Das Gelände neben einer ehemaligen Brauerei in Berlin war lange eine Brache. Jetzt ist in der Brauerei ein Zentrum für zeitgenössische Kunst, daneben steht ein Urban-Gardening-Projekt, gegenüber ein Biergarten. In der alten Lagerhalle am anderen Ende befindet sich eine Kartbahn. Die beiden Seitenflächen werden von einem Neubau und einem sanierten Gebäude eingerahmt. Hier kommen ca. vierzig Nichtregierungsorganisationen und soziale und antirassistische Projekte unter. Einige davon gehören zu einem übergeordneten Verein, an andere wird durch diesen Verein untervermietet. Dazu entsteht ein dekoloniales Denkmal. Der Verein, der die Projekte unter ein Dach bringt, leiht sich seinen Namen vom Medientheoretiker Marshall McLuhan: Global Village. Gekauft hat das Gelände eine Tochterfirma der Schweizer Stiftung Edith Maryon, die sich nach einer engen Mitarbeiterin Rudolf Steiners benannt hat und sich das Programm gibt: «Die Non-Profit-Organisation entzieht Grund, Boden und Liegenschaften der Spekulation, stellt günstigen Wohn- oder Gewerberaum sicher und unterstützt soziale und kulturelle Projekte.» Einen Teil der Kosten, ca. ein Drittel, steuern aber auch die Stadt und der Staat bei.
Das Global Village ist beispielhaft für neue, partizipative Wege in der Stadtentwicklung, die sich durch eine bestimmte und typische Aufgabenteilung auszeichnen: Staat (und Kommune) steuern neben einem Teil der Projektkosten vor allem auch baurechtliches und administratives Know-How bei, das nötig ist, um die kreativwirtschaftlichen Quartiersideen umsetzen zu können. Die andere Partei in dieser Partnerschaft sind zivilgesellschaftliche Akteure, also Privatpersonen, die aber zumeist nicht zwingend in Vereinen zusammengeschlossen sind. Sie bringen neben finanziellen Mitteln, die sie aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden generieren, ihre Ideen für die Gestaltung und Nutzung des Neubaus ein. Initiative und Engagement gehen also von den Bürger:innen aus.
Historischer Ausgangspunkt dieser Beteiligungsformen ist das Aufkommen der Neuen Sozialen Bewegungen ab 1968 und deren Rebellion gegen die starren Hierarchien und bürokratischen Strukturen der westeuropäischen Nachkriegsgesellschaft. Dieser «verwalteten Welt» stellten die 68er die Werte der Kreativität und Spontanität entgegen. In der Stadtplanung war der Frankfurter Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich Stichwortgeber für die Kritik am städtebaulichen Funktionalismus: Der «Unwirtlichkeit unserer Städte» – so Diagnose und Titel seines Pamphlets von 1965 – wollte man durch neue Wege zivilgesellschaftlicher Partizipation entgegenwirken. So entstanden über die Jahrzehnte bis in die Gegenwart in der Stadtplanung eine Reihe von Prozessen, die Bürgernähe suggerierten. Vermittelt über das «bottom-up-Prinzip» wird der Begriff der Planung seiner technokratischen – oder gar totalitären – Konnotation enthoben. Schwer lässt sich in der Stadtplanung heute ein Projekt finden, das ohne eine ganze Batterie an Beteiligungsformaten auskommt: Stiftungen, Vereine, NGOs etc. hauchen der Stadtplanung ein Leben ein, das den kalten stadtplanerischen Projekten fehlt.
Der Soziologe Luc Boltanski und die Wirtschaftswissenschaftlerin Eve Chiapello bezeichnen diese Art von Opposition gegenüber der Nachkriegsgesellschaft als «Künstlerkritik». Sie beobachten, wie die Forderung nach mehr Kreativität und flachen Hierarchien zum herrschenden Management-Typus wurde und so einen «neuen Geist des Kapitalismus» zeitigte. Analog erkannten auch die gescholtenen staatlichen Instanzen das Potenzial der gestalterischen Ansprüche in der Gesellschaft an die Stadtentwicklung. Dabei fallen zwei Aspekte besonders ins Auge: Wie die Bevölkerung als Gemeinschaft, als «Community», hergestellt und aktiviert wird. Und wie eine Akzeptanz für diese Transformationen geschaffen wird, die als Kitt dient für mögliche Fehler oder restriktive Eingriffe durch den Staat.

