicht nur ein Arsenal von Ratschlägen angesammelt habe, sondern auch, dass die Menschen in meiner Nähe immer wieder dafür sorgen werden, dass mein Glas gut gefüllt ist – sowohl mit Liebe als auch mit Rotwein, wenn nötig.

Miriam Suter (*1988) ist freie Journalistin. Sie schreibt vor allem über Feminismus und soziale Anliegen, unter anderem für die WOZ, das Surprise Strassenmagazin und Das Lamm.
Dieser Text ist erstmals erschienen auf theclitsarealright.ch

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