Verteufelung des Bildes

Von Bildersturm und Bilderflut zu sprechen, bringt Angst und Wut zum Ausdruck: auf «die Bilder», als wären sie Unheilsbringer wie eine «Sturmflut» oder gar das Unheil selbst. Metaphern wie Sturm und Flut sind bereits Bilder in Vorstellung und Sprache, mit denen Bildpolitik betrieben wird: Katastrophenrhetorik, die nach Katastrophenschutz ruft. Der Ausdruck von Wut und Angst sucht zu verbreiten, was er zum Ausdruck bringt. Dem sollte man nicht unbesehen folgen. Denn das Verfehmte ist meist das Verkannte, das so oder so wiederkehrt. So auch die Bilder, von denen ein ehrwürdiger Reformator wie Martin Bucer meinte: «wie der Teuffel die bilder in der meynung hat uffbracht, als sollte durch sie das gedencken und verehrn an Got gfürdert werden, also hat er durch sie ein wares Gotsvergessen und unehr zuogricht».
Welch ein tiefer Bildglaube, der sich darin ausspricht: Die Bilder als Teufelszeug, als des Teufels liebste Medien, mit denen er uns Gott vergessen mache. Nur zeigt es eine beeindruckende reflexive Zurückhaltung, derart die Bilder zu verprügeln, ja zu verteufeln, wo doch vielmehr deren verkehrte Verwendung verurteilt werden soll. Man mag darin eine magische Hoffnung am Werk sehen, als könnte man mit den Zeichen des Teufels auch gleich ihn selbst verjagen – der kraft solcher Rituale erst zum Leben erweckt wird.

Wiederkehr des Verkannten

Wem Bilder als heilig gelten, der findet in ihnen Präsenz, Gegenwart des Heiligen, aller Heiligen und Gott selbst. Wem sie als teuflisch gelten, der findet in ihnen pure Anmaßung, Realpräsenz des Teufels und Gefährdung Gottes, als würde er im Sichtbaren eingesperrt und verfügbar gemacht. Beide aber, die Verehrer wie die Verteufler, fürchten und begehren, sehen und finden viel im Bild: die Offenbarung oder die Verdunklung Gottes, seine Sichtbarkeit und Zugänglichkeit im Bild – oder seine Verkehrung und Verstellung.

Luther ging einen dritten Weg: die Bilder als im Grunde harmlos zuzulassen und zur Nebensache zu erklären. Wie die Apokryphen seien sie gut und nützlich zur Erziehung und Erinnerung, aber mehr auch nicht. Diese Duldsamkeit ist eigentlich das Ärgste, was man Bildern antun kann: sie nicht ganz für voll zu nehmen; als dekorativ, nützlich und hilfreich darzustellen, wenn sie gefügig gemacht werden, aber damit eigentlich entbehrlich. Dadurch entspannte er allerdings die Situation vor einem Bild: es ging nicht um das Bild an sich, sondern um den rechten Gebrauch. Und der einzig falsche sei, sie anzubeten. Ansonsten ist alles erlaubt. Insofern erteilt Luther dem Protestantismus eine sehr weitgehende Lizenz zum Bild, allerdings um den Preis einer allzu großmütigen Depotenzierung. Denn damit wird dem Bild weitgehend Irrelevanz bescheinigt und in jovialer Gönnergeste eine allenfalls nützliche Nebenrolle zuerkannt. Allerdings ist Luther darin bildkritisch genug, daß er zwischen Bild und Bildgebrauch unterscheidet und nur bestimmte Gebrauchsformen exkludiert. Anders als «die Bilderstürmer» schlägt er nicht die Bilder, um deren Verehrer oder Verehrungspraktiken zu treffen. Bemerkenswert ist daher, daß in Luthers Fassung des Dekalogs (wie im Kleinen Katechismus) kein Bilderverbot mehr auftaucht. Auf das erste Gebot («Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.») folgt bei ihm umgehend das zweite: «Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen.»

Daß Luther als lebensechte Puppe ausgestellt wurde, ist nicht ohne Ironie

Daß ausgerechnet Luther in Zeiten konfessioneller Ausdifferenzierung als lebensechte Puppe ausgestellt wurde, wohl kaum nur zur Erinnerung, sondern auch Ehrung, wenn nicht Verehrung, ist nicht ohne Ironie, vielleicht eine Revanche des Bildes an seinem großmütigen Gönner. Die Wiederkehr des Verkannten ist im Blick auf Bilder ein vitaler Aspekt reformatorischer Religionskultur. Lucas Schöne hieß der Artifex, der (vermutlich) 1663 eine Lutherfigur «verfertigte»: eine effigies Lutheri. Sie entstand unter Verwendung der in Eisleben am 19.2.1546 gefertigten postumen Abgüsse von Luthers Händen und seines Gesichts, also seiner Totenmaske – und es ward der «Lutherschreck zu Halle».