Aktivierung der Bevölkerung

Ab den 1960er-Jahren wurde der Begriff der «Community» als emanzipatorischer Versuch stark gemacht, um auf stadtplanerischer Ebene jenseits der Institutionen durch Gemeinschaften von Bürger:innen selbstständig einzugreifen und zu gestalten. Bei Mitscherlich taucht der Begriff der «Community» noch als positiver Gegenbegriff zum ideologischen «Gemeinschaftsgeist» auf. Er setzt der Phantasielosigkeit im Städtebau bereits eine «planerisch ermöglichte ‹Nachbarschaft›» entgegen. (Seine radikalere Forderung nach Enteignungen bleibt ebenso aktuell.) Wie viele der vermeintlichen Gegenstrategien im spätmodernen Kapitalismus lässt sich jedoch auch diese Strategie in jenen implementieren und gegen die eigentliche Intention wenden. Der Anspruch, über die Entwicklung des eigenen Viertels mit zu verfügen, aktiviert die einzelnen Subjekte. Wenn sie in Bürgertreffen, Selbsthilfegruppen, Gemeinschaftsgärten, Flohmärkten etc. aktiv werden und sich austauschen, erfahren sie eine viel beschworene «agency», haben am gesellschaftlichen Leben und den Entwicklungen teil und können vermeintlich mitgestalten.
Diese «agency» verschleiert gerade die Ohnmacht im Angesicht der Verhältnisse. Denn die «Community» wird immer noch zuerst auf politischer und institutioneller Ebene verhandelt. Es sind vor allem die bürgerlichen Schichten, die über das notwendige Wissen und kulturelle Kapital verfügen, um sich zu beteiligen und ihren Weg durch die Institutionen zu gehen. Prekäre Interessengruppen, migrantische oder proletarische Gruppen, werden begrifflich ebenfalls als «Communities» zusammengefasst. Politisch werden sie vor allem im doppelten Sinne vertreten: Sowohl von NGOs, die zwar ihre Interessen repräsentieren, aber damit für sie sprechen, als auch von Parteien, die sich meist nur verbal oder symbolisch für sie einsetzen. Die Community schliesst nicht unbedingt alle Communities gleich ein.
Die staatliche Seite wiederum hat die Möglichkeit, selektiv auf diese Initiativen zu reagieren. Mittels Projektförderung, die meist zeitlich befristet ist, können Entwicklungen unterstützt werden, die für den Standort erwünscht sind, indem sie etwa mehr Gewerbesteuer generieren. Diesen Zusammenhang von Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung beschreibt unter anderem der Ökonom und Stadtplaner Richard Florida. Zentrale Grösse für die wirtschaftliche Prosperität der Stadt, so seine zentrale These, ist die Ansiedlung einer kreativen Klasse: gut ausgebildete junge Menschen, die in wissensintenstiven Berufen und der Kreativbranche tätig sind; die bereit sind, unter prekären Bedingungen zu arbeiten, weil sie wissen, dass dies für sie nur eine Phase ist und ihnen die notwendigen Erfahrungen und das kulturelle Kapitel für die besseren Posten beschert. Insbesondere diese Kreativen erzeugen im Stadtraum ein Ambiente, das symbolisch hip und innovationsfreundlich wirkt und ökonomisch als Standortfaktor die Ansiedlung von Start-Ups begünstigt.
Haben sich politisch erwünschte Projekte erst einmal etabliert, kompensieren sie sogar staatliche Strukturen, etwa in der Daseinsvorsorge, aber auch bei kommunalen Beratungs- und Kulturleistungen und sparen dadurch Kosten – in Zeiten «chronisch leerer Kassen» und einer rigiden Sparpolitik ein wesentliches Argument. Für politisch negativ bewertete Entwicklungen verfügt der Staat indes noch immer über Mittel, um durch Parlamente und Ordnungsämter zu sanktionieren und Restriktionen aufzuerlegen. Sie bleiben wirkmächtiger als die – häufig – kurzzeitigen Initiativen und gestalterischen Versuche. Die Zivilgesellschaft bildet die Ressource und steht für eine Aufgabe ein, die eigentlich dem Staat obliegen würde.