Im Rückblick

Bilderverbot, Bildermächtigung und Bildverkennung gehen Hand in Hand seit Israel. Was in Ägypten und Babylon gängig gewesen sein mag oder was Aaron am Sinai in ikonodulem Überschwang versuchte, nämlich Gott im Bild als Bild zu vergegenwärtigen, wird von Jahwe strikt verworfen. So zumindest erzählt die legendarische Urszene des Deutungsmachtkonflikts um das Bild am Sinai zwischen Mose und Aaron. Dass damit auch eine Selbstkritik der Bildkultpraktiken in Israel verhandelt wurde, dürfte klar sein. Noch die Verwerfung des Bildes zeigt die indirekte Anerkennung seiner Macht als Konkurrent des Wortes, des Gesetzes oder letztlich Gottes. Gott könne und solle nicht im Bild vergegenwärtigt werden, weil es so «die Anderen» machen, die fremde Götter verehren, weil damit Gott verendlicht werde und weil man dann Gefahr laufe, endliche Dinge als unendlich zu verehren. Dementsprechend gelten auch protestantisch Wort und Sakrament allein als «Glaubensmacher» und Gottes würdige Medien; Bilder dagegen als fremd und verführerisch, als ägyptisch oder babylonisch, griechisch oder römisch.

Nur ist die Differenzierung von «eigen» und «fremd» so einfach nicht geblieben, war sie doch auch schon in den Anfängen ein Bruderstreit von Mose und Aaron (um zwei Skulpturen: das goldene Kalb oder die steinernen Gesetzestafeln). Die griechischen wie römischen Christentümer zeigen, dass es so einfach nicht ist und nie war. Je nach kulturellem Kontext können auch Bilder als Gottesmedien gebraucht und anerkannt werden. Dass in den Westkirchen das Bemühen der Einhegung und Bändigung der Bilder galt, erscheint als ein Symptom für das Bewusstsein von deren Eigendynamik und Deutungsmacht.

Wer hätte sich je ernsthaft um Büroklammern gestritten?

Dass auch in Reformation und intensiviert im Barockprotestantismus auf die Macht der Bilder gesetzt wurde, sollte dabei nicht vergessen werden. Religion als Medienpraxis kann auf Bilder (d.h. visuell adressierte Artefakte) im Kontext visueller Kommunikation gar nicht verzichten. Lebt und kommuniziert Religion doch stets im Horizont visueller Kulturen. Grundsätzlich ist das trivial, de facto aber stets von neuem strittig und kompliziert: voller Deutungsmachtkonflikte um Wort und Bild zwischen Frömmigkeit und Theologie, zwischen Kirche und Kultur wie zwischen Religionskulturen. Wäre das Bild als Bild nur ein totes Mittel, wären solche Konflikte um das Bild so unnötig und unverständlich. Wer hätte sich je ernsthaft um Büroklammern gestritten?

Verworfen (und ermächtigt) wurde das Bild als vermeintliches Abbild (als wären Bilder nur Abbilder…), als Präsenzmedium Gottes oder als Menschenwerk, das Unendliches nicht fassen könne. Verkannt wurde in der Verwerfung all die Bildlichkeit in Kult und Lebensform, die in visueller Kommunikation unvermeidlich ist: der Raum in seiner Gestaltung (vom Tempel über die Synagoge bis zum leeren Raum), die Einrichtung (von Sitzordnung, Bänken bis zum «Altar»), die Inszenierung (vom Einzug bis zu den kultischen Höhepunkten), die Körper in Verkörperung und (Ver)Kleidung etc. All das sind visuell adressierte Artefakte, die die visuelle Kommunikation und Religionskultur mitbestimmen. Paradigmatisch wird die Tora als Skulptur, als Schriftrolle im Zentrum des Kults präsentiert. Verdichtet zeigt sich das an Simchat Tora (dem Fest der «Freude der Tora»), wenn die Torarolle in einer Prozession (Hakafot) «gekleidet», geschmückt, und geküßt wird – als ein Kultschriftbild oder Schriftkultbild. Die Schrift als Bild fungiert als Kultbildsupplement. Dem folgt noch die ikonophobe Tradition der reformierten Protestantismen, wenn in der «bildlosen» Kirche eine große, aufgeschlagene Bibel auf dem Altar liegt: als manifest ikonokritische Skulptur. Und was geschieht, wenn jeden Sonntag (einst) auf einer Säule namens Kanzel eine sprechende Skulptur auftritt, die das Wort Gottes verkörpert – und entsprechend verehrt wird?

Bildglaubensformen

Bilder gehen «aufs Auge» – und das hat Risiken und Nebenwirkungen. Denn Bilder sind in ganz sinnlichem Sinn so allgegenwärtig wie fast allmächtig oder unfehlbar. Unfehlbar, weil was aufs Auge geht, nicht nicht gesehen werden kann. Und erst Gesehenes kann nicht mehr ungesehen gemacht werden. Was einmal ins Auge gefallen ist, bleibt dort und kann nicht mehr getilgt werden. Traumata sind die dunkle Seite dessen. Die nur zu grelle dagegen bewirtschaftet die Werbung höchst potent, allerdings auch jede Öffentlichkeitsarbeit, auch die kirchliche. Daher sind Bilder fast allmächtig. Denn wir können unseren Sinnen, unseren Augen nicht nicht glauben. So sehr wir ihnen mißtrauen mögen, so sehr Bildskepsis geübt wird – bleibt der Grund allen Zweifels ein «Sinnenglauben» wie «Augenglaube». Was wir sehen, glauben wir, und glauben, es gesehen zu haben. «Bildglauben» gibt es in verschiedenen Versionen, die in vivo miteinander verschränkt sind:

1. Ein animalischer Bildglaube, wenn der Hund einen Hund im Spiegel erkennt und ihn anbellt. Abbildungen, bewegte zumal, wecken Instinkte, Reaktionen und Affekte.

2. Ein anthropologischer Bildglaube, dem eine «sinnliche Gewißheit» zu eigen ist: Wir glauben dem, was wir sehen, und oft sogar denen, die es an unserer statt gesehen haben: den Zeugen – schon der Osterereignisse.

3. Ein methodischer Bildglaube, wenn mit Bildern etwas gezeigt wird, was einem Beweis gleichkommt. Wer auf seinem Röntgenbild einen dunklen Schatten gezeigt bekommt, wird vielleicht nicht glauben wollen, was der Arzt ihm als Bedeutung des Bildes erklärt.

4. Ein populärer Bildglaube, wenn bildgebende Verfahren mit Hirnscans uns «glauben machen», man sehe dort dieses oder jenes Gefühl.

5. Ein religiöser Bildglaube, an die Präsenz des Heiligen in sichtbaren Artefakten.

6. Ein politischer Bildglaube, wie es in der Logik von Port Royal (an der Pascal mitschrieb) heißt: Das Bildnis Cäsars ist Cäsar. Im Bild als Bild ist der Herrscher realpräsent. Das ist christologisch wie sakramententheologisch verschoben und verdichtet präsent in Christus als dem wahren Bild, und der Hostie als dem wahren Bild Christi: Realpräsenz im visuellen Artefakt der Hostie. Dieses Bildnis Christi ist Christus.

7. Es gibt auch einen volksfrommen Bildglauben, der vor allem als polemische Erfindung in Gestalt der Kritik existiert: es gebe tatsächlich so irre und wirre Christen, die das Bild für das Abgebildete halten und umgekehrt. Das kann auch als Übertragung des Verkannten erscheinen, indem Anderen zugeschrieben wird, was man selber fürchtet und betreibt. Manch monotheistischer Ikonoklasmus geht so gesehen in Verkennung der Bildlichkeit seiner eigenen Religionskultur davon aus, Bildglaube sei stets und nur der Glaube der Anderen. Mit solch einer Delegation wird immer (auch) eigenes delegiert, der eigene «Aberglaube» den Anderen zugeschrieben.

8. Auch der schwarze Bildglaube ist Bildglaube – der glaubt, nicht zu glauben. Bildphobie ist ein Bilderglaube «wider Willen» oder «aus Versehen». Es scheint, als wäre die Bildphobie nicht nur Bildglaube in schwarz, sondern auch versehentlich ein Bekenntnis zur Existenz und Präsenz fremdgöttlicher Mächte. Die Bildzerstörung ist eine Demonstration dieses Bildglaubens: ein Wille zur Sichtbarkeit – mit Macht und Gewalt. Die schöne Regel «sine vi sed verbo» wird in Zerstörung und Verbot der Bilder sicher nicht beherzigt. Die Ikonoklasten bleiben tief bildgläubig.

Wer Bildern also glaubt, glaubt nicht, daß er glaubt. Und wer ihnen nicht glaubt, glaubt, daß er nicht glaubt.

Vom toten zum lebenden Bild – und lebendigen Bildglauben

Fazit: Bild und Bildlichkeit sind im Protestantismus viel präsenter, als gemeinhin gedacht.