Schaffung von Akzeptanz

Proteste entzündeten sich in den westlichen Demokratien der Nachkriegszeit an Kriegen, Sozialkürzungen oder Fragen des Umweltschutzes. In den letzten Jahren bewegten die Bürger:innen indes auch Grossbauprojekte: Planungsfehler, explodierende Kosten und verschobene Fertigstellungstermine erzeugen in der Bevölkerung Unverständnis. Planer:innen empfinden diese Kritik wiederum nicht gerechtfertigt und argumentieren mit der hohe Komplexität dieser Grossprojekte, die sich aus der Kosteneffizienz, dem Wunsch nach einer kurzen Bauzeit und der oftmals schwierigen Koordination beteiligter Akteure im Bauprozess ergibt. Diese Distanz zwischen Planer:innen und Bürger:innen soll durch Formen der Beteiligung am Bauprozess verringert werden.
Angebote zur Teilhabe bieten formell so die Möglichkeit, zivilgesellschaftliche Interessen und Belange in den Planungsprozess zu integrieren. In den konkreten Bauprojekten zeigt sich jedoch, dass zwischen der politischen und planerischen Ebene einerseits und der interessierten Öffentlichkeit andererseits eine Informationsasymmetrie besteht. Diese bietet staatlichen Akteur:innen die Möglichkeit, den Beteiligungsprozess strategisch zu gestalten. Auf Seiten staatlicher Bauträger liegt es nahe, die Beteiligung der Bevölkerung auf eher unbedeutende Schauplätze der Projekte zu beschränken. Workshops, die sich mit der Gestaltung der Grünflächen im neu erschlossenen Areal auseinandersetzen, verleihen dem Bauvorhaben den Anschein eines breiten Konsens. Wegweisende Entscheidungen bleiben nach wie vor in den Händen der beteiligten Planer:innen.
Eine zweite Strategie, die sich mit der Beteiligung der Zivilbevölkerung eröffnet, ist es, unpopuläre Entscheidungen zu delegieren. Diese werden so an Akteur:innen ausserhalb der Arena der repräsentativen Demokratie abgewälzt. Bürger:innen, die keine Expert:innen sind, sind eher gewillt, einem planerischen TINA-Prinzip («There is no alternative») zuzustimmen, wenn sich die Grenzen des Möglichen plötzlich sehr eng darstellen. Dadurch werden Konflikte der repräsentativen Demokratie abgekürzt. Staat (und Stadt) regieren im doppelten Sinne durch die «Community». Sie treffen die letztgültige Entscheidung, holen sich dafür aber die Absolution der Bürger:innen ein. Die Konflikte werden so als gemeinsame erfahren, bei der die Hierarchie verschwindet. Wie bei der «agency» stellt sich ein Effekt ein, wie ihn sich Unternehmenssoziolog:innen und -psycholog:innen nicht besser ausdenken könnten: Die Konflikte fungieren als Bindeglied zwischen den ungleichen Parteien und schaffen Akzeptanz für die durchregierenden Massnahmen bei den Schwächeren, frei nach dem Credo «teile und herrsche durch soft skills».
Mit dem vermeintlichen volonté generale werden dabei ebenso finanzielle wie ästhetische Verfehlungen gerechtfertigt. Die Bevölkerung zieht aus dieser direktdemokratischen Inklusion zugleich positive Rückkopplungseffekte. Dieses Regieren, bei dem Teilhabe lediglich sug-geriert wird, erfüllt so zusätzlich eine systemstabilisierende Funktion.

Das ist Kultur, das kann weg

Ein anderes Beispiel aus einer Kleinstadt: Die leerstehende Militärkaserne im oberfränkischen Bamberg wird zuerst in Eigeninitiative von der Nachbarschaftsgemeinschaft «erobert». Die Kreativen veranstalten in den Räumen regelmässig ein Kultur-Festival, erschliessen ehemaligen Pferdestall und Poststation für Konzerte, Raves, Lesungen, Ausstellungen und Diskussionen über die Stadtentwicklung, an der sich auch die Verantwortlichen der regierenden sozialdemokratischen Partei gerne beteiligen. Allerdings gelingt es nicht, den Ort als kulturelles Zentrum zu verstetigen, obwohl ein solches lange fehlte. Zwar wird die Brache durch die kulturelle Zwischennutzung aufgewertet. Letztendlich muss die Kunst aber dem Argument des Wohnungsbaus weichen. Gewerberäume werden an Start-Ups und professionelle Event-Veranstalter:innen vermietet. Die Kreativen haben den Standort vermeintlich von unten im Sinne der Gemeinschaft etabliert; damit haben sie ihre Schuldigkeit für den weiteren Aufwertungsprozess getan. Fortan finden sich gewinnträchtigere Nutzer:innen für die in Wert gesetzte Fläche.

«Künstlerkritik» in die Stadtentwicklung zu integrieren, folgte der Idee, durch partizipative Momente und zivilgesellschaftliche Kreativität die staatliche und technokratische Allmacht zu brechen. Tatsächlich sind wirklich partizipativen Momenten enge Grenzen gesteckt, dazu wurde kreatives, subversives Potenzial staatlich eingehegt und für eine kapitalorientierte, kreative Stadtentwicklung in den Dienst genommen. Was bleibt, sind die Grünflächen, über deren Ausgestaltung immerhin mitentschieden werden kann.

Simon Dudek arbeitet als Geograph an einer bayerischen Universität. Dort beschäftigt er sich mit den Themen Planung und räumliche Gerechtigkeit im Spätkapitalismus. Chris W. Wilpert ist Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Technischer Redakteur und lebt in Berlin.

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