Es sind aber weniger «Kunstbilder», die für den Protestantismus tragend sind, als vielmehr «lebende» und gelebte Bilder: visuelle Medien, Körper, Verkörperung, Szenen, Gesten, Rituale, Lebensformen, die nicht als Bild an der Wand hängen, sondern als Bild präsent sind im Leben des Protestantismus. Eine Zuspitzung dessen sind «lebende Heilige» oder solche, die es werden könnten: Prominente, die etwa auf Kirchentagen größte Aufmerksamkeit erfahren, um nicht zu sagen Reverenz.

Höher kann man das Bild kaum hängen

Es scheint, «der» Protestantismus vollziehe in Fragen des Bildes eine Umbesetzung gegenüber dem Katholizismus, und zwar eine Umbesetzung die den Judentum nahe kommt: An die Stelle der toten Bilder (an der Wand) treten die lebenden Bilder (in persona: Gemeinde, Pfarrer, neue Heilige). Das Leben des Bildes geht von den «Wandbildern» über auf die «wandelnden Bilder» in Person und Gemeinschaft. Die üblichen Bilder (an der Wand, Statuen) werden abgehängt oder marginalisiert (von zeitgenössischer Kunstpräsenz kurz abgesehen). Nur – was am «alten» Bild bestritten wird, kehrt (verstärkt?) wieder in neuen, lebenden Bildern: Gottesdienst inszenieren, Rituale feiern, Gemeinde sichtbar machen, protestantisches Profil zeigen, Sichtbarkeit der Kirche bis zur «sichtbaren Einheit» etc. Schlicht gesagt: das Bestrittene und teils Verdrängte kehrt auf verwandelte Weise wieder: sehr eigendynamische lebendige Bilder in Form der Bildlichkeit der Lebensform. Höher kann man das Bild kaum hängen.

Die Wiederkehr des Verdrängten geht mit bemerkenswerten Bildinkompetenzen einher. Was Katholiken an ihrer Tradition üben, lernen und schärfen, nämlich Bildkompetenz, fehlt im Protestantismus in Ausbildung, Bildung und Leben. Gelegentlich naive Kunstbegeisterung bis zur Kunstreligion einerseits und Verkennung der Bildlichkeit protestantischer Lebensformen andererseits sind die erwartbaren Folgen. Es bedarf daher der Bildkritik – nicht als Ikonoklasmus, sondern als Bildkompetenz: als Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Gebrauchskompetenz. Denn Bilder sind intrinsisch ambivalent und nicht einfach gut oder böse (weder vom Teufel noch von Gott, weder Hölle noch Heil).

Das Selbstgemachte als das Authentische und Echte – moderne Reliquien?

Nicht nur die Tendenzen zur Kunstreligion sind prekär, sondern auch die verkannte Bildlichkeit der lebenden Bilder. Wollte man ein Beispiel geben, käme man auf «echte und authentische Bilder» in Gemeindehaus und Kirchenraum, etwa Artefakte aus Kindergottesdienst und Konfirmandenunterricht oder Gemeindekreisen. Exponiert werden möglichst «authentische» Bilder, selbstgemacht in charmanter Unbeholfenheit oder auch aufdringlichen Naivität. Nicht hohe Kunst und starke Bilder, sondern in ihrer Schwachheit exponierte Bilder. Was geschieht da? Die Gemeinde stellt sich selbst in aller Angreifbarkeit aus, und das ist so mutig wie kommunikativ. Aber es ist auch nicht ambivalenzfrei, wenn das Eigene, Authentische als das Echte zum Gegenstand wird – wovon genau? Selbstanschauung der Gemeinde? Selbstgenuß der eigenen Ausdrucksform? Sind sie Exemplifikation und Ausdruck eines Glaubens? Einer Lebensform? Eines Milieus? Auch diese, durchaus schwachen Bilder sind anspruchsvoll, beanspruchen Anerkennung, Anschauung und Wertschätzung. Sie sind dabei auch Medien institutioneller Identitätspolitik: der Selbstvergewisserung und Selbstdarstellung der Gemeinde. Wie mit ihnen umzugehen ist, unterliegt strikten Normen, die zu verletzen gefährlich ist, weil damit fast «heilig» zu Nennendes der Gemeinde berührt wird. Das Selbstgemachte als das Authentische und Echte – fast könnte man es moderne Reliquien nennen. Ein Test dafür wäre die Frage der «Entsorgung»: wer an diese Bilder Hand anlegt, kann sich schnell verbrennen, wie im Kontakt mit gefährlich Heiligem.

Philipp Stoellger ist Professor für Systematische Theologie: Dogmatik und Religionsphilosophie an der Universität Heidelberg.

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